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    Step Up To The Streets
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Step Up To The Streets
    Von Andreas Staben

    „Step Up To The Streets“ ist einer dieser Filme, die einem bekannt vorkommen können, ehe man sie gesehen hat. Im Video zu „Low“, dem Hit von Flo Rida und T-Pain aus dem Soundtrack, sind die ersten Bilder längst in Rotation, dazu kommen TV-Spots und ein auf die jugendliche Zielgruppe maßgeschneidertes Marketing mit einem Street-Dance-Wettbewerb. Jon M. Chu reitet mit seinem Kinodebüt auf der Tanzfilmwelle und knüpft direkt an einen ihrer Überraschungserfolge an, auch wenn die Verbindung zu Step Up so lose ist, dass schwerlich die Rede von einer Fortsetzung sein kann. Die Aufmerksamkeit für den Nachfolger soll genauso erhöht werden wie die CD- und DVD-Verkäufe des Vorgängers, aber Chu und seine neue Besetzung emanzipieren sich alsbald weitgehend von dieser strategischen Positionierung. Vor allem in den überwiegend mitreißenden und originellen Tanz-Sequenzen zeigt „Step Up To The Streets“ Herz und gewinnt erstaunliches Eigenleben.

    Die Dance-Crew „410“ sorgt mit illegalen Auftritten für Aufsehen in Baltimore. Für Andie (Briana Evigan in ihrem ersten Spielfilm) bedeutet das Tanzen mit der Gruppe alles, aber ihre Pflegemutter Sarah (Sonja Sohn, „The Wire“) droht, sie zu einer Tante nach Texas zu schicken, wenn sie nicht aufhört. Auf Initiative von Tyler Gage (Step Up-Star Channing Tatum) wird ein Kompromiss gefunden und Andie bewirbt sich an der Maryland School of Arts (MSA). Obwohl ihr Vortanzen an der eher traditionell ausgerichteten Institution schnell abgebrochen wird, findet sie im Startänzer des Schule, Chase Collins (Robert Hoffman, She´s The Man), der dazu noch der Bruder des Direktors ist, einen Fürsprecher. Andie wird an der MSA angenommen, aber wegen ihrer schulischen Verpflichtungen vernachlässigt sie die „410“ und deren Anführer Tuck (Black Thomas, Dreamgirls) sorgt für ihren Rauswurf. An der MSA eckt Andie mit ihrem „Street Style“ auch nur an, bis Chase auf die Idee kommt, eine eigene Gruppe zu gründen. Die Außenseiter der Schule tun sich mit Andie und Chase zur MSA-Crew zusammen und fordern „410“ heraus. Der Teilnahme am Wettkampf, den „Streets“, stehen aber noch einige Hindernisse entgegen...

    „Step Up To The Streets“ folgt den bekannten Mustern des Genres mit seiner Erzählung von der Verwirklichung eines Traums gegen Widerstände und mit romantischen Paarungen, die im Tanz angebahnt werden. Auch der Konflikt zwischen rebellischen Individualisten und den Bewahrern der geltenden Konventionen ist hier zum wiederholten Male ein doppeltes Leitmotiv. Die Problematik sozialer Verhältnisse spiegelt sich in den Ritualen des Tanzes und in seinen kodifizierten Bewegungen. Chu und seine drei Choreographen, deren kombinierte Filmographien Titel wie Street Style, Stomp The Yard, „Girls United“ und Hairspray aufweisen, spielen gleich zu Beginn mit dieser Vieldeutigkeit. Ein vermeintlicher U-Bahn-Überfall entpuppt sich als regelverletzendes, stilisiertes Maskenspiel der überwiegend schwarzen Mitglieder der „410“, die akrobatische Flucht vor den Ordnungshütern gehört dabei zur Performance. Diese Sequenz zeichnet sich nicht nur durch Originalität und rhythmisches Geschick aus, sondern verweist deutlich auf die Klischees und Vorurteile, die die Wahrnehmung dieser Darbietung im Film prägen. Diese Prise Selbstreflexivität hilft, einige Rollenzuschreibungen in der weiteren Handlung als nicht selbstverständlich zu begreifen.

    Der Street Dance, seine Wurzeln und seine Regeln sind genauso wie die dazugehörige Hip-Hop- und Rap-Musik wesentlich afro-amerikanisch geprägt. „Step Up To The Streets“ hat aber ein weißes Protagonisten-Pärchen und der Part des bösen Gegenspielers ist dem Schwarzen Tuck vorbehalten. Auch wenn solche Entscheidungen zu Irritationen führen können, bleibt das Wesentliche davon unberührt. Besonders die Auftritte der „410“ mit Tuck können nämlich auf einer ganz anderen Ebene als Ausdruck von Machtposen und Misstrauen auf der einen und von Freiheit und Kameradschaft auf der anderen Seite verstanden werden. Viele der Tanznummern bereiten darüber hinaus unabhängig von solchen Lesarten einfach Vergnügen, wozu neben dem gut abgestimmten Soundtrack mit Stücken von Hip Hop bis Soul, von Missy Elliott bis Enrique Iglesias, besonders die Regie beiträgt, die geschickt die Choreographien einfängt und nicht sinnlos Schnitte und Perspektiven vervielfacht. Chus Film macht hier gegenüber Step Up, Street Style und Stomp The Yard einen spürbaren Schritt nach vorn.

    Wie bei den meisten Musicals und Tanzfilmen geht es in „Step Up To The Streets“ nicht um eine realistische Abbildung sozialer Wirklichkeit. Deshalb ist eine Kritik, die sich allzusehr mit dem Handlungsaufbau, hölzernen Dialogen und limitierten Schauspielkünsten aufhält, irreführend. Kleinere Defizite in den genannten Kategorien können auch in „Step Up To The Streets“ festgestellt werden, aber sie sind im Genre von untergeordneter Bedeutung, wenn die Choreographie gelingt. Der emotionale Kern liegt im Tanz verborgen, erst dort finden die Figuren in Chus Films zu sich selbst. Wer und was in den Dialogszenen klischeehaft, oberflächlich und problematisch ist oder wirkt, verwandelt sich sobald Musik einsetzt und die Bewegungen zu „Moves“ werden. Vor allem Briana Evigan als Andie macht das Tanzen auf schlüssige Weise zum Fluchtpunkt ihres Charakters. Aber auch die anderen jungen Darsteller sind in diesem Sinne beeindruckend, was besonders in zwei ruhigeren Szenen zum Tragen kommt. Wenn die ungleichen Mitglieder der MSA-Crew beim individuellen Probieren zu sehen sind, ergibt die Schnittfolge eine Galerie von Charakterstudien im Miniaturformat. Und beim Salsa nach dem Barbecue vertiefen und entwickeln sich Beziehungen in einer Choreographie von kleinen Gesten und Blicken. Hier können sich die so offensichtlich begabte und umschwärmte Sophie (Sängerin Cassie Ventura) und der schlaksige „Nerd“ Moose (Adam Sevani), den niemand für einen Tänzer halten würde, wirklich kennenlernen und „Step Up To The Streets“ wird in bester Tradition zu einer Fantasie der Grenzüberschreitung.

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