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    Eldorado
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Eldorado
    Von Jan Hamm

    Belgien ist ein düsteres Land. In schummrigen Garagen am Landstraßenrand lauern durchgeknallte Serienmörder, unliebsam gewordene Haustiere werden in hohem Bogen über Brückengeländer geworfen und in der verregneten Wildnis kreuzen Nudisten umher. Warmherzigkeit ist der apathischen Bevölkerung ein Fremdwort. Bouli Lanners’ zweiter Spielfilm „Eldorado“ mutet wie ein Abgesang auf sein Heimatland an. Das Road Movie verzichtet auf größenwahnsinnige Conquistadores und begleitet stattdessen zwei einsame Seelen auf ihrer Suche nach Geborgenheit – einem Schatz, der in Lanners‘ desolaten Landschaften in ebenso mythischer Ferne wie das Aztekengold zu liegen scheint. Und wer die Legende kennt, weiß bereits, was die Pilger am Ende erwartet. Für sein Einsamkeits-Topos findet der Regisseur und Schauspieler eine intensive Bildsprache, während er die Hoffnungen und Lichtblicke seiner Figuren eher als Spielball nutzt. Leichte Kost ist „Eldorado“ damit nicht, wohl aber ein mal humorvoller, mal lakonischer Trip ins belgische Herz der Finsternis.

    Der Gebrauchtwagenhändler Yvan (Bouli Lanners, Asterix bei den Olympischen Spielen) staunt nicht schlecht, als er eines Abends in seine kleine Bude zurückkehrt. Unter dem Bett versteckt sich der Drogenjunkie Elie (Fabrice Adde) und will sein Refugium partout nicht verlassen. Mit Geduld und ein wenig Gewalt bugsiert Yvan den ungebetenen Gast dann doch noch vor die Tür, wo dieser ihm unter Tränen gesteht, völlig pleite und ausgebrannt zu sein. Der mitleidige Dicke setzt das Häufchen Elend an einer Straßenkreuzung ab – und findet ihn Stunden später immernoch dort vor. Yvan, der selbst nach einer Gelegenheit schielt, seinem tristen Alltag zu entkommen, lässt sich überreden, Elie zu seinen Eltern an die französische Grenze zu fahren. Und so begibt sich das ungleiche Duo auf eine Reise weit über ihr eigentliches Ziel hinaus. Schnell wird klar: Ihr bisheriges Leben wollen beide nicht weiterführen...

    Seinen Titel verdankt der Film dem Cadillac Eldorado, in dem Yvan und Elie ihre Fahrt antreten sollten. Lanners wechselte dann zwar den Wagen, behielt den Titel aber bei, als ihm die passende Metaphorik auffiel. So wenig das nieselige belgische Hinterland auf den ersten Blick an den Amazonas-Schauplatz der Legende erinnert, so geschickt werden im Filmverlauf Parallelen hergestellt. Als schlechte Witterungsverhältnisse eine Drehpause erzwangen, improvisierte Lanners kurzerhand: Yvan und Elie, die vom Regen ebenso unangenehm überrascht werden, trotzen dem Wetter und gehen in einem Flusslauf inmitten herbstlicher Wälder baden. Dabei entstand eines der zentralen Bildmotive des Films, mit dem Lanners die Verlorenheit der Figuren eindrucksvoll in Szene setzt, und nebenher wohlkalkuliert Erinnerungen an Werner Herzogs fiebrigen Dschungeltrip Aguirre - Der Zorn Gottes heraufbeschwört. Trotz der eher willkürlichen Titelwahl schließt sich hier der Kreis, die zwei Protagonisten fügen sich in die Ahnenreihe der spanischen Schatzsucher ein.

    Auf verlorenem Posten stehen die Zwei auch dann noch, als sie ihr Reiseziel erreicht haben. Bevor Elies missgünstiger Vater seinen Sohn einmal mehr vor die Pforte kommandiert, kommt es zu einer der ausdrucksstarken Szenen, die „Eldorado“ seine Tragik verleihen. Elies Mutter bittet ihn, Unkraut in ihrem Garten zu jäten. Erst verweigert sich der apathische Mann, dann aber treibt Yvan ihn ins Feld und fordert ihn zum Respekt vor der gebeugten Frau auf. Spätestens hier wird ersichtlich, wie tief Elie in der Sackgasse steckt. So sehr er sich nach Geborgenheit sehnt, so wenig kann er selber geben. Mit dem symbolischen Versuch, den Vorhof seiner Erzeuger vom Unkraut der eigenen Person zu befreien, stellt sich auch die Rückkehr in die Familie als Illusion heraus. Lanners gelingt der Balanceakt, die zwei schrägen Vögel bei der Gartenarbeit sowohl als bemitleidenswerte, als auch komische Gesellen einzufangen. Das verheißungsvolle Gold, die zwischenmenschliche Wärme, finden die beiden Männer, die sich eigentlich völlig fremd sind, wenn überhaupt beieinander. Nur - können sie sich das auch eingestehen?

    Ein Film, der derart auf zwei Figuren zugeschnitten ist, würde natürlich keinen Schritt weit funktionieren, wenn die Darsteller ihn nicht tragen könnten. Doch Lanners und Adde schultern ihre Last mit Bravour. Der Regisseur selbst spielt Yvan als gutmütigen Bären, der immer wieder über seine brüderlichen Gefühle zu staunen scheint. Und Adde, der für „Eldorado“ direkt von der Schauspielschule rekrutiert wurde, gibt Elie so heruntergekommen, dass Sympathien für den archetypischen Verlierer geradezu herausgefordert werden. Auf dieser festen Basis wirken dann auch die humoristischen Momente nicht aufgesetzt. Besonders ulkig ist es, wenn das Duo einem Nacktcamper über den Weg läuft. Der wirrköpfige Streuner sitzt in einem Regiestuhl am Straßenrand, der ihn als Alain Delon ausgibt. Delon gab den Cäsar in „Asterix bei den Olympischen Spielen“, und es gehört nicht viel dazu, sich vorzustellen, wie Lanners den französischen Star am Set wahrgenommen haben muss.

    Gegen Ende schlägt „Eldorado“ dann endgültig einen arg depressiven Tonfall an. So sehr die Reise die zwei einsamen Seelen auch zusammengeschweißt haben mag, ihren Dämonen müssen sie sich dann doch alleine stellen. Eine Katharsis verweigert Lanners seinem Publikum, und damit vollendet er den Bezug zur titelgebenden Legende. Das ist zwar konsequent, allerdings gerät das Echo des Films damit sehr pessimistisch. „Eldorado“ ist eine bittersüße Verliererballade, die ohne Kompromisse mit den unspektakulären, aber nichtsdestotrotz tiefen Abgründen des Alltags am Rand der Gesellschaft konfrontiert. Sieht so Belgien aus? Bei den Filmfestspielen in Cannes durfte „Eldorado“ bereits Preise in drei Kategorien mitnehmen. Und trotz der dunklen Wolken, die Lanners über seiner Heimat zusammenzieht, kam der Film in Belgien so gut an, dass er als Kandidat für den besten ausländischen Film ins Oscarrennen geschickt wird. Humor gibt es in Belgien also nebst all der zwischenmenschlichen Finsternis definitiv.

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