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    Rebellion
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Rebellion
    Von Tim Slagman

    Filmfestival von Cannes 1995: So lange ist es schon her, dass Mathieu Kassovitz sich mit „Hass" als Regisseur in die Köpfe der Filmfreunde ballerte und gleichzeitig die problembeladenen Vorstädte von Paris, die banlieues, auf die Kino-Landkarte setzte. Mit großer Wut im Bauch, aber auch mit konzentrierter Kunstfertigkeit brachte er in abstrakten Schwarz-Weiß-Bildern den sozialen Sprengstoff an den Rändern der französischen Gesellschaft zum Explodieren. Danach gab er sich Ausflügen in Genreuntiefen, seinem ursprünglichen Beruf des Schauspielers und den Verlockungen Hollywoods hin. 2008 drehte Kassovitz als seinen bislang letzten Langfilm als Regisseur das Science-Fiction-Spektakel „Babylon A.D." mit Vin Diesel in der Hauptrolle und kehrt nun mit „Rebellion" zur filmischen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zurück. Bei seiner Darstellung eines Aufstandes der Ureinwohner Neukaledoniens gegen das französische Mutterland versucht er Kriegsfilm und Politdrama zu verbinden. Das funktioniert nicht immer reibungslos, aber als Reflexion der filmischen Darstellung von Krieg und politisch motivierter Gewalt ist sein Film durchaus gelungen.

    1988: Capitaine Philippe Legorjus (Mathieu Kassovitz), Verhandlungsspezialist und zugleich Hauptmann einer Anti-Terror-Einheit, wird in den Pazifik abkommandiert. Separatisten der Kanak genannten melanesischen Ureinwohner haben in Neukaledonien einen Stützpunkt der Polizei überfallen und 30 Geiseln genommen. Neben Legorjus‘ Truppe wird auch die Armee mit 300 Soldaten entsandt. Während das Militär auf ein schnelles Eingreifen drängt, gewinnt Legorjus allmählich das Vertrauen von Alphonse Dianou (Iabe Lapacas), dem Anführer der Rebellen. Ein Waffenstillstand scheint möglich, denn auch die Ältesten von Dianous Stamm drängen die ungestümen Geiselnehmer zum Gewaltverzicht. Doch in Frankreich stehen bald Präsidentschaftswahlen an, und weder François Mitterand noch Jacques Chirac wollen vor ihrem Volk als Schwächlinge dastehen.

    Im Original heißt Kassovitz' Film „L'ordre et la morale", und schon die erste Einstellung belegt den bitteren Sarkasmus, der hinter diesem Titel steckt: In Zeitlupe taumelt Legorjus durch ein Schlachtfeld, zwei, drei dunkelhäutige Männer, die ihn für einen Verbündeten gehalten haben, führt man an ihm vorbei, aus einer Grube springt ein Mensch heraus und kniet sich direkt unter den Abzug einer Pistole. Es herrschen Mord und Chaos, von Ordnung und Moral dagegen, die durch den Eingriff des Militärs wiederhergestellt werden sollten, keine Spur. Kassovitz kann mit dem Ende der Geschichte beginnen, denn der Ausgang des Geiseldramas ist zumindest der französischen Öffentlichkeit wohlbekannt. Vermutlich aber nicht die Grausamkeit, mit der der Aufstand niedergeschlagen wurde. Doch Kassovitz inszeniert kein Tableau aus Blut und Gedärmen, sondern vielmehr ein hoch artifizielles Delirium, ein Spiegelbild der irritierten Wahrnehmung auf dem Schlachtfeld. Es ist nicht die einzige Szene, die Zweifel daran ausdrückt, ob eine naturalistische Darstellung dem tatsächlichen menschlichen Empfinden im Kampf wirklich nahekommen kann.

    So wird der Ablauf des Überfalls auch nicht in einer einfachen Rückblende geschildert, sondern in einer Vermischung von Gegenwart und Vergangenheit: Während ein Polizist für Legorjus die Geiselnahme beschreibt, gehen die beiden in der Station umher, während rings um sie noch einmal der nachgestellte Angriff abläuft. Durch diese Form wird deutlich, dass hier keine exakte Rekonstruktion stattfindet und stattfinden kann, sondern bestenfalls eine Annährung an das tatsächliche Geschehen. Auf ähnliche Weise funktioniert der ganze Film. Die Ankunft der französischen Helikopter wird zum Beispiel dadurch angekündigt, dass die Blätter der Baumkronen in hektisches Rascheln gebracht werden. Als Symbol der Gefahr ist dieses Bild mindestens so stark wie es plakative Aufnahmen von durchsiebten Körpern oder von napalmgeschädigten Flächen wären.

    Einmal nur gibt Kassovitz der Versuchung nach und lässt die Kamera im Kampfgeschehen nah und hektisch zwischen Leibern und Büschen hin- und herwackeln. Doch selbst diese konventionelle Sequenz ist handwerklich immer noch mehr als beachtlich. Viel weniger Sogkraft können allerdings die zahllosen, sich zuweilen zäh dahinziehenden Verhandlungen, Telefonate und Gespräche entwickeln, auch wenn es Kassovitz durchaus gelingt, sie als sozusagen bürokratische Kehrseite der unmittelbaren Gewalt zu etablieren: In der Organisation und in der Verwaltung des Konflikts zeigt sich ein System, dem eine andere, letztlich nicht minder brutale Gewalt innewohnt.

    Klare Schwächen hat „Rebellion" hauptsächlich da, wo Kassovitz allzu eindeutig Partei ergreift. Einen langen Monolog gönnt er Alphonse Dianou, dem die Kamera währenddessen immer näherrückt, bis das Gesicht des Rebellenführers das ganze Bild ausfüllt. Sinngemäß heißt es hier: „Wenn ihr den ganzen Planeten in Geld verwandelt habt, dann werden wir die letzten Überlebenden sein". Sicher, es ist nur eine Figur, die hier spricht. Aber Kassovitz legt durch die Inszenierung nahe, dass er sich diese Position zu eigen machen will, die außerhalb ihres Kontextes allerdings nur noch den Gehalt einer platten imperialistischen Bannerparole hat. Solche groben Zuspitzungen, die der ansonsten angemessen komplexen Inszenierung zuwiderlaufen, bleiben aber die Ausnahme.

    Fazit: Wenn Regisseur Mathieu Kassovitz sich in den Abläufen der Tagespolitik verstrickt wie sein Protagonist, zerfasert die Dramaturgie spürbar. Aber die sorgfältige Bildsprache mit ihrer symbolisch gebrochenen Inszenierung von Gewalt macht das Kriegs- und Politdrama in jedem Falle sehenswert.

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