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    Mit den Waffen einer Frau
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Mit den Waffen einer Frau
    Von René Schumacher

    Keine Frage - seit Michael Moores Bowling For Columbine ist der abendfüllende Dokumentarfilm im Kino auf dem Vormarsch. Eine sehr begrüßenswerte Entwicklung, denn viel zu lange stand diese Filmform im Schatten ihres „großen“ Spielfilm-Bruders. Hierzulande kann man den Aufschwung vor allem an den Sportfilmen im Kino ablesen. Nach Dokumentationen über Fußball (Deutschland. Ein Sommermärchen) und Handball (Projekt Gold) verschaffen die Filmemacher Ralf Heincke und Florian Leidenberger mit „Mit den Waffen einer Frau“ jetzt dem Biathlonsport einen Auftritt auf der großen Kinoleinwand. Allerdings reicht es im Vergleich mit den oben genannten Vorgängern nur für Bronze, was nicht an den durchaus sympathischen Hauptdarstellerinnen liegt, sondern eher an konzeptionellen Mängeln des Films.

    Im Gegensatz zu ihren Referenzen haben die beiden Regisseure sich nicht nur auf ein einzelnes Sportereignis konzentriert, sondern die deutsche Damen-Biathlon-Mannschaft sieben Monate bei der Vorbereitung auf die WM und schließlich bei dem Großereignis selbst im italienischen Antholz begleitet. Dabei folgen sie dem Team quer über den Globus: angefangen von ersten Sommer-Trainingseinheiten im sonnigen US-Bundesstaat Utah und im österreichischen Obertiliach, über medizinische Belastungstest im deutschen Oberhof, dem ersten Schneelehrgang im finnischen Muonio bis zu den Weltcuprennen des Winters und dem Saisonhöhepunkt, der Biathlon-WM in Antholz. Dabei kann sich der Zuschauer von der absoluten Leidensfähigkeit dieser Hochleistungssportlerinnen überzeugen, so zum Beispiel wenn Kati Wilhelm verdrahtet, verkabelt und mit einer Atemmaske versehen wie ein Hamster auf dem Laufrad erfolgreich einen Belastungstest besteht, der bei normal Sterblichen wahrscheinlich zum sofortigen Herzstillstand führen würde. Oder wenn die Neulinge Magdalena Neuner und Kathrin Hitzer ihr Mannschafts-Aufnahme-Ritual über sich ergehen lassen müssen. Bei dieser bizarren Aufnahmeprüfung für neue Teammitglieder müssen die Mädchen vor den Augen ihrer Teamkolleginnen eine schwedische Delikatesse namens Surströmming verzehren. Dieser Fisch wird ein halbes Jahr in einer Dose gegoren, bis diese durch den Druck der Faulgase fast platzt. Und dementsprechend ist auch die Geruchsentwicklung, wenn man die Dose unsachgemäß öffnet oder den Sud in der Dose nicht abkippt. Zu sehen, was passiert, wenn man dies absichtlich nicht tut, um neue Mitglieder in der Biathlonfamilie zu begrüßen, das gehört definitiv zu den Highlights dieser Dokumentation.

    „Mit den Waffen einer Frau“ verdankt wohl einen Großteil seiner Stärken der Tatsache, dass die Filmemacher das Damen-Team über so einen langen Zeitraum begleiten. So konnten sie ein Vertrauensverhältnis aufbauen, das die Interviews mit den Athletinnen größtenteils authentisch und diese auch sehr sympathisch macht. Mit erfrischender Offenheit wird darüber geredet, dass man manchmal Schwierigkeiten hat, den Nationaltrainer zu verstehen, weil der heute so und morgen wieder anders redet. Und es wird kein Hehl daraus gemacht, dass der Schneelehrgang in Finnland mit den eintönigen Laufeinheiten nicht jedermanns Sache ist. Allein von den Bildern bietet „Mit den Waffen einer Frau“ Biathlon-Fans einen neuen Blick auf diese Sportart jenseits der klassischen Fernsehoptik. Gekonnt nutzen die Filmemacher die Möglichkeit einer großen Leinwand. Auf einem Fernsehbildschirm würde viel von der Bildintensität des Films verloren gehen. Unter anderem sind den Filmemachern zum Teil beeindruckende Landschaftsaufnahmen aus den verschiedenen Ländern gelungen, in die sie die Biathletinnen begleitet haben. So zeigen die ersten Bilder des Films eine sonnendurchglühte, staubige Landschaft in Utah – ein sehr spannender Einstieg in einen Film über eine Wintersportart! Da verzeiht man dann auch mal kleine misslungene filmische Experimente wie z.B. verwischte Wackelkamera-Bilder von Bäumen im Stile von Blair Witch Project, die bedeutungsschwanger andeuten, dass Kati Wilhelm ein WM-Rennen vorzeitig abbricht.

    Dass der Film trotzdem einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt, liegt nicht daran, wie Heincke und Leidenberger es erzählen, sondern an der Unentschlossenheit darüber, was sie eigentlich erzählen bzw. dokumentieren wollen. Nimmt man Sönke Wortmanns „Deutschland. Ein Sommermärchen“ zum Vergleich, dann beginnt dieser mit Aufnahmen aus der Mannschaftskabine nach dem Italien-Spiel. Sofort ist dem Zuschauer klar, hier geht es um ein Porträt einer Mannschaft, nicht eines einzelnen. Dagegen beginnt „Mit den Waffen einer Frau“ als Einzelporträt einer Sportlerin, in diesem Fall Kati Wilhelm, der alleine die ersten Minuten gehören. Später wechselt der Fokus der Erzählung auf die gesamte Mannschaft, dann rückt immer mehr Magdalena Neuner in den Mittelpunkt, die als Nationalmannschafts-Neuling eine herausragende Saison absolviert und ihre Liebe Not mit der neuen Fan-Verehrung hat. Zwischendurch wird auch noch die Geschichte eines deutschen Trainers in der chinesischen Nationalmannschaft angerissen, die sich aber so schnell wieder im Sande bzw. Schnee verläuft, wie sie angefangen wurde. Zugegeben, bei der Materialfülle, die den Filmemachern zur Verfügung stand, war es bestimmt schwierig, die richtigen Akzente zu setzen. Aber so erzählen Heincke und Leidenberger vieles, aber nichts konsequent. Symptomatisch für die Unsicherheit über den Schwerpunkt ist die Gestaltung des Filmplakates. Auf der ersten Version ist nur Kati Wilhelm abgebildet und auch der singuläre Titel „Mit den Waffen einer Frau“ spricht dafür, dass - wie in den ersten Minuten zu sehen – der Film eigentlich ein Einzelporträt werden sollte. Das neue Plakat, mit dem jetzt geworben wird, zeigt dagegen Andrea Henkel, Martina Glagow und Kati Wilhelm gemeinsam auf dem Podest, was auf ein Mannschaftsporträt hinweist.

    „Mit den Waffen einer Frau“ ist ein Film von Biathlon-Fans für Biathlon-Fans. Dies wird alleine durch die Tatsache unterstrichen, dass es jede Menge Protagonisten, aber nur am Anfang kurze Namenseinblendungen gibt. Eine gewisse Kenntnis über die Materie wird vorausgesetzt. Der erste abendfüllende Sport-Dokumentarfilm des Duos Heincke und Leidenberger ist ordentlich, aber über 94 Minuten geht ihm im Gegensatz zu seinen Vorgängern etwas die Struktur verloren. Abschließend kann man Florian Leidenberger aber nur zustimmen, wenn er anmerkt, dass es beim Dreh im Gegensatz zu anderen Sportarten intelligentere Gesprächspartner gab. Die deutschen Biathletinnen sind nicht nur sportlich, sondern auch verbal im Gegensatz zu manchem teutonischen Berufsballtreter weltmeisterlich!

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