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    It's a Free World
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    It's a Free World
    Von Stefan Ludwig

    Angestellte von Zeitarbeitsagenturen sind häufig die moderne Variante von Tagelöhnern. Menschen verdingen sich zu einem Hungerlohn für ein paar Stunden, einen Tag oder ein paar Wochen in Fabriken, auf Baustellen oder in Lagerhallen. Sie finden keine feste Arbeit und leben daher sprichwörtlich von der Hand in den Mund. Dieser unsicheren Arbeitswelt nimmt sich das Drama „It’s A Free World“ von Ken Loach (Raining Stones) an. Mit der Geschichte einer teils sympathischen, teils skrupellosen Powerfrau, die Einwanderern Arbeit verschafft, wählt Loach dabei eine geschickte Perspektive, mittels der er das prekäre System am Schopfe packt und dem Zuschauer zugleich spannend vor Augen führt.

    Angie (Kierston Wareing) hat ihr Leben satt. In etlichen Jobs hat sie ihr Bestes gegeben. Jetzt hat sie eine Arbeitsvermittlung gefeuert, weil sie sich nicht von einem Vorgesetzten begrabschen lassen wollte. Sie beschließt, gemeinsam mit ihrer Freundin Rose (Juliet Ellis) eine eigene Zeitarbeitsagentur zu gründen – allerdings vorerst ohne das Geschäft offiziell anzumelden. Rose ist von der Aussicht, sich an der illegalen Unternehmung zu beteiligen, zunächst wenig begeistert. Doch Angie verspricht ihr, die Firma nach dem ersten Profit auf legale Füße zu stellen. Als Angie jedoch das enorme Gewinnpotenzial der Beschäftigung von illegalen Einwanderern entdeckt, rückt die Rechtmäßigkeit des Unternehmens erst einmal in den Hintergrund…

    Ken Loach ist bekennender Trotzkist – und daraus macht er in „It’s A Free World“ auch gar keinen Hehl: Er stellt das kapitalistische System als abgrundtief falsch dar, indem er die vielen Fallstricke der Profitgier aufzeigt. Das Elend der Tagelöhner behandelt seine Gesellschaftskritik zwar nur am Rande, trotzdem wird stets deutlich, auf wessen Seite er steht: Das System als Ganzes ist schuld und nie der einzelne Mensch. Im Hinblick auf diese Aussage ist auch Hauptfigur Angie angelegt. Auch sie ist in den Klauen des Kapitalismus gefangen. Und bei dem Versuch, sich daraus zu befreien, wird sie selbst von der Gier nach Geld gepackt. Schon bald ist sie selbst kein Deut mehr besser als ihre früheren Arbeitgeber, die sie vor Kurzem noch so harsch beschimpfte.

    Für das Drehbuch hat sich Loach erneut Paul Laverty ins Boot geholt, mit dem er bereits bei früheren Filmen wie The Wind That Shakes The Barley oder Sweet Sixteen zusammenarbeitete. Lavertys intensive Recherche, bei der er vor allem britische Arbeiter befragte, hat sich bezahlt gemacht – die Story malt ein realistisches Bild moderner Tagelöhner. Dennoch sind manche Richtungswechsel der Geschichte nur schwer nachvollziehbar. Während sich Angie Schritt für Schritt zur skrupellosen Geschäftsfrau entwickelt, nimmt sie plötzlich für eine Nacht eine Familie illegaler Einwanderer bei sich zu Hause auf. Natürlich soll dieses Innehalten den letzten Funken Menschlichkeit repräsentieren, trotzdem ist die Wendung in dieser Form einfach nicht glaubhaft, sondern bleibt auf der Ebene eines Konstrukts hängen.

    Auch ein Handlungsstrang um den polnischen Gastarbeiter Karol (Leslaw Zurek) erscheint überflüssig. Muss sich Angie unbedingt verlieben, nur damit sie jemanden findet, der ihr in der Agentur als Dolmetscher hilft? In den wenigen Szenen, in denen die beiden als Paar auftreten, wirkt die Liebesgeschichte zumeist ziemlich aufgesetzt. Immerhin unterstreicht der Plot aber Angies verletzliche Seite, die sonst nur in der Beziehung zu ihrem bei den Großeltern aufwachsenden Sohn durchschimmert und ihren Charakter ungleich ambivalenter (und damit spannender) gestaltet.

    Durch die Konzentration der Inszenierung auf die Hauptfigur ist eine starke Darstellerleistung unbedingt nötig. Hier ging Ken Loach mit der Besetzung der bisher noch unbekannten Kierston Wareing nur scheinbar ein Risiko ein. Sein unfehlbares Gespür für Schauspieler hat Loach nämlich auch diesmal nicht verlassen. Mit Bravour meistert Wareing die Herausforderung, den Film allein durch ihre Präsenz zu tragen. In keiner Sekunde zweifelt man an ihrer Härte im Geschäft. Zugleich ist sie aber auch Trägerin großer Sympathien, über deren Fehler der Zuschauer gern hinwegsehen würde. Ohne dieses Prinzip, welches das Publikum immer wieder zu komplexen emotionalen und moralischen Entscheidungen herausfordert, wäre der Stoff wohl ziemlich trocken ausgefallen. Dank der beeindruckenden Leistung seiner Hauptdarstellerin kann der Film sein überraschend hohes Spannungsniveau jedoch die gesamte Laufzeit über halten.

    Der Zuschauer wünscht sich zu jeder Zeit, dass Angie ihre Entscheidung für das illegale Geschäft revidiert. Neben der Ambivalenz der Hauptfigur ist ein weiterer Vorteil dieser Perspektive, dass Loach so zeigen kann, wie das System neue Anhänger findet: In dem Moment, in dem Angie sich gegen die Ausbeuter wendet, die sie gefeuert haben, wird sie selbst zu Ausbeuter, der die noch schwächeren Glieder der Wirtschaftsnahrungskette für sich ausnutzt. Anstatt die Misere der illegalen Einwanderer direkt zu zeigen, wählt Loach einen Charakter aus der Mitte, mit dem sich der Zuschauer wesentlich leichter identifizieren kann: eine allein erziehende Mutter, die versucht, irgendwie ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. So kommt das Publikum auch nie auf die Idee, einem einzelnen (also Angie) den Schwarzen Peter zuzuschieben, sondern kann gar nicht anders, als den Film als Systemkritik zu begreifen.

    Fazit: Ken Loachs Low-Budget-Film ist eine vielschichtige Charakterisierung des unteren Randes der britischen Gesellschaft. Auch wenn die Darstellung aus seiner sozialistischen Perspektive stellenweise vielleicht etwas überzogen ausfällt, ist ihm ein wertvolles Drama gelungen. „It’s A Free World“ meistert seine Doppelfunktion, einerseits zum Nachdenken anzuregen und andererseits eine spannende Geschichte zu erzählen. Allerdings trüben leider einige wenig nachvollziehbare Wendungen das Gesamtbild.

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