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    Tooth and Nail
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    0,5
    katastrophal
    Tooth and Nail
    Von Jan Hamm

    Bei Uwe Boll weiß doch mittlerweile eigentlich jeder, woran er ist. Umso erstaunlicher, dass das deutsche Regie-„Wunderkind“ immer wieder mit relativ hochwertigen Besetzungslisten aufwarten kann. Wissen die Darsteller nicht, worauf sie sich da einlassen? Oscar-Preisträger Ben Kingsley (Ghandi) wird sicher keine künstlerischen Ambitionen verfolgt haben, als er sich für den Vampir-Schrott Bloodrayne verpflichtete. Eine mögliche Antwort: Im Kontext der sonstigen Direct-to-DVD-Flut steht Boll nicht allein da. Zumindest Michael Madsen (ebenfalls Bloodrayne), der trotz lässigem Auftritt in Tarantinos Kill Bill fest im Karrieresumpf steckt, dürfte sich über ein neues Angebot aus Deutschland freuen. Denn die Filme, mit denen Madsen heute seinen Kühlschrank füllt, lehren selbst Boll-Gestählten das Fürchten. Wenige Monate nach Last Hour geht es jetzt mit „Tooth And Nail“ qualitativ ebenbürtig weiter. Mark Youngs Endzeit-Thriller schockiert mit Darstellern auf Talkshow-Niveau, einem nahezu skandalösen Mangel an Schauwerten und prätentiösem Geschwafel über die Bestialität des Menschen. Zu sehen gibt es davon allerdings wenig – selbst als Splatterfilm versagt „Tooth And Nail“. Bestialisch ist hier höchstens die PR, die mit Madsen wirbt, obgleich der nur knappe fünf Minuten im Film zu sehen ist.

    Alte Maya-Kalender haben uns gewarnt, doch wir wollten nicht hören: Pünktlich zum Anbruch des Jahres 2012 geht die Welt unter. Schuld haben nicht etwa Naturkatastrophen oder Aliens, es ist bloß kein Benzin mehr da. Und da Elektroautos noch nicht chic sind, hat sich damit jeglicher Gütertransport erledigt. Der Welthandel bricht zusammen, die Gesellschaft versinkt in Anarchie und Barbarei. Auf der Flucht vor marodierenden Gangs hat sich eine Truppe Überlebender um Professor Darwin (Robert Carradine) und Scharfschütze Viper (Michael Kelly, Dawn Of The Dead) in einem leerstehenden Krankenhaus verschanzt. Vorräte und Wasser sind vorhanden, jetzt heißt es: stillhalten! Doch kurz nachdem sie der verirrten Neon (Rachel Miner, The Black Dahlia) Asyl gewährt haben, kreuzen in Felle gekleidete Hühnen (u.a. Michael Madsen, Vinnie Jones The Midnight Meat Train) im Vorhof auf. Neon erkennt die Meute wieder: Die sogenannten Rovers plündern und morden nicht bloß, sie befördern ihre Opfer direkt auf den Bratspieß…

    Treibende Metalklänge eröffnen „Tooth And Nail“, der seine Vorgeschichte in Form einer aussagekräftigen Collage erzählt. Unwirklich im Abendrot glühende Industrieanlagen wechseln sich mit Großstadtpanoramen ab, die den Weg in die Apokalypse als Wettlauf zwischen urbanem Verkehrschaos und hinterherhinkender Ölförderung vorzeichnen. Ein paar Schnitte später ist das geschäftige Treiben verstummt. Ausgebrannte Autowracks samt verkohlten Fahrern säumen leeregefegte Straßen, eine Stimme aus dem Off legt Zeugnis über den Niedergang der Zivilisation ab. Als düsterer Musik-Clip wäre „Tooth And Nail“ durchaus brauchbar gewesen. Und das war’s dann. Vom postapokalyptischen Setting gibt es im restlichen Film nichts mehr zu sehen. Die spärliche Handlung spielt mit Ausnahme des Finales ausschließlich innerhalb des Hospitals. Sähe das sterbenslangweilige Interior doch wenigstens ein wenig morbide aus!

    Zur Abbildung einer zerfallenden Welt reicht ein so enger Raum eigentlich völlig aus. Das hat George A. Romero mit seinem klaustrophobischen Zombie-Klassiker Night Of The Living Dead bereits bewiesen. Aber da die Fleischfresser in „Tooth And Nail“ ja keine Untoten sind, hat sich Regisseur Young lieber anderswo bedient: Die Mischung aus Höhlenmensch und Rocker übernahm er eins zu eins aus Mad Max, ohne allerdings deren bedrohlichen Charakter einzufangen. Stattdessen legen die Rover nahe, dass Menschenfleisch schlicht dumm macht. Sie geben sich Namen wie Badass oder Mongrel, schimpfen ihre eigenen knurrenden Mägen mit donnerndem „Halt’s Maul!“ aus und laufen mit steinzeitlichen Keulen umher. Dass sie damit aus akuter Gammelfleisch-Unlust jeweils nur ein Opfer pro Mittagessen umhauen, ist noch plausibel. Warum die Kannibalen den restlichen Nachschub aber immer wieder vorsätzlich entkommen lassen, statt ihr Gefängnis damit aufzufüllen, entzieht sich jedem Erklärungsversuch. Hier wird nicht etwa eine archaische Jägermentalität demonstriert, sondern bloß zur Streckung der quasi nonexistenten Handlung ausgeholt.

    Die fürchterlich inszenierten Actionsequenzen sind ebenso zäh, denn über Schritttempo kommen die Akteure nie hinaus. Young versucht, eine Atmosphäre der Unentrinnbarkeit zu etablieren, gibt seine Figuren damit aber erst Recht der Lächerlichkeit preis. Die kaum zur Artikulation fähigen Rover schlurfen so somnambulant durch die Flure, dass ihnen selbst ein Rollstuhlfahrer problemlos entwischen könnte. Ausgenommen davon ist ein sichtlich gelangweilter Michael Madsen, der nach ein paar herausgebrummten Onelinern das Zeitliche segnet. Gut möglich, dass er in „Tooth And Nail“ sein bis dato würdelosesten Auftritt absolviert. Den endgültigen Todesstoß versetzt Young seinem Machwerk mit einer unmöglichen Platzierung von Schockeffekten. Das Blickfeld seiner arglosen Protagonisten entspricht dabei immer exakt der Kameraperspektive, unabhängig davon, wie überschaubar das Gelände eigentlich ist. Das führt dazu, dass in Blutlachen ausgerutscht und gegen hungrige Kannibalen gerannt wird, nur weil der Zuschauer diese zuvor nicht sehen konnte. Es ist unfassbar, wie mutwillig dem Bildschirmgeschehen damit immer wieder jede Plausibilität entzogen wird.

    Wo und wann die Flüchtlingstruppe ins offene Messer rennt, ist ohnehin belanglos. Mit Figurenzeichnung hält der Film sich nicht auf, Grund zum Mitfiebern gibt es nicht. Statt sich glaubhaft mit der Bedrohung auseinanderzusetzen, wird nach Darwins Tod (welch’ grandiose Symbolik) eine Anführer-Neuwahl abgehalten, bei der exakt vier Stimmen über zwei Kandidaten abgegeben werden. Ähnlich lächerlich sind auch die restlichen Dialoge, etwa ein Streit zwischen Darwins Gespielin Dakota (Nicole DuPort) und Neon, der neuen Lagerchefin: „Ich habe noch keinen Plan. Werd du doch Anführerin, dann siehst du, wie schwer das ist!“ Ob Drehbuchautor Young seine Darstellerin hier wohl als Sprachrohr für einen persönlichen Hilfeschrei nutzt? Anstatt im Finale noch einmal an das Intro und dessen kritischen Kommentar zu ökopolitischen Sünden anzuknüpfen, werden pathetische Aphorismen über die Bestie Mensch herausposaunt, während Dakota mit schwarzer Conan-Gedächtnisschminke durchs Kannibalenlager wütet. „Tooth And Nail“ ist inszenatorisch und optisch desolate Zivilisationskritik im „Bild“-Format. Bleibt Michael Madsen und seinen Kollegen nur zu wünschen, dass bald wieder Rollen bei Uwe Boll frei werden. Jetzt kann es nur noch aufwärts gehen.

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