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    Ausnahmesituation
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Ausnahmesituation
    Von Florian Schulz

    „Die besten Geschichten sind die, die das Leben selbst schreibt.“ Eigentlich sollte man den Schöpfer dieser Binsenweisheit persönlich für die ganze filmische Einfallslosigkeit verantwortlich machen, die es sich im Windschatten der werbewirksamen Betitelung „Based on a true story“ bequem gemacht hat. Doch nicht nur beim Publikum scheint es einen Bedarf für fiktional aufbereiteten Realstoff zu geben: Für das Medizin-Drama „Ausnahmesituation“ tauscht Hollywood-Altstar Harrison Ford kurzerhand Lederjacke und Peitsche gegen den weißen Laborkittel und jagt anstelle von Spielbergs Aliens überlebenswichtigen Enzymen hinterher. Und auch ein weiterer großer Fisch Hollywoods hat angebissen: Brendan Fraser, der noch vor nicht allzu langer Zeit im CGI-Gewitter Die Mumie – Das Grabmal des Drachenkaisers einen Untoten nach dem anderen vermöbelte, mimt jenen real existierenden Familienvater, auf dessen erbittertem Kampf um das Leben seiner Kinder die Geschichte fußt. Mit Regisseur Tom Vaughn (Starter For 10) war auch bald der geeignete Mann gefunden, das Drehbuch rund um die seltene Erbkrankheit Morbus Pompe in rührselige Bilder zu gießen. Herausgekommen ist ein handwerklich und schauspielerisch solides Hochglanzdrama, das in erster Linie der Bio-Tech-Branche gut in den Kram passen dürfte.

    Kaum sind die materiellen Sorgen aus der Welt, holt einen das Schicksal an anderer Stelle ein: Der erfolgreiche Geschäftsmann John Crowley (Brendan Fraser) muss schockiert erfahren, dass zwei seiner Sprösslinge an einer tödlichen Erbkrankheit leiden, gegen die es bisher kein adäquates Mittel gibt. Doch der Familienvater gibt nicht auf: Im Internet stößt er auf die Veröffentlichungen von Dr. Robert Stonehill (Harrison Ford), der auf Grundlage seiner theoretischen Arbeit ein wirksames Medikament in Aussicht stellt. Zuerst möchte der eigensinnige Mediziner nichts von einer Zusammenarbeit wissen. Erst als Crowley ihn mit seiner Frau Aileen (Keri Russell) und den erkrankten Kindern bekannt macht, beginnt der harte Kern des Wissenschaftlers zu schmelzen. Nun fehlen nur noch die benötigten finanziellen Mittel…

    Morbus Pompe ist eine sogenannte Orphan Disease, eine äußerst seltene und damit weitgehend unerforschte Krankheit. Im Klartext heißt das: Es ist Geld im Spiel. Eine Menge sogar, denn das amerikanische Recht sichert den Entwicklern eines wirksamen Medikaments ein siebenjähriges alleiniges Distributionsrecht zu. Diesen finanziellen Implikationen müssen sich bald auch John Crowley und Dr. Stonehill bewusst werden. Während für den Familienvater der emotionale Antrieb im Vordergrund steht, regiert in Dr. Stonehill der wissenschaftlich-verkopfte Exzentriker. Als dann noch jene dritte Logik hinzutritt, der es in Form des Joint Ventures vordergründig um den Profit geht, muss man sich arrangieren. Denn was in der geistigen Welt der Wissenschaft einer zeitlichen Verlangsamung unterliegt, muss der ungestümen Dynamik der Finanzmärkte und dem raschen Verlauf der Krankheit Rechnung tragen. Aus dieser Inkommensurabilität seiner Perspektiven generiert „Ausnahmesituation“ seine dramaturgische Brisanz.

    Ironischerweise ist es unter anderem auch ein Zeitproblem, das den Film in ein zwiespältiges Licht rückt. Den Umstand, dass sich die biografisch-literarische Vorlage von Pulitzer-Preisträgerin Geeta Anand über ganze sieben Jahre erstreckt, staucht das Drehbuch in eine gefühlte Woche zusammen. Dadurch fällt es erstens unglaublich schwer, den Wechsel der verschiedenen Locations im amerikanischen Nordwesten angemessen nachzuvollziehen. Zweitens gleicht der mühsame Weg zum fertigen Präparat eher einem federleichten Zaubertrick, der die Wissenschaftler zu Wunderheilern und das Labor zur moralischen Bühne hochstilisiert. Dass der exzentrische Einzelgänger Stonehill in der eifrig aus dem Boden gestampften Bio-Tech-Firma erst einmal aneckt, schließlich aber sogar den CEOs ordentlich Dampf macht, passt daher recht gut ins Bild - und man ahnt, dass der eigentliche Protagonist das Pharmaunternehmen selbst ist, zu dem es übrigens auch ein ganz reales Pendant gibt.

    Schauspielerisch gibt es hingegen nichts zu bemängeln. Für Harrison Ford (Crossing Over, Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels) scheint die eigenbrötlerische Rolle wie geschaffen. Einmal mehr gelingt ihm der charakteristische Balanceakt zwischen verschlossenem Egozentriker und gutmütigem Kumpeltyp. Auch Brendan Frasers (L.A. Crash, Tintenherz) exaltierter Dackelblick passt hier gut zu seiner Figur, die er angenehm leichtfüßig mit Leben füllt. An seiner Seite agiert souverän Keri Russell (Mission: Impossible 3, Rohtenburg) als toughe Mutter und Hausfrau. Den Schneid lassen sich die erwachsenen Darsteller aber nicht nur einmal von Meredith Droeger abkaufen, die als Kinderdarstellerin der Megan Crowley für ordentlich Belebung und einige bissige Dialoge sorgt. Letztlich begrenzt aber die arg stereotype Rollenmotivik auch das schauspielerische Potenzial: Es dominiert das Amerika der Besserverdiener, denen es - mit ordentlicher Healthcare ausgestattet - einzig und allein noch um das wissenschaftlich Machbare gehen muss.

    Fazit: So ambitioniert und warmherzig „Ausnahmesituation“ auch sein mag, so aalglatt ist der Film in seinen Implikationen. Tom Vaughn versteht es, emotionale Bilder zu liefern, die aber weit davon entfernt sind, die eigentliche Problematik zu extrahieren und die letztlich aus der Produktion eine weitere Hommage an das Land der unbegrenzten Möglichkeiten machen. „Warte nicht auf das Wunder. Mach es wahr!“, frohlockt die Marketingmaschinerie. So schön das auch klingen mag: Wer nicht den einen oder anderen potenziellen Anteilseigner bereits im Adressbuch stehen hat, wird sich mit dieser Art Wunder wohl eher schwertun.

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