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    Meine Mütter - Spurensuche in Riga
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Meine Mütter - Spurensuche in Riga
    Von Christoph Petersen

    Unter dem Motto „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“ avancierte der Filmemacher Rosa von Praunheim Anfang der 70er Jahre mit Kultfilmen wie „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ und „Die Bettwurst“ in Rekordzeit zum Helden des queeren Underground-Kinos. Nebenbei interessierte sich Praunheim schon immer auch für den Dokumentarfilm, einer Leidenschaft, der er bis heute regelmäßig frönt. Mit Werken wie „Stolz und schwul“, „Männer, Helden, schwule Nazis“ und seiner „Aids“-Trilogie entwickelte er sich so zu dem Chronisten homosexuellen Lebens in Deutschland schlechthin. Nun kommt mit „Meine Mütter – Spurensuche in Riga“ eine Dokumentation in die Kinos, die auf den ersten Blick zwar so ganz anders scheint, sich aber doch nahtlos in Praunheims bisheriges Schaffen einfügt. Denn auch wenn man queere Elemente diesmal vergebens sucht, ist „Meine Mütter“ mindestens genauso persönlich und intim ausgefallen wie die Filme Praunheims zuvor – vielleicht ist es sogar sein persönlichster überhaupt geworden.

    Im Jahr 2000 eröffnet seine 94-jährige Mutter ihrem Sohn Holger Mischwitzky (so Praunheims bürgerlicher Name), dass er nicht ihr leiblicher Spross sei: „Ich will nicht mit einer Lüge sterben. Ich habe dich in Riga im Kinderheim gefunden.“ Zunächst plant Mischwitzky nicht, nach seiner leiblichen Mutter zu suchen. Auch aus Respekt vor seiner Adoptivmutter, die ihn so fürsorglich und tolerant aufgezogen hat. Erst nach ihrem Tod erwacht schließlich doch seine Neugier. Natürlich gestaltet sich die Suche zunächst verdammt schwierig, ohne seinen richtigen Familiennamen erweist sich das Unterfangen für Mischwitzky wie die sprichwörtliche Nadelsuche im Heuhaufen. Durch eine ganze Reihe von Zufällen findet er im lettischen Staatsarchiv schließlich doch Informationen, die ihn weiterbringen. In der Folge gelingt es ihm sogar, in Berlin seine richtige Geburtsurkunde aufzutreiben, die Unerwartetes offenbart – Mischwitzky ist im Zentralgefängnis von Riga zur Welt gekommen. Um die Suche nach seiner Mutter weiter voranzutreiben und vielleicht sogar noch andere, lebende Angehörige von sich aufzuspüren, setzt sich Mischwitzky in einen Flieger und kehrt nach 63 Jahren in seine Geburtsstadt Riga zurück…

    Die Suche eines adoptierten Sohnes nach seiner leiblichen Mutter – das hört sich jetzt nicht gerade wahnsinnig spannend an, ist es aber. Dies liegt zunächst einmal an Praunheim selbst. Auch wenn er ständig im Bild zu sehen ist, drängt er sich nie in den Vordergrund, sondern stellt sich vielmehr auf die Seite des Publikums – bei jedem kleinen Fortschritt freut er sich so ehrlich, dass man als Zuschauer einfach mitfiebern und ihm beide Daumen drücken muss. Wenn er seine Tante und seinen Cousin schließlich zum ersten Mal in die Arme schließt, dürfte bei dem einen oder anderen gar eine kleine Träne über die Wange kullern. Auf der anderen Seite fasziniert auch das Stück Zeitgeschichte, das Praunheim im Verlauf seiner Suche freilegt. So besucht er das ehemalige AEG-Werk in Riga, in dem sein Vater als Ingenieur gearbeitet hat. Im Anschluss spricht er mit einer Zwangsarbeiterin, die in dem Werk schuften musste. Dabei offenbart Praunheim ein sehr gesundes, tiefes und ehrliches Verständnis gegenüber der Schuld, die die Generation seiner Eltern auf sich geladen hat. Die weiteren Nachforschungen bringen dann noch zahlreiche interessante Fakten und Anekdoten zu anderen Themen, beispielsweise dem Zusammenhang von Psychotherapie und Euthanasie im Dritten Reich, mit sich.

    Fazit: „Meine Mütter – Spurensuche in Riga“ ist ein zwar kleiner, aber nichtsdestotrotz spannender, intimer und sehr bewegender Dokumentarfilm, der die persönliche Historie des Filmemachers geschickt mit zeitgeschichtlichen Beobachtungen verstrickt. Einer von Praunheims besten!

    Interview mit Regisseur Rosa von Praunheim

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