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    The Limits of Control
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Limits of Control
    Von Christian Horn

    Ein wenig spröde waren die Werke von Jim Jarmusch (Stranger Than Paradise, Broken Flowers) schon immer. Lange Einstellungen und ein gemächlicher Erzählfluss machen den Zugang zu den Filmen des vielleicht letzten wahren Independent-Regisseurs nicht unbedingt leichter. Mit seinem zehnten Film, „The Limits Of Control“, erreicht die spröde Komponente in Jarmuschs Œuvre nun ihren vorläufigen Höhepunkt. War Dead Man sozusagen ein Anti-Western (man erinnere sich nur an den dicken Indianer), ist „The Limits Of Control“ nun eine Art Anti-Thriller. Ein Thriller nämlich, der ohne jegliche Attraktion auskommt und dem Zuschauer eine intellektuelle Versuchsanordnung zumutet, die keinerlei Zugeständnisse enthält. Dermaßen verkopft war Jarmusch noch nie und ein wenig hat er sich mit seinem höchst eigenartigen Film auch verhoben. Dennoch: Fans der vielzitierten Metaebene werden mit „The Limits Of Control“ ihre wahre Freude haben.

    Über einen Plot im eigentlichen Sinn verfügt der Film nicht. Und das, obwohl dem Zuschauer zunächst ein geheimnisvoller Farbiger im Anzug (Isaach de Bankolé, Manderlay) vorgestellt wird, der in der Halle eines Flughafens einen nicht ganz koscheren Auftrag annimmt. Der Mann reist nach Spanien, wo er weitere Instruktionen erhält: Er soll auf eine Violine warten. Wer zu diesem Zeitpunkt noch an eine Kriminalhandlung glaubt, ist jedoch falsch gewickelt. Denn der schweigsame Fremde trifft auf seltsame Personen en masse, erhält von diesen jeweils einen mit einer Geheimschrift beschriebenen Zettel, verspeist ihn und reist anschließend in eine andere spanische Stadt. Dieses Spielchen wiederholt sich mehrere Male…

    Obwohl der Film sich stets dicht bei dem geheimnisvollen Mann aufhält, erfährt man dennoch nichts über ihn. Das liegt vor allem daran, dass er außer „no“, „no mobiles“ und „I used my imagination“ nichts sagt. Er ist genau wie die teilweise prominent besetzten Mittelsmänner, die auf eine nicht erklärte Weise in de Auftrag verstrickt sind, nur eine Schablone. Die Nackte (Paz de la Huerta), die Blondine (Tilda Swinton, Michael Clayton), die Gitarre (John Hurt, Der Elefantenmensch), der Mexikaner (Gael García Bernal, Babel) oder der Amerikaner (Bill Murray, Lost In Translation) heißen sie und größtenteils bleibt es bei nur einem einzigen Auftritt. Sie setzen sich zu dem Protagonisten an den Tisch, reden auf ihn ein (er antwortet ja nicht) und hinterlassen eine Streichholzschachtel mit einem dieser Geheimschriftzettel. Die Themen der Monologe sind stets verschieden: Mal geht es um Filme, dann um Kunst, Moleküle oder Sex. Das erinnert ein wenig an Coffee And Cigarettes, wenngleich es der Zuschauer es diesmal weder mit Dialogen noch mit Kettenrauchern zu tun hat.

    Abseits der Treffen mit den Mittelsmännern zeigt „The Limits Of Control“ den Fremden bei sich immer wiederholenden Handlungen: beim Umziehen auf der Herrentoilette, beim Meditieren (eigentlich wirkt der ganze Film wie eine bloße Meditation, was Erinnerungen an Jarmuschs Ghost Dog hervorruft), beim auf dem Bett liegen, beim Herumlaufen oder beim Besuch einer Kunstgalerie. Wiederholung ist ohnehin eines der auffälligsten Motive des Films. Es gibt kaum ein Bild, kaum eine Drehbuchzeile, die sich nicht permanent wiederholt. „The Limits Of Control“ ist gewissermaßen eine ständige Variation seiner selbst.

    Worum geht es also in Jarmuschs Film? Das zweite wesentliche Motiv ist ein Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage: die Spiegelung. Spielgelungen tauchen in „The Limits Of Control“ sehr häufig auf: als Blick in den Spiegel, als Spiegelung auf der Bildebene, als Doppelung und sogar in einem der Monologe: „Haben Sie auf die Spiegelungen geachtet?“, wird der Fremde gefragt. Denkt man an das Spiegelmotiv in der Kunst, kommt man an dem Psychoanalytiker Jacques Lacans kaum vorbei. In seiner einflussreichsten Theorie, dem Spiegelstadium, hat der Franzose den Blick in den Spiegel – weiter gefasst: den Blick auf den Anderen – als Bedingung für die Herausbildung einer eigenen Identität modelliert. Ein berühmter Ausspruch von Rimbaud, der genau diesen Zusammenhang zwischen den Anderen und dem Ich ausdrückt, lautet: „Ich ist ein Anderer.“ Daher ist sicher kein Zufall, dass Jarmusch seinen Film mit einem Rimbaud-Zitat eröffnet. Die Identität manifestiert sich an der Grenze zwischen Ich und Nicht-Ich, zwischen Innen und Außen. Und für genau diese Grenze interessiert sich Jarmusch: „The Limits Of Control“ eben.

    Ging es in allen bisherigen Jarmusch-Filmen mehr oder minder um Kommunikation, handelt sein neuer Film von der Wahrnehmung an sich und damit letztlich vom Blick des Zuschauers auf die Leinwand. Der Film selbst haucht den Figuren, die letztlich nur leere Hüllen bleiben, kein Leben ein. Das muss der Zuschauer selbst machen und zwar, indem er gegen die Starrheit der Handlung ankämpft. Das ist das Schwierige an diesem Film.

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