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    Grounding - Die letzten Tage der Swissair
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Grounding - Die letzten Tage der Swissair
    Von René Malgo

    Es ist eines der Genres der Traumfabrik: Der Polit- und Wirtschaftsthriller. Mit Vorliebe werden Ereignisse aus der US-Politik und Wirtschaft zu dramatischen Thrillern verarbeitet, mal mehr, mal weniger historisch akkurat. Die Unbestechlichen, JFK, Thirteen Days oder der eher fiktive Syriana seien in diesem Zusammenhang mal als Paradevertreter genannt. Ein kleines Land in Europa schickt sich nunmehr an, es den Amis gleichzutun und ihr Genremonopol anzutasten. Mit viel Aufwand und Herzblut realisierte der Schweizer Regisseur Michael Steiner („Mein Name ist Eugen“) von quasi der halben Schweiz finanziell unterstützt einen Thriller namens „Grounding – Die letzten Tage der Swissair“. Thema: Der Niedergang des schweizerischen Nationalheiligtums, der Fluggesellschaft Swissair. Das Resultat kann sich sehen und überraschend gut mit Hollywoods professioneller Genreware messen lassen.

    Die Swissair steckt in ernsthaften Schwierigkeiten. Selbst nachdem sie diverse Beteiligungen an europäischen Fluggesellschaften gekauft hat und Allianzen mit großen Partnern eingegangen ist, scheint die Swissair immer noch am Boden zu liegen. Die Strategie „Existenzsicherung durch Expansion“ ist nicht aufgegangen. Die Schulden häufen sich, einer der größten und finanzstärksten Partner, Delta, springt ab. Der Aufsichtsrat und der leitende Manager Philippe Bruggisser werden gefeuert. Crossair-Gründer Moritz Sutter (László I. Kish) übernimmt den Vorsitz, um, nachdem sein Anwalt ihn gewarnt hat, gleich wieder auszusteigen. Nach einigen hektischen Wochen tritt der bisherige Nestlé-Finanzchef Mario Corti (Hanspeter Müller) das Amt an und will versuchen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Nun muss er alles daran setzen, die kleine schweizerische Fluglinie Crossair mit Sitz in Basel, vertreten durch Moritz Suter, und die zwei großen, rivalisierenden Schweizer Banken UBS, vertreten durch Macel Ospel (Gilles Tschudi) sowie Credit Suisse, vertreten durch Lukas Mühlemann (Rainer Guldener), in ein Boot zu holen, um die Swissair zu sanieren. Hilfe bekommt er vom Crossair-Mann André Dosé (Michael Neuenschwander) und der Finanzexpertin Jaqualyn Fouse (Katharina Von Bock), die mit ihm bei Nestlé zusammengearbeitet hat. Doch Dosé scheint ein doppeltes Spiel zu treiben und die Crossair will bestehende Rivalitäten mit der Swissair nicht einfach so bei Seite schieben. Fehlentscheidungen werden gefällt, Fronten verhärten sich und als sich nach dem 11. September 2001 die Flugzahlen weiter verringern, scheint der Niedergang der Swissair unaufhaltbar. Cortis letzter Rettungsversuch scheitert an den eingefahrenen Positionen der Banken, insbesondere der UBS. Am 2. Oktober 2001 kommt es zum Grounding der renommierten Schweizer Fluglinie …

    Die Thematik ist komplex. Ein Film kann ihr eigentlich gar nicht in allen Facetten gerecht werden und so muss sich „Grounding – Die letzten Tagen der Swissair“ auch von verschiedenen Seiten den Vorwurf gefallen lassen, die Geschichte vereinfachend zu schildern. Der Vorwurf, dass die alleinige Schuld nicht nur bei Marcel Ospel von der UBS-Bank liegen kann, wie vom Film nahe gelegt, leuchtet ein. Wie aber nahezu jede Geschichte einen Helden braucht (hier Mario Corti, von Schweizern liebevoll Super-Mario genannt), benötigt es auch einen Sündenbock. Im Film kommt Marcel Ospel, dargestellt von Gilles Tschudi, diese unliebsame Rolle zu. Einigen Unkenrufen zum Trotz hat er sich diese Sündenbockrolle aber auch redlich erarbeitet. Viele Faktoren sind für den Niedergang der Swissair verantwortlich, das verschweigt der Film auch gar nicht, jedes Detail jedoch abzudecken, das ist gar nicht möglich. So macht „Grounding – Die letzten Tage der Swissair“ das einzig Richtige, schildert nur das, was sich belegen lässt bzw. einigermaßen gründlich recherchiert wurde, erklärt jene zu Helden, die sich als solche profiliert haben und schiebt solchen die Schuld in die Schuhe, die sich während der Affäre auch entsprechend verhalten haben. Das ist legitim. Die schweizerische Swissair, sie war ein „Nationalheiligtum“, der Stolz einer Nation, wie es schon in begleitenden Flyern zum Film heißt und so haben auch die ein filmisches Lob verdient, die sich trotz eigener Fehlentscheidungen ehrlich um die Swissair bemüht haben und müssen auch zwangsläufig jene die Schläge einstecken, die jegliches entsprechendes Bemühen haben vermissen lassen.

    Der Swissair-Skandal ging natürlich mit vielen persönlichen Emotionen einher. Entsprechend ist der Film gestaltet. Die meisten Gefühle versucht „Grounding – Die letzten Tage der Swissair“ mittels fiktiver Episoden um Piloten, Flugbegleiterinnen und einem Koch bei der Swissair zu schildern. Während diesen fiktiven Einschüben schwächelt der ansonsten überragend gemachte Film ein wenig. Alkoholprobleme, kriselnde Mutter-Sohn-Beziehungen und weitere Beziehungs- und Arbeitsverhältniskisten kommen leider nie über höchst klischeehaftes Soap-Opera-Niveau heraus. Diese Subplots sind dann auch nicht weiter der Rede wert, der Zuschauer muss sie einfach über sich ergehen lassen. Allzu viel Inhalt des Filmes nehmen sie aber auch nicht in Beschlag und wurden zumindest souverän routiniert in das Gesamtbild integriert. Der Gesamteindruck wird zwar ein wenig getrübt, aber zum Glück nicht so nachhaltig, als dass „Grounding – Die letzten Tage der Swissair“ auf ein durchschnittliches Niveau herabrutschen würde.

    Zu Beginn muss sich der Betrachter noch ein wenig an die hektischen Schnitte und den rasanten Stil der Inszenierung gewöhnen. Diese moderne Clipoptik-Ästhetik erweist sich schließlich nicht als störend, sondern der Atmosphäre und dem hohen Tempo des Thrillers dienlich. So macht Regisseur Michael Steiner inszenatorisch alles richtig, bleibt seinem Stil bis zum Ende konsequent verpflichtet und kann sich in dieser Hinsicht durchaus mit Fernando Meirelles und dessen Ausnahme-Thriller Der ewige Gärtner vergleichen lassen. Der rasante Stil geht auch mit der hohen Emotionalität konform, wodurch eine elektrisierende, mitreißende Atmosphäre geschaffen wird. Eine beachtliche Leistung für einen Film, bei dem nur gesprochen wird und obendrein meist über Dinge, wovon das (deutsche) Publikum mangels bisherigen Interesses zum ersten Mal hört. Beachtlich also, was Regisseur Michael Steiner, Kameramann Filip Zumbrunn und Cutter Tobias Fueter auf die Beine gestellt haben. Das hat nicht nur Hand und Fuß, sondern auch internationales Format.

    Das Interesse des Zuschauers bleibt aber selbstverständlich nicht nur wegen der bemerkenswerten Inszenierung bewahrt. Die insgesamt stimmige Story hat auch Anteil daran. Und abgesehen von den Soap-Opera-Anteilen ist den Herren Jürg Brändli, Tobias Fueter und Michael Sauter wirklich ein ansehnliches Drehbuch gelungen. Perfekt wird die komplexe Geschichte mit seinen vielen Details geschildert, sodass auch gänzlich Unwissende die Ereignisse nachvollziehen können. Trotzdem muss der Zuschauer die Aufmerksamkeit immer am Limit halten, denn ihm werden doch zahlreiche Fakten und Namen an den Kopf geschleudert. Vor lauter Fakten kommen der Geschichte da wieder die persönlichen Erzählstränge zu Gute, denn trotz oder gerade dank des Soap-Opera-Niveaus kann der Betrachter während dieser Szenen ein wenig durchatmen.

    Hand in Hand gehen Drehbuch und Regie beim Mix von Realität und Fiktion. Auf höchstem Niveau werden zahlreiche Doku-Aufnahmen in den Film eingefügt. Das gibt dem Thriller einen sehr authentischen, zugleich aber auch manipulativen Charakter. Die geschickt eingefügten und zusammen geschnittenen Fernsehaufnahmen verleihen natürlich ein hohes Maß an besagter Authentizität, sind aber schlussendlich auch nur Stückwerk. Richtig war die Entscheidung, neben den vielen Doku-Aufnahmen weitere Szenen nachzuspielen. Diese finden vor beeindruckend realistischer und aufwendig ausschauender Kulisse statt. Da die jeweiligen Darsteller ihren Vorbildern tatsächlich ähnlich sehen, muss beim Zuschauer keine Verwirrung aufkommen. Das hohe inszenatorische Niveau lässt den Film so nicht wie eine typische Pseudodokumentation wirken, wie sie auf den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern so gerne ausgestrahlt werden. Im Gegenteil, als äußerst echt wirkender Doku-Thriller überzeugt „Grounding – Die letzten Tage der Swissair“ auf ganzer Linie. Eine lobende Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch Adrian Frutigers professioneller Soundtrack, welcher das Geschehen ausgezeichnet untermalt und positiv an Hollywoods Genrevertreter erinnert.

    Die allesamt auf hohem Niveau agierenden Darsteller komplettieren den ansprechenden Eindruck. Eindrücklich sind insbesondere die Leistungen von Hanspeter Müller als neuer Nationalhelden Mario Corti, Michael Neuenschwander als zwischen verschiedenen Loyalitäten hin und her gerissener Crossair-Mann André Dosé oder des mit schelmischen Vergnügen aufspielenden Gilles Tschudi als arroganter Super-Bad-Guy Marcel Ospel. Auch die weiteren Darsteller machen ihre Sache in kleineren und größeren Rollen sehr gut und glaubhaft. So fällt die Klischeehaftigkeit der meisten Charaktere auch nicht weiter ins Gewicht, sondern führt sogar zu zusätzlichem Identifikationspotenzial, da die größten Stereotypen doch meist solche sind, die die breite Masse aus dem Alltag oder eben auch anderen Filmen schon zur Genüge kennt. Und ein bisschen Identifikation ist gerade bei „Grounding – Die letzten Tage der Swissair“ sehr wichtig, da es am Ende ziemlich emotional zugeht.

    Das Grande Finale setzt dem dramatischen Doku-Thriller die würdige Krone auf. Die Emotionen kochen erwartungsgemäß über, inszenatorisch erreicht der Film auch seinen Höhepunkt und wird gerade den Zuschauern einen kalten Schauer über den Rücken jagen, die den Skandal hautnah miterlebt haben. Am Ende darf das schweizerische Publikum hier und da ein Tränchen verdrücken und wer sich zur emotionalen Zuschauerzunft zählt, muss sich als Unbeteiligter seiner Tränen auch nicht schämen. Die Unterteilung in Gut und Böse bleibt zwar weiterhin fragwürdig, die Vereinfachung gewisser Ereignisse war andererseits aber unvermeidlich, so dass Michael Steiner im Endeffekt ein sehr sehenswerter, hoch spannender Polit- und Wirtschaftsthriller gelungen ist. Einer, der internationales Format wahren und Hollywoods Genreparadevertretern Paroli bieten kann und das Meiste an deutschsprachigen, filmischen Ergüssen der letzten Jahre locker in die Tasche steckt. Bleibt zu hoffen, dass diesem starken Thriller auch noch die Möglichkeit gegeben wird, sich in deutschen Kinos die Ehre zu geben. Verdient hätte er es allemal.

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