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    Meer is nich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Meer is nich
    Von Tobias Diekmann

    „Kind, was willst du denn mal werden?“ Oder auch „Du musst dich langsam mal entscheiden, und was Sinnvolles mit deinem Leben machen!“ Wer kennt sie nicht. Diese nervtötenden Aussagen anderer bezüglich der eigenen Zukunftsplanung, die vor allem immer dann auf einen niederprasseln, wenn man kurz vor einer Veränderung steht, sich immer schnell (und richtig) entscheiden soll und letztlich doch überhaupt keinen Plan hat, wohin man gehen möchte. Genau mit dieser Orientierungssuche beschäftigt sich Hagen Kellers Langfilm-Regiedebüt „Meer is nich“, der auf ernsthafte und im besten Sinne schlichte Weise die Geschichte von Lena erzählt, die sich mit diesem Entscheidungszwang auseinandersetzen muss. Dabei entdeckt sie in der Schwierigkeit der Erwartungen von Familie und Schule ihre große Leidenschaft für die Musik, und dass man trotz Widerstand letztlich immer seinen eigenen Plan folgen sollte. „Meer is nich“ weiß somit ein treffendes Bild der vermeintlich orientierungslosen Jugendgeneration von heute zu skizzieren, und dabei die Belange dieser schwierigen Lebensphase durchgehend ernst zu nehmen.

    Lena (Elinor Lüdde) ist 17 und nicht sicher, ob sie ihren Schulabschluss bekommen wird. Doch das ist nicht ihre einzige Sorge. Sie hat keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen soll und wie es für sie in der Zukunft weiter geht. Ihr arbeitsloser Vater (Thorsten Merten) drängt sie eine Lehrstelle anzunehmen, doch die musikbegeisterte Lena hat ganz andere Ziele. Nach einem Konzert steht nämlich unerschütterlich fest, dass sie Drummer in einer Band sein will. Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen Klara (Luise Kehm) und Alex (Sandra Zänker), und mit Hilfe von Klaras Bruder Hans (Benjamin Strecker), gründet sie eine Band und hat das große Glück, beim Musiklehrer Sascha (Sascha Schwegeler) Schlagzeugunterricht nehmen zu können. Doch auf dem Weg zu ihrem ganz persönlichen Traum muss sich Lena immer wieder Widerständen und Rückschlägen entgegenstellen. Vor allem aber muss sie sich und ihrer Umwelt beweisen, dass es ihr durchaus Ernst ist mit der Musik, und sie für ihr Ziel bereit ist zu kämpfen.

    Es gibt sicher nicht wenige Filme aus Deutschland, die die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens heutiger Jugendlichen thematisieren. Es gibt aber kaum einen Film, der sich auf nahezu authentische und in allem Maße ernsthafte Weise mit den Interessen von Jugendlichen in Bezug auf „ihre“ Musik beschäftigt und es schafft, diese ohne Peinlichkeitsgefühl auf Seiten der Zuschauer adäquat auf die Leinwand zu bringen. Das ist eigentlich überraschend, zählt doch grad die musikalische Sozialisation zu einer immens wichtigen, da sie oftmals als Reflektionsfläche für die Gefühle junger Menschen gilt, und sich darüber hinaus auch immer zu seinem direkten Umfeld verhält.

    „Meer is nich“ gelingen diese Aspekte auf wirklich beispiellose Weise. Die Musik der drei Mädchen Lena, Klara und Alex ist die Musik von Elinor Lüdde, Luise Kehm und Sandra Zänker, was man auch zu jedem Zeitpunkt im Film spürt (die drei jungen Damen sind mit ihrer eigenen Band „sleazy inc. operated“ seit jeher gemeinsam musikalisch unterwegs und steuern einen Großteil des Soundtracks bei). Hier wird nicht so getan, sondern wirklich gespielt, mit all den Fehlern und dem langsamen Ausmerzen eben dieser. Die Band rund um Lena spielt straighte Rockmusik, und genau das bekommt man dann auch zu hören: roh, live und unverfälscht. Dabei ist es eine gute Idee von Hagen Keller und seinem Musik-Supervisor Steffen Irlinger gewesen, die Rocksongs im Film mit der Off-Musik der Band „The Notwist“ zu konterkarieren, ist die Weilheimer Combo doch mittlerweile eher im elektronischen Sektor anzusiedeln. Die scheinbar gegensätzlichen Stilrichtungen fügen sich in Verbindung mit den Bildkompositionen stimmig zusammen und bilden einen schönen musikalischen Kontrast.

    Apropos Bilder: Ein weiterer Pluspunkt des Films liegt eindeutig in seiner erfrischend anderen Darstellung des Ostens. Keine Plattenbauten grau in grau, keine thematische Auswalzung eines Ost/West–Konflikts, sondern stattdessen warme Farben und sonnige Bildsequenzen aus Weimar und Umgebung. Das reicht für ein eindeutiges filmisches Statement, dass die Probleme heranwachsender Jugendlicher eben nicht ständig geographisch unterschieden werden müssen.

    Es sind lediglich kleinere Schwächen in der Dramaturgie auszumachen. So verheddert sich der Film im ersten Drittel in unnötige Nebenstränge, die den Fokus auf die eigentliche Protagonistin Lena in den Hintergrund rücken lassen. Vor allem die Vaterfigur wirkt mitunter zu gewichtig. Er hat als arbeitsloser und im Innern unzufriedener Brückenbauer mit vielen Problemen zu kämpfen und steht somit vor ganz ähnlichen Sorgen wie seine Tochter, doch werden diese im Film mitunter so ausführlich dokumentiert, dass scheinbar die Rollen im Konflikt zwischen ihm und Lena getauscht werden, und sie die Vaterrolle übernimmt. Das schwächt wiederum die filmische Ausarbeitung ihrer eigenen Zukunftsängste und die Suche nach ihrem Platz im Leben ein wenig ab, und lässt Lena dann in manchen Situationen doch sehr erwachsen und abgeklärt wirken.

    Das sind aber nur kleine Abstriche, die man dem ambitionierten Regiedebüt von Hagen Keller verzeihen kann, da im Ganzen doch vieles richtig gemacht wurde. Vor allem die schauspielerischen Leistungen der Jungmimen müssen Erwähnung finden, gerade mit dem Hintergrund, dass hier fast alle Hauptdarsteller ihren Einstand auf der Kinoleinwand geben. Allen voran überzeugt Elinor Lüdde, die den Film locker über die gesamte Spielzeit tragen kann, und für ihre Rolle der Lena jüngst völlig zu Recht mit dem Bayerischen Filmpreis als bestes Nachwuchstalent ausgezeichnet wurde. Aber eigentlich agieren hier alle Jugendlichen so frisch und unverblümt, dass es eine wahre Freude ist, und das Bedürfnis des Regisseurs nach einer möglichst echten Darstellung jugendlicher Probleme bezüglich Schule, Ausbildung und dem „Was kommt danach?“ unterstreicht. Sicher, Lena kämpft für ihr Ziel Musikerin zu werden und eben nicht hinterm Schreibtisch zu landen, doch ist man dennoch weit davon entfernt, eine romantisierende Darstellung von pubertierenden Menschen zu liefern, die immer alles schaffen können, wenn sie nur fest an ihre Träumereien glauben und niemals auf ihre Eltern hören, da die eh nichts von all dem verstehen. Denn ganz wie im echten Leben läuft auch bei Lena einiges schief, und das Scheitern gehört genauso dazu, wie das Aufstehen und Fortfahren, für das halt einige Entbehrungen zu leisten sind.

    „Meer is nich“ gibt dann auch keine direkte Antwort, ob Lena es schafft, ihren Platz hinter den Drums in einem größeren Rahmen zu verwirklichen. Darum geht es letztlich in diesem angenehm unprätentiösen Film auch nicht. Es geht vielmehr darum, Heranwachsenden zuzuhören und ihnen eine Stimme zu geben, die ernst genommen werden will und ihre Vorstellungen von Zukunft nicht von vorne herein als Hirngespinste abzutun. Das leistet „Meer is nich“ trotz besagter dramaturgischer Schwächen allemal, und lässt sowohl in Bezug auf den Regisseur, als auch bei den jungen Darstellern auf sehr viel mehr für ihre (und unsere) Zukunft hoffen, denn die liegt so oder so mit Sicherheit im Kino.

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