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    Dance for All
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Dance for All
    Von Andreas Staben

    1991 riefen die südafrikanischen Ballett-Tänzer Philip Boyd und die im Mai 2008 verstorbene Prima Ballerina Phyllis Spira ein ungewöhnliches Projekt ins Leben. Mit ihrer Initiative „Dance For All“ gaben sie Kindern und Jugendlichen aus den Townships um Kapstadt die Möglichkeit, kostenlos an Tanzstunden teilzunehmen. Damit sollte im tristen Alltag der von Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit gebeutelten jungen Leute ein sinnvoller Kontrapunkt gesetzt werden. Inzwischen werden rund 1.000 Kinder bei „Dance For All“ unterrichtet, eine bemerkenswerte Zahl, die für den Erfolg des Projekts steht. Die beiden deutschen Filmemacherinnen Elena Bromund und Viviane Blumenschein stellen in ihrer nach der Initiative ebenfalls „Dance For All“ benannten Dokumentation die Porträts ausgewählter junger Tänzer in den Mittelpunkt. Die Konzentration auf eine solche Innenperspektive führt in diesem Fall zu einigen ungewöhnlichen und aufschlussreichen Eindrücken von den ganz besonderen Lebensumständen der Schüler. Leider fügen sich die Momentaufnahmen kaum zu einem kohärenten Ganzen, da bewusst auf eine genauere Darstellung der Hintergründe und Zusammenhänge verzichtet wird und auch die konkrete Arbeit an der Tanzschule nur schlaglichtartig beleuchtet wird.

    Bromund und Blumenschein setzen meist recht kurze Szenen aus dem Unterrichtsalltag neben Interviewsequenzen. Dabei folgen sie der üblichen lockeren Anordnung, der Fokus wechselt immer wieder von einer Person zur anderen. Bei der Auswahl der Porträtierten werden Jungen und Mädchen verschiedener Altersgruppen berücksichtigt, ein Schwerpunkt liegt aber deutlich auf den Ehrgeizigen und Talentierten: Vom im Ausland erfolgreichen, nun zurückgekehrten Theo, über Nqaba, den es nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in San Francisco nicht mehr in Afrika hält, hin zu Zandile, die von der großen weiten Welt träumt, sich aber noch mehr wünscht, dass ihr Vater ihren großen Auftritt sieht. Die Vorbereitung auf diese Darbietung, mit der sich die neugegründete Youth Company 2005 erstmals der Öffentlichkeit vorstellte, bildet in der zweiten Filmhälfte so etwas wie einen roten Faden.

    Die Rolle des Tanzes als Mittel zum sozialen Aufstieg oder zur Überwindung von Gegensätzen ist im Genre-Spielfilm Hollywoodscher Prägung von „Flashdance“ bis zu „Save The Last Dance“ und Dance! seit jeher ein prägendes Motiv. Mit „Rhythm Is It!“, dem erfolgreichen Film über ein pädagogisches Projekt der Berliner Philharmoniker, wurde die integrative Macht des Tanzes dann auch in einer Dokumentation beschworen. In „Dance For All“ stehen die sozialen Aspekte nun noch stärker im Mittelpunkt. Die Tanzstunden bieten den Kindern und Jugendlichen in einer Welt zerrütteter, häufig von den Vätern im Stich gelassener Familien den einzigen Fluchtpunkt. Es ist bezeichnend, wenn Nqaba sich bei seinem San-Francisco-Aufenthalt fragt, warum die amerikanischen Mitschüler angesichts der Vielfalt an Möglichkeiten, die ihnen offenstehen, überhaupt tanzen. Die Institution „Dance For All“ erscheint im Film auch als eine Lebensschule, in der Disziplin, das Einhalten von Regeln und Zielgerichtetheit gelehrt werden. Allerdings bleiben gerade bei den Konfliktpotentialen viele Fragen offen, so eröffnet die Gründung einer professionellen Jugendkompanie zwar eine weitere Perspektive, dies gilt allerdings nur für wenige der Schüler. Auch der Druck von außen, sei es Widerstand in den Familien oder die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, mit der spätestens die jungen Erwachsenen konfrontiert werden, kommt hier kaum vor.

    Die Initiatoren des Tanzprojekts formulieren in ihren Äußerungen ambitionierte Ziele, der kritische Abgleich mit einer Außenperspektive fehlt dem Film aber. Dies gilt für die gesellschaftspolitische Dimension, aber auch für die künstlerische Seite des Unternehmens. Die in diesem Kontext fast exotisch wirkende europäische Tradition des klassischen Balletts wird hier mehr oder weniger konventionell gelehrt und wiedergegeben, die Reibung mit afrikanischen Einflüssen findet am ehesten über den Soundtrack statt. Die Tanzsequenzen selbst sind zum großen Teil wenig aussagekräftig, dafür sind die präsentierten Passagen meist zu kurz und die Arbeit wird auch nicht in ihrer Kontinuität dargestellt. So wird letztlich weniger der individuelle Ausdrucksgehalt der Tanzeinlagen vermittelt, vielmehr wird die Attraktivität und Eleganz der Körper in Bewegung, also der Oberflächenreiz, wirkungsvoll eingefangen und durch die Lichtsetzung des versierten Kameramanns Franz Lustig (Don´t Come Knocking, Land Of Plenty) noch akzentuiert. Dessen Gespür für starke Bilder wird immer wieder deutlich, leider wird es nicht im Rahmen einer überzeugenderen Inszenierung zur Geltung gebracht.

    Die gelernte Cutterin und erfahrene Tänzerin Elena Bromund hat unter anderem bei Alles auf Zucker und Liegen lernen den Schnitt besorgt und nun auch „Dance For All“ selbst montiert. Ihr Gefühl für den Rhythmus des Films und des Tanzes kommt dem Werk durchaus zugute, denn „Dance For All“ ist eine recht angenehme Seherfahrung. Umso bedauerlicher ist es, dass Bromund und ihre Co-Regisseurin und Co-Autorin Viviane Blumenschein den über Monate ausgedehnten Südafrika-Aufenthalt nicht zur Entwicklung einer klareren Perspektive verwendet haben. Die Entscheidung, sich ganz auf die Protagonisten und ihre Originaltöne zu konzentrieren, gibt dem Film ein lebendiges Herzstück, aber die fehlende Einordnung macht nicht nur viele Details schwer verständlich, sondern einige lose Enden vermindern die Wirkung zusätzlich. So wird der Film „Dance For All“ seinem gleichnamigen Gegenstand in seiner Komplexität und mit seinen Widersprüchen nur teilweise gerecht.

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