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    Das Herz ist ein dunkler Wald
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Das Herz ist ein dunkler Wald
    Von Nicole Kühn

    Nach ihrem ersten Schritt von der Schauspielerin zur Regisseurin („Jeans“, 2001) legt Nicolette Krebitz mit ihrem zweiten Langspielfilm eine Arbeit vor, die in ihrer inhaltlichen und formalen Konsequenz nicht ganz leicht verdaulich ist. Was passiert, wenn man durch einen ganz alltäglichen Vorfall plötzlich entdeckt, dass das eigene Lebenskonzept auf einer Illusion beruht? Dass die Dinge, die die eigene Identität zu einer einzigartigen werden lassen, für andere Menschen austauschbar sind? Und wenn das Glück, das man intim zu teilen glaubt, sich als unzureichend für die anderen Teilhaber erweist? So unaufgeregt wie eindringlich erforscht das Drama „Das Herz ist ein dunkler Wald“ die Schichten, die unter den gesellschaftlichen und sozialen Mustern verborgen liegen.

    Marie (Nina Hoss) und Thomas (Devid Striesow) führen ein Leben wie viele andere es tun: Der Alltag im Reihenhaus ist nicht frei von Sorgen und Enttäuschungen, doch insgesamt läuft alles in geordneten Bahnen. Während Marie ihre eigene Karriere als Musikerin der Kinder wegen aufgegeben hat, sucht Thomas zunehmend durch Events statt Klassik, die Familienkasse aufzubessern. Wie dringend nötig das ist, stellt Marie in einem schockierenden Moment fest: Das gleiche Ensemble mit Frau, Kind und Reihenhaus hat Thomas noch ein zweites Mal, ein paar Straßen weiter nur, mit einer Freundin der Familie. All ihrer unverbrüchlich geglaubten Konstanten in ihrem Leben beraubt irrt Marie wie besinnungslos durch die Straßen. Alle bisherigen Werte scheinen sich ins Gegenteil zu verkehren, und so stürzt sich die Hausfrau und Mutter in das bizarre Treiben auf dem Kostümball, bei dem ihr geteilter Gatte für die entsprechend extravagante musikalische Unterhaltung sorgt. Nach jahrelanger Blendung möchte sie endlich den Menschen sehen, mit dem sie ihr Leben teilt, wissend, dass dies ein Trip ohne Rückfahrkarte ist.

    Regisseurin Krebitz verlegt das Handlungszentrum ihrer Beziehungsanalyse auf ein abgelegenes Schlösschen mit leicht morbidem Charme, auf dem ein durchaus erotisch aufgeladener, bizarrer Kostümball stattfindet. Zu deutlich sind die Parallelen, um nicht Stanley Kubricks Meisterwerk Eyes Wide Shut zu assoziieren. Damit legt sich der Film mutig die Messlatte recht hoch. Glücklicherweise findet Krebitz trotz dieser Affinitäten einen sehr eigenen Ausdruck, der sich störrisch gegen die gewohnte geschmeidige Filmästhetik absetzt. Wie Gedankenblitze drängen sich plötzlich Erinnerungssequenzen in die Gefühlswirren, die mit dem völligen Fehlen jeglicher Requisiten die beiden Hauptdarsteller vor der Leere eines schwarzen Hintergrundes völlig auf sich selbst zurückwerfen. Lichte Momente sind dies, die den Strudel der Ereignisse, in dem Marie sich unversehens befindet, unterbrechen.

    Die Möglichkeiten, den Kostümball als Reigen der unverwirklichten Varianten des eigenen Lebens zu inszenieren, nutzt Krebitz nur am Rande. Mit Mietzi (Monica Bleibtreu) und Hans (Simon Schwarz) tauchen zwei Figuren auf, die lediglich dazu dienen, der enttäuschten Ehefrau einen Spiegel vorzuhalten. Auch der Charmeur Jonathan (Marc Hosemann) bleibt eine Folie, auf die Marie Sehnsüchte projizieren kann, von denen sie nicht einmal selbst weiß, ob sie ihr wirklich in ihr Schlummern oder lediglich Ausdruck der Verletzung sind. Die Stationen der Erkenntnis, die die tragische Heldin hier durchläuft, bleiben zu isoliert und mühevoll motiviert, als dass sie sich zu einer flüssigen Geschichte zusammenfinden würden. Wie ein künstlerisches Diktum schwebt die Anlehnung an die klassische Tragödie über dem Ganzen und scheut auch vor der pathetischen Symbolik des geschundenen Jesus nicht zurück.

    Für die teils surrealen Gedankenwelten findet Bella Halben hinter der Kamera düstere, ausdrucksstarke Bilder. In ihr hat Krebitz eine kongeniale Kollegin gefunden, um ihre eigenwillige und sehr gezielte Filmsprache visuell umzusetzen. Die gleiche Präzision bringt auch das hochkarätige Darstellerensemble ein, das mit Nina Hoss, Devid Stresow und Frankziska Petri einige der vielschichtigsten Schauspieler vereint. Dass Krebitz selbst als Schauspielerin tätig ist, die sich dem Auge des Betrachters präsentieren muss, war den vielen schonungslos offenen Szenen sicherlich zuträglich. Beiden weiblichen Darstellern ist eine zugleich willensstarke und verletzliche Ausstrahlung eigen, die sich an der seltsamen Mischung von Pragmatismus und Unentschlossenheit von Striesow aufreibt. Diese Energie lässt den Film trotz seiner anstrengenden Thematik und formellen Sperrigkeit nicht langatmig wirken und sorgt für einen nachhaltigen, fast verstörenden Eindruck. „Das Herz ist ein dunkler Wald“ ist ein mutiges Kunstwerk, das der seichten Unterhaltung die Forderung an den Zuschauer entgegensetzt.

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