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    Brand Upon the Brain!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Brand Upon the Brain!
    Von Sascha Westphal

    Unter all den Filmemachern, die sich an den Rändern des Weltkinos bewegen, deren Werke in einem Museum oder auch in einem Konzertsaal genauso gut aufgehoben sind wie im Dunkel des Kinosaals, ist der in Winnipeg geborene Kanadier Guy Maddin wohl der Eigenwilligste. Schon seine ersten in den späten 80er und frühen 90er Jahren entstandenen Arbeiten zeugen von seiner Obsession für die Ästhetik und die Melodramatik der Stummfilmära. Sie noch einmal wiederzubeleben, ist seine große Sehnsucht. Doch wie alles, was aus dem Reich des Todes zurückgeholt wird, haben auch Maddins filmische Reanimationen etwas Beunruhigendes, Monströses, an sich. Nur sind seine Filme keineswegs die lebenden Toten des Kinos, sie erinnern schon eher an Frankensteins Geschöpf. Allerdings ist Maddin ein Schöpfer ganz aus dem Geist Sigmund Freuds: Das Verdrängte kehrt zurück aus dem Totenreich der Kunst und wird wiederum von etwas anderem Verdrängten, den Erinnerungen wie den Traumata, die aus dem Unterbewusstsein des Filmemachers aufsteigen, zum Leben erweckt. Mit dem schon 2006 entstandenen „Brand Upon The Brain!“, einem autobiographisch eingefärbten, ödipalen Drama, hat Guy Maddin seine einzigartige Technik endgültig perfektioniert und so etwas wie den endgültigen Wiedergänger-Film geschaffen.

    Ein Mann, Guy Maddin (Erik Steffen Maahs), rudert in einem kleinen Boot zu einer verlassenen Insel namens Black Notch Island hinaus. Als Kind hat er dort mit seinen Eltern und seiner ein paar Jahre älteren Schwester in einem zu einem Waisenhaus umgebauten Leuchtturm gelebt. Nun hat ihn seine Mutter (Gretchen Krich, „Henry Fool“, „Room“) zurück geschickt. Er soll im Innern des Leuchtturms alles neu anstreichen und ihre Rückkehr vorbereiten. Kaum hat Guy an der Insel angelegt, überfallen ihn Erinnerungen an seine Kindheit, an seine tyrannische Mutter, seinen Vater (Todd Moore), der in seinem Laboratorium tagein, tagaus seltsame Experimente gemacht hat, und seine Schwester Sis (Maya Lawson), die bei jeder Gelegenheit gegen das puritanische Regiment ihrer Mutter aufgegehrt hat. Nach und nach kommt alles zurück, vor allem die Zeit, als plötzlich die berühmte Teen-Detektivin Wendy Hale (Katherine E. Scharhon, „We Go Way Back“) und wenig später ihr Zwillingsbruder Chance auf der Insel auftauchten. Einigen Eltern, die Kinder aus dem Leuchtturm-Waisenhaus adoptiert hatten, waren an ihren Schützlingen äußerst seltsame Kopfverletzungen aufgefallen und hatten die aus zahlreichen Büchern bekannten Zwillinge eingeschaltet.

    Ursprünglich war „Brand Upon The Brain!“ als Live-Performance konzipiert. Der stumme Schwarzweißfilm, nur einzelne eingeschnittene Bilder sind in Farbe, sollte jeweils von einem Orchester und einem von Stadt zu Stadt wechselnden Erzähler begleitet werden. Zu einigen dieser einmaligen Aufführungen ist es auch gekommen, so dass es mittlerweile eine ganze Reihe von Live-Mitschnitten unterschiedlichster Erzählerstimmen gibt. Neben Guy Maddin selbst haben auch so renommierte Schauspieler und Künstler wie Laurie Anderson, Crispin Glover und Eli Wallach den erklärenden und kommentierenden Erzähltext eingesprochen. In der Kinoversion spricht Maddins langjährige Weggefährtin Isabella Rossellini den von Louis Negin geschriebenen Text und erdet mit ihrer warmen Stimme das überaus bizarre Geschehen auf der Leinwand. Die Erzählung verleiht dem Film schon von sich aus einen leicht märchenhaften Touch, den Isabella Rossellini noch einmal geschickt verstärkt, ohne dabei auch nur einen Moment lang ins allzu Pathetische oder gar Kitschige abzugleiten. Genau so sollte wohl auch eine Hörbuchversion von Mary Shelleys „Frankenstein“ oder von Edgar Allan Poes Kurzgeschichten klingen.

    Maddins durch und durch persönliches Kino verdichtet sich in der Trilogie aus „Cowards Bend At The Knee“, „Brand Upon The Brain!“ und „My Winnipeg“ zu einer intimen Innenschau: Autobiographie – ein Spiel. Natürlich ist weder der nach Jahren zurückkehrende Guy Maddin noch sein junges, von Sullivan Brown („We Go Way Back“) gespieltes Alter Ego mit dem Filmemacher gleichen Namens identisch. Er fiktionalisiert seine Kindheits- und seine Familienerlebnisse und filtert sie durch seine Erinnerungen an alte Horror- und Science-Fiction-Filme wie an Jugendromane und Melodramen. Die Eltern werden zu monströsen Figuren ödipalen Schreckens, und die erste heimlich Angebetete ist in eine heldenhafte Schönheit, die sich selbst unsterblich in Guys Schwester verliebt und sich dann unerkannt in ihren Bruder verwandelt, der wiederum von Sys begehrt wird. Die Verwirrung der Gefühle und Begierden kennt wie auch das Spiel mit Rollen und Identitäten keinerlei Grenzen. Alles ist in Aufruhr. Die grellen, mal bewusst trashigen, dann wieder betörend poetischen Genremotive, die Guy Maddin in diesem hybriden Filmpoem regelrecht anhäuft, formen eine Sprache der Emotionen. Sie drücken all das aus, was sich anders gar nicht sagen lässt.

    Die enorme Frequenz, in der die Erinnerungen und die Emotionen auf den fiktiven Guy Maddin, diesen Odysseus des Ödipus-Komplexes, einprasseln, schlägt sich in einer schier atemlosen Schnittfrequenz nieder. Im Vergleich zu „Brand Upon The Brain!“, der selbst so etwas wie ein Brandzeichen im Gehirn des Betrachters hinterlassen will, wirkt sogar Oliver Stones Höllen-Trip Natural Born Killers beinahe schon behäbig. Es ist nahezu unmöglich, all die bizarren, aus den tiefsten Regionen des Unterbewusstseins heraufsprudelnden Bilder, die Maddin mal einfach aneinanderreiht, dann wieder kontrapunktisch gegeneinander stellt, zu verarbeiten. Dafür sind alleine schon die von ihnen heraufbeschworenen Assoziationen zu vielfältig. Diese konsequente Reizüberladung macht eine analytisch-distanzierte Rezeption von Maddins Kino-Seance zumindest beim ersten Sehen unmöglich. Der dunkle Kinosaal wird zum Ort eines magischen Ritus, einer Beschwörungs- und Wiedererweckungszeremonie, in deren Verlauf längst verschwundene Filmformen zu neuem Leben erwachen und das Kino zu einer archaischen und damit auch beunruhigenden Kraft zurückfindet, die es in dieser Ära der immer perfekter werdenden CGI-Effekte weitgehend verloren hatte.

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