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    Im Winter ein Jahr
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Im Winter ein Jahr
    Von Jens Hamp

    Sergio Leone, Alfred Hitchcock, Akira Kurosawa und Fritz Lang – Namen, die prägend für den Regiesessel waren und den Schluss nahe legen, dass die Filmwelt hinter der Kamera eine Männerdomäne ist. Alleine ein Blick auf die prestigeträchtige Oscar-Liste scheint diese Vermutung zu bestätigen. In der nunmehr achtzigjährigen Geschichte der Oscar-Verleihung wurden lediglich drei Frauen (Lina Wertmüller 1977 für „Sieben Schönheiten“, Jane Campion 1994 für Das Piano und Sofia Coppola 2004 für Lost In Translation) für ihre Qualitäten als Regisseurin mit einer Nominierung bedacht – eine Auszeichnung hat gar noch keine erhalten. Fast schon unbemerkt hat sich mit Caroline Link jedoch eine Deutsche in die Riege der erinnernswerten Filmemacher geschlichen. Bereits ihr Debüt „Jenseits der Stille“ wurde aufgrund der feinfühligen Inszenierung zu einem Kassenschlager in den deutschen Lichtspielhäusern und konnte schließlich sogar eine Oscar-Nominierung als bester nicht-englischsprachiger Film erringen. Mit einem kleinen Umweg über die wunderbare Erich-Kästner-Neuverfilmung „Pünktchen und Anton“ gelang Caroline Link mit Nirgendwo in Afrika dann der große Paukenschlag. Das Drama über eine jüdische Familie im kenianischen Exil konnte sich gegen die hoch gehandelten Beiträge aus China (Hero) und Finnland (Der Mann ohne Vergangenheit) durchsetzen und den zweiten Auslands-Oscar für einen deutschsprachigen Film gewinnen. Nunmehr sind fast sieben Jahre vergangen und mit „Im Winter ein Jahr“ kommt endlich das neue Werk von Caroline Link in die Kinos. Erneut stehen die Probleme einer Familie im Mittelpunkt – die große Klasse ihrer früheren Werke kann die gebürtige Bad Nauheimerin trotz der wundersam ruhigen Inszenierung allerdings nicht erreichen.

    Eliane (Corinna Harfouch, Bibi Blocksberg, Der Untergang, Berlin Calling) bittet den Maler Max Hollander (Josef Bierbichler, Woyzeck, Winterreise), ein Porträt ihrer beiden Kinder anzufertigen. Als ungewöhnlich erweist sich dieser Auftrag, da Sohn Alexander (Cyril Sjöström) bereits vor einem Jahr verstorben ist und sich seine Schwester Lilli (Karoline Herfurth, Das Parfum, Eine andere Liga) nicht mit dem Gedanken abfinden kann, dass ihre Mutter Alexander als Dekoration an die Wand hängen möchte. Lillis abweisende Haltung bröckelt zaghaft, als sie sich mit dem alternden Künstler anfreundet und dabei die Trauer über den Tod ihres Bruders nach und nach verarbeitet…

    Langsam entfaltet Caroline Link in ihrem vierten Spielfilm die Hintergründe ihrer Figuren. Eliane verdrängt mit der Aussage, dass ihr Sohn bei einem tragischen Jagdunfall um Leben kam, die Wahrheit, dass dieser sich im Wald hinter dem Haus selbst das Leben nahm. Die Beziehung zu Ehemann Thomas (Hanns Zischler, 23, Tage des Zorns, München) ist erfroren. Er flüchtet sich nach dem Verlust seines Sohnes ins Berufsleben als Wissenschaftler und in eine Beziehung mit einer anderen Frau. Tochter Lilli scheint gar gänzlich den Boden unter den Füßen verloren zu haben. Sie vernachlässigt ihr Studium an einer Münchener Theaterakademie und klammert sich auf der Suche nach Zuneigung an ihre Liebhaber, gibt sich dabei aber vordergründig als unverletzlich. Schließlich hat auch Künstler Max in seinem Leben einige Stolpersteine liegen, die ihn zu einer Art Einsiedler werden ließen.

    Getragen werden die lebensechten Figuren von stark aufspielenden Darstellern. Insbesondere Josef Bierbichler wird von Caroline Link wunderbar gezähmt, so dass der sonst so aufbrausende Bayer überraschend bodenständig erscheint. Die Regisseurin hat die Figur des Künstlers Bierbichler auf den Leib geschrieben. Sie nahm Veränderungen vor, ließ die Figur im Vergleich zur Romanvorlage deutlich altern und gewährte ihm im harmonischen Zusammenspiel mit Karoline Herfurth gar eine dezent-erotische Komponente. Hierbei entfaltet die sommersprossige Herfurth eine Ausdruckskraft, die man dem einstigen „Mädchen, Mädchen“-Star nicht unbedingt zugetraut hätte. Der Tod des Bruders führt bei ihrem Charakter zu einem schwerwiegenden Gefühlschaos, das Herfurth in den Gesprächen mit Bierbichler wunderbar zwischen Lebensfreude und Schuldzuweisung herausarbeitet.

    Gegen diese beiden sich deutlich in den Vordergrund spielenden Charaktere kann das verbleibende Ensemble nur verblassen. Corinna Harfouch und Hanns Zischler dürfen zwar in einigen Szenen ihre Qualitäten andeuten – das Drehbuch konzentriert sich aber offensichtlich auf die Beziehung zwischen dem Maler und seinem Model. Insbesondere in den ersten Minuten weiß „Im Winter ein Jahr“ noch nicht, in welche Richtung er sich entwickeln soll. Die Probleme der Eltern werden angerissen, mögliche Metaphern angedeutet und unnötige Nebenschauplätze beleuchtet, so dass Caroline Links Werk sich zwischenzeitlich in Nichtigkeiten zu verlieren droht.

    Erst mit der behutsamen Intensivierung der zentralen Freundschaft entwickelt sich „Im Winter ein Jahr“ zu einem interessanten Drama. Natürlich trägt hierzu besonders das sehenswerte Auftreten der Hauptdarsteller bei. Daneben können aber auch die nunmehr in den Mittelpunkt gerückten Probleme die Geschichte tragen. Während Lilli die Gründe für den Selbstmord ihres Bruders sucht, liegen vor Max die Scherben seines Lebens. Nachdem er seine Frau betrogen hat, zerbrach das Glück. Seine Ex-Frau hat sich mit dem gemeinsamen Kind von ihm abgewendet. Max ist nur noch ein Geldgeber für die Erziehung des heranwachsenden Sohnes. Persönlichen Kontakt gab es scheinbar schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Durch die gemeinsamen Gespräche können die beiden Protagonisten – unter zaghafter Einflechtung von Lillis Eltern – die Geister der Vergangenheit langsam hinter sich lassen.

    Unter Berücksichtigung des gewohnt zauberhaften Zusammenspiels von unaufgeregter Kameraführung und beruhigender Musik hätte diese gelungene Entwicklung die anfänglichen Schwächen problemlos in den Hintergrund drängen können. Leider verpasst Caroline Link zu guter letzt aber die Chance, ihren Film angemessen zu beenden. Während eine mit Peter Gabriels „Signal To Noise“ grandios unterlegte Szene hervorragend zwischen den Protagonisten hin- und herspringt und einen perfekten Schlusspunkt hätte setzen können, wird „Im Winter ein Jahr“ noch mit einer kraftlosen Endszenerie mit öden Symboliken unnötig ausgedehnt. Aber irgendwie passt diese finale Schwäche perfekt mit dem zu weitläufigen Anfang zusammen, was untermauert, dass Caroline Link bei „Im Winter ein Jahr“ trotz aller Qualitäten nie richtig auf den Punkt kommt.

    Abschließend darf man sicherlich glücklich darüber sein, dass Caroline Link sich mehr als fünf Jahre mit amerikanischen Produzenten herumplagen musste und daher die Geschichte kurzerhand in die Münchener Region verlegte. Es ist einfach undenkbar, dass nicht Josef Bierbichler und Karoline Herfurth die Hauptrollen bekleiden. Obgleich sich die Regisseurin häufig in der Relevanz der Szenen verschätzt, ist „Im Winter ein Jahr“ gerade wegen der Darsteller und der beruhigenden Inszenierung immer noch sehenswert.

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