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    Kain No Matsuei - Cain's Descendant
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Kain No Matsuei - Cain's Descendant
    Von Björn Becher

    2001 besetzt Regie-Enfant-Terrible Takashi Miike (Audition) den jungen Comic-Autor und Regisseur Kazushi Watanabe (19, „Space Police“) überraschend als Hauptdarsteller in „Visitor Q“, seinem schrägen Meisterwerk über ein familiäres Zusammenfinden. Watanabe spielt darin einen aus dem Nichts auftauchenden mysteriösen Besucher, der sich bei einer kaputten Familie einquartiert und sie schlussendlich mit wunderlichen Methoden wieder zusammen bringt. Der vom Theater stammende Jungregisseur Oku Shutaro dürfte an Miikes Film gedacht haben, als er über die Besetzung der Hauptrolle in „Kain No Matsuei - Cain's Descendant“ nachdachte. Denn Watanabe spielt hier eine ähnliche Rolle. Allerdings hat sein Charakter dieses Mal auch Schuld auf sich geladen und ist selbst auf der Suche nach einer Zukunft. Und er ist alles andere als ein „Heilsbringer“. Nichtsdestotrotz geht es um die malade japanische Gesellschaft. Mit dem 2007 auf der Berlinale gezeigten Werk reiht sich Shutaro dabei nahtlos in die Riege großer Kollegen (neben Miike, u.a. noch Shinya Tsukamoto oder Sion Sono) ein, die mit eigenwilligem, für das westliche Auge eher ungewöhnlichem Erzählstil, Missstände in ihrer Gesellschaft aufzeigen.

    Nach zehn Jahren im Gefängnis kommt der Mittzwanziger Munakata (Kazushi Watanabe) in die trostlose Industriestadt Kawasaki, wo ihm ein Job bei einer Elektronikfirma versprochen wurde. Ein freies Leben will er starten, doch dieses entpuppt sich als neues Gefängnis. Ein karges, kleines Zimmer, ausgestattet mit einem Bett und einem Fernseher, der nur ein Programm empfängt, steht ihm zur Verfügung und sein stupider Job besteht darin, Platinen zusammen zu löten und die schrecklichen Witze des Vorarbeiters Mo (Arata Furuta, Zebraman) zu ertragen. Mit der Firma geht sowieso nicht mehr viel, sitzt Chef Omori (Takao Handa) doch im Rollstuhl und nimmt seine Umwelt kaum mehr war. Erster Kontakt zur Außenwelt ergibt sich mit der nebenan wohnenden Teenagerin Yukari (Sachie Yo), die plötzlich in Munakatas kargem Zimmer auftaucht und kommunizieren will. Ihr Vater Matsumura (Tomorowo Taguchi) ist ein Ex-Lehrer, der nun eine obskure Kirche leitet. Auch er besucht Munakata und gibt ihm einen Nebenjob. Er soll in TV-Fernbedienungen ein Abschussmechanismus einbauen, so dass man diese auch als Pistole nutzen kann. Die dafür notwendigen Bauteile muss er beim eigenwilligen Tamura (Kentaro Kishi) besorgen, mit dessen Frau (Manga-Künstlerin Shungiku Uchida, die Mutter aus „Visitor Q“, sicher auch kein Zufall) er eine kurze Affäre beginnt.

    Selten war ein trostloseres Setting zu bewundern als in „Kain No Matsuei“. Kawasaki scheint das absolute Ende der Welt zu sein, der Ort, an dem man als letztes sein will und Munakatas karger Raum setzt dem Ganzen die Krone auf. Ein paar Bretter, ein Bett, ein TV-Gerät. Eine sicher nicht zufällig gewählte Zusammenstellung, ist doch gerade der Fernseher eine Möglichkeit, über die Nachrichten eine Verbindung zur Außenwelt zu halten, gilt aber gleichzeitig als das Übel aller Kommunikationsprobleme in der heutigen Gesellschaft. Trotzdem erscheint dieses Zimmer als eine Art letzter Rückzugsort für den Protagonisten, ein letzter Platz, wo er wenigstens versuchen kann, Ruhe vor der verrückten Welt außerhalb zu haben. Die wird, wie in vielen japanischen Filmen, gnadenlos aber wirkungsvoll überzeichnet. Shutaro bedient sich eines sehr grotesken Humors, plötzlicher kurzer Sexeinschübe, wobei eine explizite (allerdings typisch japanisch verpixelte) Fellatio besonders ins Auge fällt. Bisweilen driftet der Film sogar leicht ins Phantastische ab, steht damit an Sperrigkeit aber auch an Faszination den großen Vorbildern aus dem Land der aufgehenden Sonne in nichts nach.

    „Kain No Matusei“ wirkt bisweilen leicht experimentell. Die Ausleuchtung der einzelnen Szenen ist sehr sonderbar, meist nämlich so gut wie nicht vorhanden - und sicher nicht, wie an Filmsets sonst üblich. Das Budget ist ersichtlich gering gehalten, was aber nicht schadet. Das karge Setting verbildlicht die völlig heruntergekommene Welt und bietet den sehr eindrucksvollen Darstellerleistungen mehr Raum. Neben Watanabe ist vor allem sein „Gegenspieler“ Tomorowo Taguchi (Strange Circus, Dangan Runner) zu nennen. Die beiden haben großen Anteil an der Kraft, die von Shutaros Werk ausgeht. Dem Künstler mit Theaterwurzeln gelingt mit seinem ersten international Aufmerksamkeit erregenden Spielfilm ein hochinteressantes und vielschichtiges Werk, das u.a. mit seinen Bibel-Allegorien reichlich Deutungs- und Diskussionsstoff bietet. Für Freunde des sperrigen, unbequemen Kinos ein Geheimtipp.

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