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    Der Weiße mit dem Schwarzbrot
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Weiße mit dem Schwarzbrot
    Von Andreas Staben

    Hollywood oder RAF? Diese Frage stellte sich dem Schauspieler Christof Wackernagel als er 1977 von Regisseur Alan Parker (Die Commitments, Mississippi Burning) das Angebot erhielt, die Hauptrolle in dessen Gefängnisdrama „Midnight Express“ zu übernehmen. Der junge Mann entschied sich für das Leben im Untergrund und für den bewaffneten Kampf. Dreißig Jahre später spricht der Ex-Terrorist in seiner neuen Heimat Mali vor der Kamera seines Neffen Jonas Grosch freimütig über seine Vergangenheit und vor allem über weitere Pläne und Ideen. In der mit sehr bescheidenen Mitteln gedrehten Dokumentation „Der Weiße mit dem Schwarzbrot“ setzt der Regisseur seinem eigenwilligen Onkel ein wenig distanziertes Denkmal. In der von Grosch unkommentiert, aber mit einem von Sympathie und Offenheit geprägten Blick eingefangenen Mischung aus eitler Selbstdarstellung und engagierter Argumentation kommt aber dennoch das komplexe Bild eines Menschen zum Vorschein. So verdichten sich Geschichten und Anekdoten aus der Ich-Perspektive in „Der Weiße mit dem Schwarzbrot“ zu einem intimen Bruchstück alternativer Geschichtsschreibung.

    Der 1951 geborene Wackernagel wurde Ende der 60er Jahre zu einem gefragten Schauspieler mit Auftritten in Filmen von Johannes Schaaf und Michael Verhoeven ehe im Sommer 1977 das terroristische Intermezzo folgte, das schon im November desselben Jahres in eine spektakuläre Schießerei und seine Verhaftung mündete. Im Gefängnis studierte Wackernagel nachträglich den theoretischen Überbau der RAF-Vordenker, ehe er sich vom Terrorismus lossagte. Nachdem sich selbst der niederländische Polizist, der Wackernagel verhaftet hatte, für eine Freilassung einsetzte, wurde dieser 1987 auf Bewährung aus der Haft entlassen. Der Schauspieler fand schnell wieder Rollen und war zuletzt vor allem in der RTL-Serie „Abschnitt 40“ erfolgreich. Da er sich in Deutschland aber nach wie vor hauptsächlich als Ex-Terrorist wahrgenommen fühlte, zog Wackernagel sich nach Bamako zurück, um dort Bücher zu schreiben.

    Grosch besuchte seinen Onkel in Afrika, und die Übergänge von der gefilmten Familienvisite zur methodisch konzipierten Dokumentation sind fließend. Der Regisseur zeigt Wackernagel beim Einfangen der Hühner im ungefüllten Swimmingpool, beim Teigkneten für die Bäckerei und beim Musizieren mit dem einheimischen Sänger Madou Coulibaly. Der Versuch, den Film durch solche Alltagsbeobachtungen aufzulockern, ist nur in Teilen erfolgreich, denn ihre Folge ist wenig sinnfällig. Auch der prominente Einsatz von Coulibalys Musik, die von den Schwierigkeiten des afrikanischen Alltags erzählt, lenkt letztlich vom eigentlichen Gegenstand des Films ab. Immer, wenn Grosch solche über die Person des Protagonisten hinausweisenden Ambitionen verfolgt, verliert der Film sein Zentrum und gleitet ins Unbestimmte ab. „Der Weiße mit dem Schwarzbrot“ besitzt seine größte Stärke in der Einfachheit. Wackernagel hat das Wort, und er hat zu allem etwas zu sagen. Erstaunliches steht neben Komischem, Naives neben Entlarvendem. Bei der Schilderung von Gewalt und Lebensgefahr bei seiner Verhaftung ist Wackernagel höchst amüsiert. Die Distanz hat die Vergangenheit für ihn ins fast Komische verschoben. An dieser Stelle der Irritation wäre kritisches Nachfragen oder eine ergänzende Außenperspektive naheliegend, doch darauf verzichtet Grosch konsequent. Die Psychologisierung und Rationalisierung der RAF-Geschichte ist nicht sein Thema, für diese Befreiung vom Erwartbaren verzichtete er auch auf potentielle Fördergelder. Er zeigt uns Wackernagel und wie er die Welt sieht.

    Wackernagel wollte und will die Welt verbessern, dazu hat er in Mali unter anderem ein „Müllspiel“ ersonnen, durch das Kinder in sportlichem Wettstreit das Problem des allgegenwärtigen Abfalls lindern helfen können. Mit einer Kulturkarawane wollte er mit gleichgesinnten Künstlern durch Afrika ziehen und für den Frieden auf dem krisengeschüttelten Kontinent werben und wirken. Ungerechtigkeit, Verschwendung und Engstirnigkeit können den stets freundlich wirkenden Wackernagel nach wie vor in Wallung bringen. Er gerät in Rage, wenn er sieht, dass Angehörige von Hilfsorganisationen und Regierungsstellen in Afrika immer in teuren, großen Limousinen unterwegs sind, während ein Taxi-Service nicht nur für Arbeitsplätze, sondern auch für Volksnähe sorgen könnte. Ähnlich einfache und scheinbar unrealistische Ideen verfolgt Wackernagel hartnäckig, der unruhige Geist ist immer noch von Idealismus beseelt und hat anarchischen Schalk im Nacken. Dabei ist er durchaus in der Lage, seine persönliche Rolle bei diesen Projekten kritisch zu reflektieren. Die Eröffnung einer Vollkorn-Bäckerei in Bamako, der der Film seinen Titel verdankt, und ihr Scheitern zeugen ebenso vom Einfallsreichtum des Initiators wie von grundsätzlichen Problemen im Verhältnis von Reich und Arm, Europa und Afrika, Weiß und Schwarz.

    Regisseur Jonas Grosch überlässt dem charismatischen Erzähler und fröhlichen Plauderer Wackernagel weitgehend das Feld. Und genau durch diese Subjektivität, diese verengte Perspektive, bekommt der Film seinen besonderen Reiz. Grosch geht es nicht um ein ausgewogenes Porträt, um das Forschen nach objektivierbaren Ursachen und Motivationen, sondern darum, einem faszinierenden und komplizierten Menschen näherzukommen. Der persönliche Charakter des Unternehmens gibt „Der Weiße mit dem Schwarzbrot“ eine Lebendigkeit, die inmitten des sonst üblichen mahnenden Gedenkens im zeithistorischen Diskurs einen willkommenen Kontrapunkt setzt.

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