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    Red
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Red
    Von Jens Hamp

    Jack Ketch war ein Henker im England des 16. Jahrhunderts. Dieser führte die Enthauptungen auf dem Schafott den historischen Quellen zufolge so durch, dass die Verurteilten größtmögliche Qualen durchlitten. Der amerikanische Autor Dallas Mayr ließ sich von diesem sadistischen Scharfrichter inspirieren und verfasst seine Romane unter dem Pseudonym Jack Ketchum. Auch in seinen Horror- und Thrillergeschichten müssen die Hauptfiguren bis zur letzten Seite Schlimmstes durchleiden. Nach Ketchums ersten literarischen Erfolgen und mehrfachen Auszeichnungen mit dem Bram Stoker Award begann Hollywood das Werk des Schriftstellers zu plündern. So folgt auf The Lost und den verstörenden Evil nun mit dem von Lucky McKee (The Woods) und Trygve Allister Diesen in Co-Regie gedrehten „Red“ bereits die dritte Ketchum-Adaption in kurzer Zeit. Das Thriller-Drama über die Eskalation eines Konflikts ist mit Brian Cox (The Escapist, X-Men 2) zwar vorzüglich besetzt, leidet jedoch stark unter einem uninspirierten Drehbuch und bietet alsbald nur noch ödeste Klischees.

    Während eines Angelausfluges an den örtlichen See wird der friedfertige Avery Ludlow (Brian Cox) von drei Jugendlichen überfallen. Da das Trio keine Wertgegenstände vorfindet, erschießt sein Anführer Danny (Noel Fisher, Final Destination 2, „The Riches“) kaltblütig Averys treuen Mischlingshund Red. Der Mann wird durch den Verlust des Tieres und der mit ihm verbundenen Familienerinnerungen völlig aus der Bahn geworfen. Avery versucht seine Welt durch eine Entschuldigung der Halbstarken wieder ins Lot zu bringen. Doch Dannys steinreicher Vater Michael (Tom Sizemore, Black Hawk Down, Heat) verhindert dies und stellt sich hinter seinen Sohn. Ein Strudel der Provokationen und der Gewalt wird in Gang gesetzt…

    „Eines habe ich im Krieg gelernt. Man muss sich mit allen Mitteln wehren und auf keinen Fall aufhören. Nie aufgeben. Sobald du das tust, wird Dich Dein Gegner sofort überrollen.“ - Avery Ludlow

    In seinen Romanen seziert Jack Ketchum die Bestie in Menschengestalt und demaskiert den als vorbildlichen Gutbürger getarnten rücksichtslosen Sadisten. Wie auch in „Evil“ steht in „Red“ eine Figur im Mittelpunkt, die vielfach die Möglichkeit hat, die Eskalation der Gewalt zu vermeiden oder zu verhindern. Während der jugendliche Protagonist von „Evil“ die Psychospiele im Nachbarhaus toleriert und schließlich zum Mittäter wird, ist Avery in „Red“ zunächst selbst ein Opfer der Brutalität und glaubt danach, nur durch eine Entschuldigung der Hundemörder wieder Seelenfrieden finden zu können, was weitere Gewalt nach sich zieht. Aus dieser Konstellation ergeben sich zwangsläufig bedenkenswerte Fragen nach Gerechtigkeit und Verantwortung: Hätte der Geschädigte früher die Reißleine ziehen müssen, um ein Blutbad zu verhindern?

    So interessant diese Fragestellung grundsätzlich auch sein mag, die Ausarbeitung im Drehbuch wird ihr in keiner Weise gerecht. Während die ersten Minuten des Films noch wunderbar ruhig inszeniert sind und eine komplexe Reflexion möglich scheint, werden nach der Hälfte der Laufzeit immer schwerere Klischeegeschütze aufgefahren und die Logikdefizite sind bald unübersehbar. Dass die Jugendlichen bei ihren Schandtaten aus dramaturgischen Gründen zunächst keinerlei Spuren hinterlassen und die Polizei entsprechend im Dunklen tappt, ist gerade noch akzeptabel. Wenn dann aber an Steine gebundene Drohbriefe durch Fensterscheiben fliegen, gibt es weiter weder Fingerabdrücke noch andere verwertbare Erkenntnisse, was die Sache langsam ärgerlich macht.

    Beim Verfassen des Drehbuchs hat der Autor Stephen Susco (Der Fluch, Der Fluch - The Grudge 2) ganz offensichtlich eine Checkliste klassischer Thrillerwendungen abgehakt, ohne sich eigene Gedanken zu machen. Kein ausgetretener Pfad des Genres wird ausgelassen. Avery bandelt beispielsweise mit einer jungen Reporterin an und offenbart ihr in einer übermäßig langen Szene seine Vergangenheit: Zufälligerweise waren seine Söhne auch Problemkinder. Das Sahnehäubchen der Einfallslosigkeit ist schließlich der Charakter des von Tom Sizemore dargestellten Patriarchen, der sich im Verlauf des Films als mindestens genauso soziopathisch wie sein Filius entpuppt. Die Figuren werden mit durchsichtigen Schachzügen in die Position gerückt, die für ein Finale im Sinne der Prämisse benötigt wird. Die Nachvollziehbarkeit der Charakterisierung bleibt dabei allerdings vollkommen auf der Strecke.

    In Anbetracht der zahllosen Plattitüden fällt es schwer, „Red“ positive Aspekte abzugewinnen. Dabei beweist Brian Cox mit seiner minimalistischen Interpretation der Hauptfigur ein weiteres Mal seine ganz große Klasse. Mit stoischer Entschlossenheit lässt er seine Figur immer wieder gegen die Mauern laufen, die seine Gegenspieler errichten. Die Schauspieler sind jedenfalls nicht für das weitgehende Misslingen von „Red“ verantwortlich zu machen, denn auch in den Nebenrollen sind etwa von Robert „Freddy Krueger“ Englund (2001 Maniacs, Nightmare – Mörderische Träume), Amanda Plummer (König der Fischer, Pulp Fiction) und Tom Sizemore überzeugende Leistungen zu sehen. Während Plummer und Englund sich mit winzigen Auftritten begnügen müssen, macht Sizemore selbst dann noch das Beste aus seinem undankbaren Antagonistenpart, wenn ihm das Drehbuch mannshohe Felsbrocken in den Weg legt.

    Woher wissen Sie, wann Sie aufgeben sollten?

    Trotz eines interessanten Handlungsansatzes verlieren sich der Autor und die Regisseure von „Red“ viel zu schnell in ausgelatschten Thrillerregionen. So bewahren einzig die stilvollen Landschaftsaufnahmen und das großartig aufgelegte Schauspielensemble um Brian Cox den Film vor dem vollständigen Scheitern.

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