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    Where In The World Is Osama Bin Laden?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Where In The World Is Osama Bin Laden?
    Von Jan Hamm

    Ja, wo zur Hölle ist Bin Laden eigentlich? Und vor allem: Wie relevant ist die Antwort auf diese Frage wirklich? Seit den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2001 ist der Saudi-Arabier in der westlichen Hemisphäre zum neuen Stellvertreter des Leibhaftigen hochstilisiert worden. Freilich verhält es sich umgekehrt nicht anders. Die Bush-Administration hat den Terror durch veheerende Kriege in Afghanistan und im Irak vielfach potenziert über den Atlantik zurückgetragen, und die Reputation des Abendlandes in der arabischen Welt gleich mit in Schutt und Asche gelegt. Dass dafür nicht ein einzelner Mann, sondern ein undurchsichtiges Geflecht aus verfehlter Diplomatie, kruder Schwarz-Weiß-Ideologie und ökonomischen Faktoren verantwortlich ist, gilt längst als offensichtlich. Dennoch wird Bin Laden von der CIA weiterhin als gefährlichster Mann der Welt eingestuft. Gefunden haben sie ihn – warum auch immer – zwar noch nicht. Doch mit Morgan Spurlock hat das Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch ein Ass im Ärmel. Mit Gefahr kennt der Mann sich aus. In seiner Doku-Satire Super Size Me ging er mit beispiellosem Körpereinsatz gegen die Megamenüs von McDonald’s vor. Inzwischen wieder genesen, steht Spurlock vor einem neuen Problem: „Where In The World Is Osama Bin Laden?“

    Und das hat einen Grund: Seine Freundin ist schwanger. Doch wie kann Baby Spurlock sicher in einer Welt aufwachsen, in der Bin Laden immer noch frei herumstreunt? Von der Inkompetenz der CIA enttäuscht, begibt sich der Dokumentarfilmer auf eine Reise quer durch die arabische Welt, um das saudische Schlitzohr selber dingfest zu machen. Ehe es aber ans Kofferpacken geht, gilt es, ein Überlebenstraining zu absolvieren. Immerhin ist das Morgenland ein heißes Pflaster. Spurlock lässt sich in die Mysterien des Geiseldaseins und Granatenausweichens einführen, schnappt sich einen Dolmetscher und setzt die Segel gen Osten. Den gefährlichsten Mann der Welt wird er dort nicht finden, soviel sei verraten. Dafür aber die Einsicht um einen enormen Facettenreichtum und eine Vielzahl an Weltanschauungen. Ihn erwartet überraschende Offenheit und unerwartete Feindseligkeit. „Where In The World Is Osama Bin Laden?“ ist immer dann spannend, wenn der Abenteurer seine Begegnungen für sich sprechen lässt. Bisweilen peinlich ist hingegen Spurlocks clowneske Selbstdarstellung, mit der er dem Film Humor und Entertainment-Gehalt verleihen will, damit aber die Bedeutsamkeit seiner Entdeckungen auf bezeichnende Weise verfehlt.

    Bei Super Size Me funktionierte Spurlocks Konzept noch ohne Reibungsverluste. Die Ergründung tief verwurzelter Ressentiments ist nun allerdings eine weit anspruchsvollere Aufgabe, als die Vorführung amerikanischer Dekadenz. Ressentiments bringt Spurlock, obgleich er sich möglichst weltoffen inszeniert, leider von Beginn an auch selber mit. Seine Ernstfall-Vorkehrungen auf heimatlichem Boden erzählen weniger über die tatsächlich vorhandenen Gefahren, als dass Stereotype über eine staubige Unkultur voller Halsabschneider bedient werden. Unangenehm prätentiös sind die animierten Clips, die in Anlehnung an Aufklärungswüterich Michael Moore (Bowling For Columbine, Fahrenheit 9/11, Sicko) mit wedelndem Zeigefinger und spürbar forcierter Komik in die politische Vorgeschichte einführen. Braucht es wirklich noch eine weitere Lektion zur Aufrüstung der Taliban durch die CIA oder zum fatalen Irak-Alleingang der USA? Das Klischee des infantilen Waffenfetischisten bestätigt Spurlock dann dummerweise selbst, etwa wenn er in der letzten Etappe Afghanistan selber mal hinter eine Bazooka darf und den zerstörerischen Aufprall des Projektils mit leuchtenden Augen verfolgt. Am erträglichsten sind die Animationen, die Spurlock in bester Prügelspielmanier à la „Street Fighter“ gegen Bin Laden antreten lassen. Das ist zwar albern, ironisiert aber das satanische Image des schemenhaften Terrorfürsten treffend.

    Wer hier eigentlich der Terrorist ist, wird im Verlauf der Reise immer diffuser. Spurlock bereist Saudi-Arabien, Ägypten, die israelischen Konfliktgebiete und schlussendlich Afghanistan. Die O-Töne, die er von Bazaaren, metropolen Straßenzügen und Privatgesprächen mitbringt, zeichnen ein schwer greifbares und damit umso realistischereres Bild der Selbst- und Fremdwahrnehmung zwischen Westen und Morgenland. Zu den erstaunlichsten Entdeckungen zählt dabei, wie stark das Feindbild USA selbst in Ägypten, dem neben Israel engsten Vertrauten der Amerikaner in der Region, verankert ist. Selbst hippe Jugendliche, die keineswegs radikal-islamisch daherkommen, befürchten eine Invasion Kairos durch US-Truppen. Eine absurde Idee – und medial vermittelte Ressentiments. „Alle Amerikaner sollen sterben“, posaunt ein Halbstarker heraus. „Ich bin doch auch Amerikaner“, merkt Spurlock an. „Keine Angst, du bist cool.“ Eine Szene, die mehr als symptomatisch ist. Hier wie dort machen sich Menschen mit gefilterten Infofragmenten ein Bild des jeweils anderen - Vorstellungen, die von Angesicht zu Angesicht genauso schnell wertlos werden, wie sie zuvor geschürt wurden. Spurlock begegnet Menschen, die auf den Terror beider Parteien fluchen und den Islam als Religion des Friedens interpretieren.

    Schrittweise kommt er einer universellen Struktur auf die Schliche: Extremismus wuchert, wo immer Menschen mit dem Rücken zur Wand stehen. Die entsprechenden Ideologien sind dann oft nur noch bloßes Sprachrohr unartikulierter Wut. Echte Animosität findet Spurlock dann gerade dort, wo er sie am wenigsten erwartet: bei den orthodoxen Juden, die ihn mit feindseligem Geschrei und handfesten Hieben vor sich herscheuchen, nachdem er sie höflich um ein Gespräch gebeten hat. Die politische Verbundenheit zwischen Israel und den USA, hier ist sie nicht präsent. Je weiter der Abenteurer reist, desto mehr fächert sich das Graustufenspektrum auf. Und immer wieder stellt Spurlock seinen Interviewpartnern die eine, alles entscheidende Frage: „Wo um alles in der Welt steckt denn nun Bin Laden?“ Am Ende kommt er ihm im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan unverhofft nahe. Irgendwo in den Bergen, da bestünde zumindest die Chance, Bin Laden höchstpersönlich vorzufinden, warnt die Landbevölkerung. Auf die Frage, ob er den wohlbehalten von einem Ausflug in die Berge zurückkehren werde, reagieren die Menschen skeptisch.

    Und so verzichtet Spurlock auf die letzte Etappe seiner Odyssee. Denn inzwischen weiß er, dass Bin Laden nicht der Kern des Problems ist. Um diesen Einblick reicher verlässt der Suchende das Morgenland gen Heimat und Familie. „Where In The World Is Osama Bin Laden?“ ist trotz Spurlocks bezeichnender Selbstdarstellung ein gelungenes Plädoyer zum Abbau von Feindbildern, das von seinen facettenreichen O-Tönen lebt. Die Forcierung von Entertainment-Aspekten fällt dem ernsten Thema unnötig in den Rücken, schadet der Substanz des Films aber kaum. Wer bereit ist, über Spurlocks Ulk hinwegzusehen, wird mit einm interessanten Trip in die bunte Vielfalt des nahen und mittleren Ostens und nebenher einer banalen und doch wichtigen Antwort belohnt: Wo auch immer Bin Laden stecken mag, Lösungen für die zahlreichen Konflikte unserer Zeit finden sich dort nicht.

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