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    The Man from Earth
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Man from Earth
    Von Tobias Mayer

    Der Historiker sieht sich für gewöhnlich vor das Problem gestellt, Ereignisse der Vergangenheit lediglich anhand von mehr oder weniger gut erhaltenen Quellen rekonstruieren zu müssen. Zeitzeugen sind oft schon lange tot und die Zeitmaschine bleibt ja leider ein Fantasiekonstrukt. Wie faszinierend ist angesichts dieser Beschränkungen der Gedanke, eine Person zu treffen, die nicht altert und deshalb einen beachtlichen Teil der bisherigen Menschheitsgeschichte selbst miterlebt hat? Science-Fiction-Autor Jerome Bixby wurde von eben dieser Frage getrieben, als er das Drehbuch zu „The Man from Earth" verfasste. Der Film von Regisseur Richard Schenkman kann seiner spannenden Grundidee nicht so viel tiefergehendes Gedankengut abgewinnen wie erhofft.

    Professor John Oldman (David Lee Smith) räumt nach zehn Jahren angesehener Lehr- und Forschungstätigkeit seinen Posten. Freunde und Kollegen treffen sich bei ihm, um dem geschätzten Weggefährten Lebewohl zu sagen. Der versammelte Kreis ist illustrer: Er besteht aus dem Biologen Harry (John Billingsley), der Theologin Edith (Ellen Crawford), dem Anthropologen Dan (Tony Todd), der Historikerin Sandy (Annika Peterson), dem Archäologen Art (William Katt), der Studentin Linda (Alexis Thorpe) und dem Psychiater Dr. Will Gruber (Richard Riehle). Sie alle wollen wissen, warum John seine Stellung aufgibt. Der weicht erst aus, erzählt dann aber doch seine Geschichte. Angeblich lebt er schon seit 14.000 Jahren auf der Erde und wechselt in zehnjährigem Abstand seinen Wohnort, damit niemand den ausbleibenden Alterungsprozess bemerkt. Johns Freunde reagieren mit einer Mischung aus Skepsis und Freude an der intellektueller Diskussion, in deren Verlauf John dazu animiert wird, mehr und mehr verblüffende Details seines außergewöhnlichen Lebenslaufs zu offenbaren...

    Der überwiegende Teil der Handlung von „The Man From Earth" spielt in einem Wohnzimmer, in dem sich Wissenschaftler im gemeinsamen Dialog einem potentiell sehr reizvollen Gedankenexperiment widmen. Die zugrundeliegende Idee begründet wohl auch die gute Reputation des Films inklusive diverser Festivalpreise - und fraglos bietet die Ausgangslage genug Stoff für ein geistig ansprechendes Kammerspiel. Je mehr die Handlung aber voranschreitet, desto größer klafft die qualitative Lücke zwischen gegebenen Möglichkeiten und dem, was daraus gemacht wird. Der einfache Grund lautet: Johns akademisch hochgebildeten Freunden fallen einfach keine wirklich tiefgründigen Fragen ein. An Neugier mangelt es ihnen dabei nicht, die ist trotz allen berechtigten und stets aufs Neue angebrachten Zweifeln nämlich durchaus vorhanden. Wer kann schon zu hundert Prozent garantieren, dass die verrückte Geschichte nicht stimmt? Der vermeindlich Unsterbliche wird also mit allerhand Fragen zu seinen Erlebnissen konfrontiert, die er ausführlich beantwortet. Oft geht es allerdings schlicht darum, welches historische Ereignis oder welchen historischen Prozess er wie mitbekommen hat, so dass die gebildeten Damen und Herren unterm Strich bedauerlich wenig tiefgründige Erkenntnisse ans Tageslicht befördern. Auf Nachfragen, die Johns Umgang mit in 14.000 Lebensjahren angehäufter Schuld oder die mentale Verarbeitung der zahlreichen im Laufe dieser Zeit stattgefundenen Wissensrevolutionen betreffen, wartet man zumindest vergeblich.

    Weitere Überlegungen entlarven dann nicht nur den oberflächlichen Charakter der Fragen, sondern auch Johns stellenweise stark konstruierte und somit unglaubwürdige Geschichte. Ein nicht alternder Mensch trotzt 14.000 Jahre lang Kriegen, Krankheiten und Naturkatastrophen? Akzeptiert, weil sonst der ganze Film nicht funktioniert. Doch spätestens wenn John behauptet, selbst eine der bekanntesten und einflussreichsten Personen der Weltgeschichte zu sein, kann das Drehbuch nicht mehr verbergen, dass es dem Aha-Effekt eine größere Bedeutung einräumt als der Glaubwürdigkeit.

    Auch emotional kocht das von Richard Schenkman inszenierte Sci-Fi-Drama deutlicher auf Sparflamme, als der Inhalt erwarten ließe. In der deutschen Fassung trägt die gekünstelte Synchro sicherlich ihren Teil dazu bei, die Hauptverantwortung liegt jedoch beim unsterblichen Protagonisten. Dessen Unnahbarkeit mag vielleicht seiner immensen Lebenserfahrung geschuldet sein, nichtsdestoweniger erschwert sie die Identifikation. Eine Annäherung an John findet nicht statt, sein Gefühlsleben bleibt dem Zuschauer weitestgehend verschlossen.

    Und dennoch entwickelt das Geschehen einen Sog, der vom Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen begründet wird und den Film bei allen vorhandenen Makeln sehenswert macht. Johns Erzählung bewirkt einen Konflikt, der Leinwandfiguren und Zuschauer gleichermaßen ergreift – die eigene Stimme der Vernunft kämpft mit der nicht bestreitbaren Faszination angesichts eines einzigartigen Schicksals. Dass am Ende eine eindeutige Auflösung steht, führt dann aber wieder schmerzlich vor Augen, wie viele Chancen „The Man From Earth" trotz aller Qualitäten eigentlich vergibt.

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