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    Die Herzogin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Herzogin
    Von Christoph Petersen

    Ein It-Girl ist eine junge sexy Frau, die ungeheure mediale Beachtung erfährt, die in keinerlei Verhältnis zu ihren persönlichen Errungenschaften steht. Zu den It-Girls unserer Zeit zählen Paris Hilton, Mischa Barton und Lindsay Lohan. Häufig wird Edie Sedgwick, Andy Warhols New Yorker Muse in den 1960er Jahren (siehe auch: Factory Girl), als das erste It-Girl bezeichnet. Dabei ist das Konzept eigentlich schon viel älter. Bereits im 18. Jahrhundert lebte mit der Herzogin von Devonshire eine Frau, die – wäre sie heute Teil des internationalen Jetsets – Paris Hilton in nichts nachstehen würde: In der britischen High-Society war sie das Maß aller Dinge, ihre Modeentscheidungen waren Gesetz, jeder wollte ihr nahe sein. Doch es gibt auch eine tragische Seite. Obwohl sie von allen geliebt wurde, konnte ihr eigener Ehemann nichts mit ihr anfangen. In Saul Dipps Historiendrama „Die Herzogin“ wird dieses It-Girl der viktorianischen Epoche nun von einer brillant aufspielenden Keira Knightley verkörpert. Aber auch das täuscht nicht darüber hinweg, dass Form und Inhalt hier nicht immer zusammengehen.

    Eine wahre Geschichte: Als Lady Spencer (Charlotte Rampling, Swimming Pool) ihrer Tochter Georgiana (Keira Knightley) 1774 mitteilt, dass sie den Herzog von Devonshire (Ralph Fiennes) ehelichen soll, ist die hübsche 17-jährige voll aus dem Häuschen. Immerhin ist der Herzog der nach dem König zweitmächtigste Mann in Großbritannien. Doch statt einer Bilderbuchehe erwartet Georgiana ein emotionales Martyrium: Den kaltherzigen Herzog interessiert an seiner jungen Frau lediglich, dass sie ihm einen Erben schenkt. Ansonsten hat er nur Zeit für seine Hunde und seine Mätressen. Weil die Herzogin zunächst zwei Töchter gebärt, wird der Druck immer größer. Zunehmend flüchtet Georgiana sich in die High Society, auf Bälle und Empfänge, wo sie über den Dingen steht. Hier wird sie geliebt, ganz England liegt der modebewussten Herzogin zu Füßen. Was sie trägt, trägt am nächsten Tag ganz London. Als der Herzog sich Bess Foster (Hayley Atwell, Cassandras Traum), Georgianas beste und einzige Freundin, als eine Art zweite Ehefrau nimmt, bricht für Georgiana endgültig alles zusammen: Sie beginnt eine folgenreiche Affäre mit dem aufstrebenden jungen Politiker Charles Grey (Dominic Cooper, Mamma Mia!). Es droht ein Skandal…

    „Ich werde nie verstehen, warum Frauenkleider so kompliziert sind.“ – Herzog

    „Vielleicht sind sie nur unsere Art, uns auszudrücken.“ – Georgiana

    „Wie meinst Du das?“ – Herzog

    „Männer haben viele Möglichkeiten, sich zu verwirklichen. Wir haben nur Hüte und Kleider.“ - Georgiana

    Nach Stolz und Vorurteil und Abbitte spielt Keira Knightley (King Arthur, Fluch der Karibik, Domino) erneut in einem Kostümdrama. Aber diese Rollenauswahl ist auch kein Wunder, immerhin hat sie in den beiden genannten Filmen ihre bisher besten Leistungen abgeliefert. In „Die Herzogin“ stellt die britische Schauspielerin nun erneut unter Beweis, dass ihr Hochsteckfrisuren liegen. Durch die Partyszenen prescht sie mit ungeheurem Charme und unerhörter Schlagfertigkeit, während in den intimen Augenblicken ihre Unsicherheit und Zerbrechlichkeit den Zuschauer zutiefst berühren. Wenn sie mit ihrem Geliebten morgens im Bett – nach dem Sex, aber noch vor dem Frühstück – die Zeitungen nach Bildern von und Artikeln über sich durchforstet, strahlt sie wie ein kleines Kind. Georgianas Geliebter ist übrigens niemand Geringeres als Charles Grey, der später Premierminister wurde und in seinen Reden stets den „Wechsel“ („Change“) heraufbeschwor. Würde man die Beziehung der beiden in die heutige Zeit übersetzen, wäre die Affäre in etwa gleichbedeutend mit einem Verhältnis zwischen Paris Hilton und Barack Obama – ein amüsanter Gedanke.

    Doch so gut Keira Knightley auch ist, gegen einen alles überragenden Ralph Fiennes ist selbst sie machtlos. Für die Rolle zu Recht für einen Golden Globe nominiert, gibt er einen subtilen Bösewicht, der so anders ist als all die anderen finsteren Aristokraten, die uns die Filmgeschichte bescherte. Er ist nicht wirklich böse, er ist nur so über alle Maßen egoistisch, dass es weh tut. Seine Hunde sind ihm wichtiger, als es ein Mensch je sein könnte. Außerdem straft er Georgiana – und alle anderen, die ihn nicht reizen – mit einem solchen Maß an Desinteresse, dass es verachtender ist, als es aktive Verachtung je sein könnte. Nur nebenbei erwähnt er am Frühstückstisch, dass sich Georgiana nun auch um eine Tochter von ihm aus einem vorehelichen Verhältnis kümmern müsse, die leibliche Mutter sei gestorben. Als Georgiana protestiert, entgegnet der Herzog einen – ernstgemeinten (!) – Rat: Sie solle die Chance doch nutzen, um ihre Fähigkeiten als Mutter zu trainieren, bis sie ihm einen Erben schenke. Finsterer geht’s nicht.

    Kostümdramen wie Wiedersehen mit Brideshead, Geliebte Jane oder Stage Beauty gelten allgemein als gediegene Unterhaltung – aufwändige Kostüme, pompöse Kulissen und jede Menge Herzschmerz. Doch „Die Herzogin“ hätte das Zeug zu mehr gehabt. Die It-Girl-Thematik und überhaupt die vielen Parallelen zur heutigen Medien- und Society-Welt hätten genug (Spreng-)Stoff geboten, um etwas Besonderes zu schaffen. Doch Regisseur Saul Dipp („Bullet Boy“) geht nicht das geringste Risiko ein. Er verlässt sich voll und ganz auf den üblichen, biederen Historienstil. Das macht den Film nicht schlechter. Aber ein wenig mehr Mut bei der Inszenierung, wie ihn etwa Sofia Coppola (Lost In Translation) bei ihrem poppigen Porträt von Marie Antoinette bewies, hätte dem Film sehr gut zu Gesicht gestanden.

    Fazit: Eine umwerfende Keira Knightley und ein begeisternder Ralph Fiennes machen „Die Herzogin“ zu einem sehenswerten Kostümdrama, auch wenn sich dessen inhaltlicher Pep leider nicht in der gediegenen Inszenierung widerspiegelt.

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