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    Schimpansen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Schimpansen
    Von Katharina Granzin

    Schimpansen gehören zu den bedrohten Tierarten: Schätzungen zufolge beträgt die Population im Vergleich zu vor zwanzig Jahren nur noch ein Fünftel. Rodungen des Regenwaldes und Wilderei haben den Bestand drastisch dezimiert. So ist es unbedingt zu begrüßen, dass Disney ein Filmprojekt auf die Beine gestellt hat, in dem das Leben der Schimpansen dem Zuschauer auf eine Weise nahegebracht wird, die wirklich berührt. Für „Schimpansen" hat das Filmteam um die Regisseure Mark Linfield und Alastair Fothergill („Unsere Erde – Der Film") drei Jahre im Regenwald der Elfenbeinküste gedreht – und Bilder mitgebracht, die das Leben wildlebender Schimpansen so nah und intim zeigen, wie es das breite Publikum bisher noch nie zu sehen bekam. Ganz nebenbei entdeckten die Filmer dabei eine Geschichte, die für ihr Projekt ein Riesenglücksfall war und sogar für die Forschung eine kleine Sensation darstellt.

    Ein Schimpansenbaby, das während der Dreharbeiten geboren wird, bekommt von seinen menschlichen Beobachtern den Namen Oscar. Das niedliche Menschenäffchen ist der Star des Films, denn Oscar widerfährt kein gewöhnliches Affenschicksal: Der kleine Oscar hat eine hingebungsvolle Mutter, die erfahrene und geduldige Isha, in deren Obhut er zunächst unbeschwert aufwächst. Doch ihre Schimpansenhorde wird bedroht. Eine benachbarte, von einem älteren, aggressiveren Männchen angeführte Gruppe stößt immer wieder in ihr Gebiet vor. Im Laufe der wiederholten Auseinandersetzungen kommt Oscars Mutter ums Leben, und das Junge bleibt allein zurück. Dann passiert etwas, das auch die Forscher noch nie erlebt haben: Ausgerechnet das Alphamännchen der Gruppe adoptiert das Waisenkind und ist von seinen neuen Fürsorgepflichten so eingenommen, dass es den Dauerzwist mit der Nachbargruppe fast aus den Augen verliert...

    Es muss das Regie-Duo und sein Team unzählige Stunden im Schneideraum gekostet haben, das Material so zu ordnen, dass eine narrativ zusammenhängende Chronologie entstand. Da lässt es sich nicht vermeiden, dass insbesondere der hinreißende Hauptdarsteller mal etwas größer, mal etwas kleiner zu sein scheint. Doch über diese continutity-Unstimmigkeiten lässt sich leicht hinwegsehen, denn die Bilder vom Schimpansenleben sind schlicht und ergreifend beeindruckend. So dicht dran war man im Kino noch nie am Leben wildlebender Affen. Den Machern kam dabei zu Gute, dass das das Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie vor Ort eine Forschungsstation unterhält. Ohne diese wären die Aufnahmen so gar nicht möglich gewesen.

    Ungewöhnlich für einen Dokumentarfilm wird in „Schimpansen" eine Geschichte erzählt. Da verfolgen wir erst Szenen der Dschungelidylle, sehen Oscar mit Isha bei der Fellpflege, beobachten die Schimpansen beim Verzehr verschiedener Dschungelfrüchte und erleben ihre „Erfolge" beim Nüsseknacken - eine der humoristischsten Passagen des Films. Während die erwachsenen Schimpansen die harte Schale mit großen Steinen aufschlagen, benutzt der kleine Oscar zunächst ein Stück Holz – was natürlich nicht zum gewünschten Erfolg führt. Amüsante Szenen wie diese Fehlversuche Oscars in bester Slapstick-Manier, bei denen sich der Kleine auch mal auf die Zehen haut, wechseln dramaturgisch geschickt mit Momenten, die die Konfrontation der Schimpansengruppe mit einer benachbarten Horde zeigen – inszeniert in bester Thriller-Manier.

    Dokumentarfilm-Puristen dürften hier Aufstöhnen – zumal dies noch durch den Off-Kommentar, der das Geschehen mit ironisch-humoristischem Gestus begleitet, verstärkt wird. Doch erst dieser freundlich menschelnde Off-Text (im Original gesprochen von „Hör mal, wer da hämmert"-Star Tim Allen) macht aus der außergewöhnlichen Affengeschichte ein nachfühlbares Drama, das dem gemeinen Kinogänger ans Herz geht. Und weil genau dieser Effekt sehr im Interesse der Artenschützer liegt, ist das Filmprojekt von niemand Geringerem als der legendären Affenforscherin Jane Goodall unterstützt worden. Die Umweltaktivistin hat insbesondere in den USA die Vermarktung des Films mit vorangetrieben, um das Bewusstsein für die bedrohte Lebenswelt der Menschenaffen in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken.

    Fazit: Affen sind doch auch nur Menschen, scheint diese aufwendig produzierte Naturdokumentation zu sagen, in der die dramatische Geschichte eines kleinen verwaisten Schimpansenjungen auf bewährte Disney-Weise mit großartigen Bildern und einem humoristisch menschelnden Kommentar erzählt wird. Dokumentarfilm trifft Disney-Kitsch, ein außergewöhnliches Konzept, das aufgeht, wenn man willens ist, sich für die Dauer des Films mit einem Schimpansen zu identifizieren.

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