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    Zerrissene Umarmungen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Zerrissene Umarmungen
    Von Ulf Lepelmeier

    Bei der Oscar-Verleihung 2009 hatte Penélope Cruz ihren großen Auftritt, als sie für ihre Leistung in Woody Allens Vicky Cristina Barcelona den Oscar als beste Nebendarstellerin in Empfang nahm. Neben ihrer Dankbarkeit gegenüber Allen, ihren Darstellerkollegen und natürlich ihrer Familie erwähnte sie in ihrer Rede besonders eindrücklich ihren guten Freund und Förderer Pedro Almodóvar (Alles über meine Mutter, Sprich mit ihr, Volver), dessen Filme ihr erst die Gelegenheit gegeben hätten, ihr schauspielerisches Potential zu Tage zu fördern. „Zerrissene Umarmungen“ ist das nun mittlerweile vierte gemeinsame Werk der beiden und wieder einmal versteht es der spanische Regisseur, das Beste aus Cruz herauszuholen. Der zwischen Film Noir, Melodram und Komödie jonglierende Film stellt eine bildgewaltige Verbeugung Almodóvars vor der siebten Kunst dar und entschlüsselt - trotz seiner beinahe schon übertrieben-verschachtelten Struktur - auf amüsante und überaus kurzweilige Weise die Lebensgeschichte des blinden Drehbuchautors Harry Cain.

    Als Regisseur Mateo Blanco (Lluís Homar) bei einem Casting auf die wunderschöne Lena Rivero (Penélope Cruz) trifft, hat er nicht nur die Hauptdarstellerin für seinen neuen Film „Frauen und Koffer“, sondern auch seine große Liebe gefunden. Doch die sich anbahnende Beziehung steht unter keinem guten Stern. Lena ist nämlich mit dem mächtigen, wesentlich älteren Finanztycoon Ernesto Martel (José Luis Gómez) liiert, der von ihr regelrecht besessen ist. So produziert der wesentlich ältere Ernesto nicht nur den Film, er lässt auch seinen Sohn (Rubén Ochiandano) unter dem Vorwand eines Making Ofs jeden von Lenas Schritten mit der Kamera festhalten. Während der Dreharbeiten spitzt sich die Lage immer weiter zu, bis der extrem eifersüchtige Ernsto schließlich hinter die wahren Gefühle seiner jungen Freundin kommt... Viele Jahre später führt der erblindete Mateo unter dem Pseudonym Harry Cain, unterstützt von seiner treuen Agentin Judit (Blancs Portillo) und ihrem Sohn Diego (Tamar Novas), ein ruhiges Leben als Drehbuchautor in Madrid. Mit den Geschehnissen von damals scheint er seinen Frieden gefunden zu haben. Doch die Vergangenheit holt ihn wieder ein, als Martels Sohn plötzlich mit einer Bitte vor ihm steht...

    In „Zerrissene Umarmungen“ beschäftigt sich Almodóvar einmal mehr mit verworrenen Familienverhältnissen und von Obsessionen geprägten Beziehungen. Dabei macht schon der melancholische Titel klar, dass hier eine tragische Liebesgeschichte im Zentrum des Geschehens steht. Die titelgebenden Umarmungen finden sich in zwei unterschiedlichen Formen im auf vielerlei Weise mit Doppelungen spielenden Film wieder. Einmal beschreiben die zerrissenen Umarmungen eine Szene aus Rosselinis Film „Reise in Italien“, in der ein in ewiger Umarmung versteinertes Paar, das im antiken Pompeji vom Vesuvausbruch überrascht wurde, tränenreich von Ingrid Bergman betrauert wird und bei dessen Betrachtung Lena sich wünscht, auch ewig mit Mateo verbunden sein zu können. Ein anderes Mal sind die Worte in einem unscharfen, flackernden Standbild auf einem Bildschirm zu sehen, das die letzte Umarmung von Lena und Mateo zeigt und in seiner Unschärfe die Brüchigkeit des glücklichen Moments spiegelt.

    Die Kameraarbeit von Rodrigo Prietos (21 Gramm, Babel, Brokeback Mountain) ist exzellent und lässt die bedrückende Vulkanlandschaft Lanzarotes, die farbenfrohen Kostüme und die vielen feinsinnig arrangierten Interieurs in schönstem Licht erstrahlen. Verspielt und geradezu virtuos zitiert Almodóvar Filme wie Henry Hathaways „Kiss Of Death" und vermischt Zeitebenen, Genres und verschiedene mediale Ausdrucksformen miteinander. Trotz der inszenatorischen Qualitäten bleibt aber der Eindruck von Überfrachtung und wirkt die kleinlich in Fragmente zerlegte Geschichte zu gewollt, als dass sie die gleiche emotionale Tiefe wie Almodóvars Glanzstücke Sprich mit ihr oder Volver entwickeln könnte. Bei allen Nebenhandlungen, Anspielungen und Symbolen kommt die Kernhandlung mitunter einfach zu kurz.

    Doch dafür lässt der Regisseur den Zuschauer am Zusammentreffen seines früheren hysterisch-bunten und seines mittlerweile etwas ernsteren und weniger derb-überdrehten Stils teilhaben. „Frauen mit Koffer“ ist stark an Almodóvars schrille Komödie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ angelehnt, die ihm 1988 seinen internationalen Durchbruch bescherte. So stolziert Penélope Cruz im Film im Film durch ein von grellen Farben dominiertes Set und schlüpft in die Rolle der Pina, die wie eine Mischung aus der damals von Carmen Maura gespielten Pepa und ihrer etwas naiven Filmfreundin Candela anmutet. Auch die Synchronisationsarbeit, mit der Pepa und ihr geliebter Ivan in „ Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ ihr Geld verdienen, ist bei „Zerrissene Umarmungen“ wieder präsent: Der Ton der Making-Of-Aufnahmen bei den Dreharbeiten stellt sich nämlich als so miserabel heraus, dass Ernesto Martel eine Lippenleserin anstellt, die ihm die Worte seiner geliebten Lena synchronisieren soll. In einer besonders eindringlichen Szene synchronisiert Lena sich selbst und verkündet dabei sowohl in der realen Welt als auch im fiktiven Filmuniversum, dass sie keine Liebe für den reichen Industriellen empfindet und ihn verlassen wird. So demütigt sie den liebestrunkenen Ernesto Martel auf doppelte Weise und lässt den gebrochenen Mann schließlich allein vor der leeren Leinwand zurück.

    Gerade in dieser emotionalen Szene wird die Intensität des Spiels von Penélope Cruz (Elegy oder die Kunst zu lieben, Vanilla Sky) besonders greifbar. Wie schon in Volver setzt Almodóvar seine Muse perfekt in Szene. Bedingt durch die Doppelrolle der zurückhaltenden Lena und der naiv-verrückten Pina hat Cruz die Chance, unterschiedliche Fassetten von sich zu zeigen und somit den übrigen Cast zu überstrahlen, auch wenn ihre Leinwandzeit weitaus kürzer ausfällt als man annehmen möchte. Doch auch die beiden um Lenas Liebe kämpfenden Kontrahenten sind hervorragend besetzt. Nach seiner überzeugenden Darstellung als zwielichtiger Señor Berenguer in La Mala Education begeistert Theaterschauspieler Lluís Homar (Caótica Ana) nun in der Rolle des empfindsamen Regisseurs und späteren Drehbuchschreibers, der neben seiner großen Liebe auch noch die Verfügungsgewalt über den finalen Schnitt seines letzten Films verliert und nur unter dem Pseudonym Harry Cain, das ihm emotionale Distanz zu den tragischen Ereignissen verschafft, weiterleben kann. José Luis Gómez (Goyas Geister) gibt als obsessiv liebender Industrieller, der langsam von seiner Eifersucht zerfressen wird, einen ebenbürtigen Gegenpart ab. Für die spaßigsten Szenen zeigen sich hingegen Carmen Machi (Sprich mit ihr) als geschwätzige Stadträtin für soziale Angelegenheiten, die nur zu gern ihre erotischen Fantasien zum Besten gibt, und Lola Duenas (Volver) als anteilnahmslos-automatenhaft agierende Lippenleserin verantwortlich.

    Fazit: „Zerrissene Umarmungen“ ist ein gewitztes Melodram und zugleich ein verschachtelter Film Noir um die Obsession der Liebe und verdrängte Erinnerungen, in der Penelope Cruz ihre überzeugenden Schauspielkollegen zu übertrumpfen versteht. Auch wenn der Film nicht ganz an die besten Werke Almodóvars heranreicht, ist „Zerrissene Umarmungen“ dennoch eine kurzweilige und perfekt fotografierte Huldigung des spanischen Enfant Terribles an das Medium Film und ein augenzwinkerndes Spiel mit dem eigenen Oeuvre.

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