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    Drei Affen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Drei Affen
    Von Jan Hamm

    Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. In der buddhistischen Mythologie Japans steht dieses Mantra, sinnbildlich verkörpert durch drei Affen, für die Weisheit, Bösem mit Gelassenheit zu begegnen und es damit zu entmachten. Im Westen hat die Phrase eine schleichende Umdeutung erfahren und spricht inzwischen keineswegs mehr von Weitsicht, sondern von mangelnder Courage, vom feigen Umschiffen drohender Konflikte. Mit „Drei Affen“ treibt der türkische Arthouse-Regisseur Nuri Bilge Ceylan (Jahreszeiten) die abendländische Invertierung auf die Spitze. Sein Beziehungsdrama ist ein bitterböser Kopfsprung in die Abgründe der Kommunikationslosigkeit. Stellvertretend für das metaphorische Primatentrio steht hier eine dreiköpfige Familie, deren wortloses Scheitern in qualvoll langen Einstellungen bis zum zynischen Ende begleitet wird. Während das Schweigen und die Ignoranz der Charaktere für die Handlungsebene programmatisch ist, zwingt Ceylan sein Publikum auf der formellen Ebene zur Aufmerksamkeit. Denn wo nicht gesehen, gehört und gesprochen wird, spielt sich das existenzielle Ringen um familiäre Integrität im Verborgenen ab.

    Auf einer Landstraße, irgendwo vor Istanbul, kurvt ein einsames Auto durch die Nacht. Dann kommt der Aufprall. Auf dem Asphalt liegt ein Toter, der panische Servat (Ercan Kesal) begeht Fahrerflucht. Um seine Politkarriere nicht zu gefährden, bittet er seinen Chauffeur Eyüp (Yavuz Bingol), sich zur Tat zu bekennen. Als Belohnung winkt eine stattliche Summe, die der Familienvater bitter nötig hat, weil er seinem Sohn Ismail (Rifat Sungar) ein Studium ermöglichen will. Eyüp willigt ein und wandert für neun Monate hinter Gitter. Als seine Frau Hacer (Hatice Aslan) in Servats Büro auftaucht, um eine Vorauszahlung für einen Gebrauchtwagen zu erbeten, funkt es zwischen den beiden. Durch einen unglücklichen Zufall erwischt Ismail seine untreue Mutter in flagranti. Vor seinem Vater fehlen ihm die Worte, doch der spürt, dass etwas geschehen ist. Dann wird Eyüp freigelassen. Um ihre Würde ringend, treffen drei zutiefst verletzte Menschen aufeinander. Und immer wieder steht ein leichenblasser Knabe zwischen den Fronten, mahnend, dass die Wurzeln der familiären Entfremdung weit länger als neun Monate zurückliegen...

    Und damit beginnt die schonungslose Sezierung einer Zwischenmenschlichkeit, die jeden Augenblick zu kollabieren droht. Obgleich die angesprochenen Themen, familiäre Loyalität und sexuelle Untreue, in der türkischen Kultur einen viel höheren Stellenwert als in unseren Breitengraden haben, geht es Ceylan nur vordergründig um den Konflikt an sich. Ihn interessiert viel mehr, wie damit umgegangen wird. Es ist gerade das Ausbleiben einer direkten Konfrontation, das „Drei Affen“ in eine Atmosphäre kaum greifbarer und doch omnipräsenter Bedrohlichkeit taucht. Was geht in diesen Menschen vor und wie versuchen sie, der Lage Herr zu werden? Dem Filmtitel entsprechend gibt es nur wenige Dialoge, das Innenleben der Figuren wird symbolisch verklausuliert dargestellt. Mal überdeutlich mittels einer krachenden Gewitterfront, die über den Bosporus treibt. Mal subtil, etwa wenn Eyüps enorme Anspannung durch laut knisternde, hastige Zigarettenzüge transportiert wird. Selbst Hacers Handyklingelton, ein trauriges Liebeslied, wirkt wie ein Herold des Unheils.

    Der präzise aufgebaute Sound hat dabei den ganzen Film über eine zentrale Bedeutung. Auf einen Soundtrack verzichtet „Drei Affen“, lediglich hier und dort werden vage Drone/Ambiente-Collagen à la David Lynch zur Untermalung herangezogen. Doch Leerlauf kommt trotz stark reduzierter Audiokulisse nie auf. Mit so einfachen Mitteln wie der langsamen Ausblendung von Alltagsklängen bei stetig lauter werdenden Atemgeräuschen verdichtet Ceylan die Intensität. Und obgleich auf der Handlungsebene denkbar wenig geschieht, treibt „Drei Affen“ sein Publikum gnadenlos vor sich her. Wie auch der Sound deuten die Bilder unglaublich viel an, ohne tatsächlich zu enthüllen. Die aufgebaute Spannung könnte sich jederzeit entladen, in einem Selbstmord etwa, oder einer Vergewaltigung. Stets scheint die Eruption der angestauten Emotionen nur einen Augenblick entfernt. „Drei Affen“ schaut, anders als seine Figuren, nicht weg. Die implizite Brutalität des Films ist atemberaubend.

    Dass Ceylans Herangehensweise Erfolg hat, liegt maßgeblich auch an der beeindruckenden Präzision, mit der seine Darsteller agieren. Mit langen, ruhigen Einstellungen erforscht er die Körpersprache und Mimik seiner Figuren. Yavuz Bingol, Rifat Sungar und Hatice Aslan ergänzen sich mit ihrem zurückhaltenden Spiel perfekt. Immer wieder blitzen Schmerz und Verstörung auf, bloß für Sekundenbruchteile, ehe die Gesichter wieder versteinern und über das Böse hinwegsehen und –hören. Und der Schmerz sitzt tief. Ceylan braucht nur wenige Sekunden, um klarzustellen, dass der fragile Status Quo eine lange Vorgeschichte hat. Das unmoralische Vorgehen Eyüps, das ödipale Verhältnis Ismails zu seiner Mutter, deren Affäre mit Servat – all das sind Symptome eines unverarbeiteten Verlusts. Wie ein Geist steht das vierte Familienmitglied, der verstorbene Sohn, zwischen den Familienmitgliedern und ihrer verblichenen Harmonie. Hier öffnet sich „Drei Affen“ für zahlreiche Deutungsmöglichkeiten. Ist das Schweigen eine Methode der Verdrängung? Ist es ein Wiedergutmachungsbedürfnis, das Eyüp dazu bewegt, für das Studium seines Sohnes hinter Gitter zu gehen? Ist es ein Versuch der Buße? Die Interpretation überlässt Ceylan seinem Publikum.

    Offensichtlich ist bloß, wie verloren die drei Affen sind. Ob in der Eröffnungssequenz mit ihrem durchs Nachtschwarz irrenden Auto, oder beim sehnsüchtigen Blick auf die Leuchttürme am Bosporus-Ufer - das Motiv der Orientierungslosigkeit zieht sich quer durch den ganzen Film. Wohin die Familie irrt, bleibt offen. „Drei Affen“ ist weder an einem tragischen Finale, noch an einem Happy End interessiert. Erzählerische Effekthascherei geht Ceylans mutiger Beziehungsstudie völlig ab. Wie viel Gesellschaftsporträt hier enthalten ist, muss das türkische Publikum entscheiden. An den Schauplatz gebunden ist die Antithese zur buddhistischen Weisheit aber keineswegs. Ob aus dem Mantra der drei Affen Weitsicht oder Ignoranz spricht, muss jeder für sich herausfinden. Den Seh- und Hörgenuss von Ceylans brillant fotografiertem und gespieltem Danse Macabre zumindest sollte man nicht versäumen.

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