Mein Konto
    Selbstgespräche
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Selbstgespräche
    Von Christian Horn

    Mit einem Kölner Callcenter als Zentrum erzählt Regisseur André Erkau in seinem Langfilmdebüt „Selbstgespräche“ von vier ganz unterschiedlichen Menschen, die alle auf ihre Weise mit ihrer aktuellen Lebenssituation hadern und sich in auf den ersten Blick ganz unterschiedlichen Krisen befinden, die bei genauerem Hinsehen jedoch alle auf einen gemeinsamen Nenner, nämlich Kommunikationsstarre, zurückzuführen sind. Erkan wahrt eine ironische Distanz zu seinen Figuren, schafft es aber dennoch mit viel Humor und Wärme zu erzählen und die Charaktere nicht bloß zu stellen. Die lehrbuchartige Dramaturgie und die konventionelle Ästhetik erinnern dabei allerdings unverkennbar an TV-Produktionen und es drängt sich die Frage auf, warum dieser Film nun einen Kinostart verpasst bekommen hat. Ganz wie im Medium Fernsehen üblich wird der überwiegende Teil des Dramas mit Dialogen statt Bildern und Montagen bestritten. Das passt freilich zum Callcenter-Setting, kann cineastischen Ansprüchen aber nur bedingt genügen.

    Callcenter sind traditionell Orte, an denen Menschen mit Geldproblemen sich in einer Art Warteschleife für einen besseren Job einreihen. Nicht anders wird die Telefonzentrale in „Selbstgespräche“ dargestellt: Sascha Wegemann (Maximilian Brückner; Kirschblüten – Hanami) ist der Neue und sitzt in seiner Telefonbox die Zeit bis zu seinem „großen Durchbruch“ als Fernsehmoderator ab – ein Unterfangen, das wird dem Zuschauer schnell klar, mit wenig Aussicht auf Erfolg. Der menschen- und vor allem frauenscheue Adrian (Johannes Allmayer) wirkt am Telefon zwar souverän und bringt die meisten Flatrate-Pakete an den Mann, ist im Privatleben jedoch sehr unsicher. Als er sich am Telefon in eine Kundin verliebt, greift Sascha ihm unter die Arme. Die alleinerziehende Marie Bremer (Antje Widdra) ist die dritte im Bunde. Selbstbewusst und lasziv macht sie ihr eigenes Ding und kümmert sich neben ihrem Halbtagsjob im Telefoncenter um ihren Sohn. Doch dann taucht plötzlich der Vater ihres Kindes auf. Schließlich ist da noch Abteilungsleiter Richard Harms (August Zirner, Die Fälscher), der vor den Trümmern seiner Ehe steht. Als Chef kommt ihm außerdem die schwierige Aufgabe zu, den Profit seiner Abteilung innerhalb von einem Monat um fünf Prozent zu steigern – ansonsten droht die Schließung…

    Die Geschichten der vier Protagonisten werden abwechselnd erzählt, zu Überschneidungen kommt es vor allem zwischen den Episoden um Sascha und Adrian, die gemeinsam nach Hamburg fahren – ersterer zu einem Casting, letzterer, um seine Telefon-Flamme zu besuchen. Große Überraschungen bleiben dabei weitestgehend aus, der Zuschauer erahnt die Ereignisse in der Regel ein paar Minuten voraus. Gediegen werden die einzelnen Handlungsstränge weitergesponnen. Bilanz gezogen wird dann in regelmäßigen Abständen im Callcenter, wenn die überarbeiteten, übernächtigten und nervlich angeschlagenen Figuren aufeinandertreffen. Für das Publikum interessant werden die einzelnen Schicksale so nicht durch die recht altbackene Erzählweise, sondern vielmehr aufgrund der überzeugenden Darsteller, die ihre Charaktere glaubwürdig und greifbar erscheinen lassen.

    „Selbstgespräche“ ist kein sonderlich innovativ inszenierter Film, sondern einer, der sich ganz auf seine Figuren und Schauspieler verlässt, bei dem arg viel über den Dialog erzählt wird und der sich nur in Ausnahmefällen der spezifischen Gestaltungsmöglichkeiten des Kinos bedient. Am ehesten geschieht dies noch durch den glücklich gewählten Score, der das Geschehen stimmig kommentiert und dabei gerade noch nicht zu dick aufträgt.

    Der gemeinsame Kern der thematisierten Krisensituationen ist eine Kommunikationsstarre, das Aneinandervorbeireden – „Selbstgespräche“ eben, die hier fatalerweise zu zweit geführt werden. Sascha traut sich nicht, seiner Freundin seine Vorbehalte in Bezug auf ihre Schwangerschaft mitzuteilen. Richard schweigt in Anwesenheit seiner Ehefrau meist, und wenn er dann doch mal denn Mund aufmacht, kommen nur hohle Phrasen über die deutsche Wirtschaftslage heraus. Am deutlichsten wird das Kommunikationsproblem bei Adrian, der gar nicht oder nur sehr schwer und unbeholfen mit Menschen – und erst recht Frauen – ins Gespräch kommt. Auch bei Marie und ihrem Ex-Mann kommt kein konstruktiver Dialog zustande, gegen Ende des Films funktioniert ihre Kommunikation gar nur noch über Schriftverkehr. Letztlich ist dann sogar die Callcenter-Krise einem Kommunikationsproblem geschuldet: Weil Verkaufs-Agenten und potentielle Kunden sich gegenseitig nicht zuhören, kommt es nur selten zum erfolgreichen Abschluss.

    Dabei legt Richard seinen Mitarbeitern ironischerweise stetig die Zutaten für ein erfolgreiches Gespräch nah, postuliert „aktives Zuhören“ und „interessiertes Nachfragen“. Das theoretische Rüstzeug für einen Dialog, der nicht zum Selbstgespräch verkümmert, ist den Figuren also an die Hand gegeben – an der praktischen Umsetzung hapert es jedoch gewaltig. Nicht wenige Zuschauer dürften sich beim Betrachten dieser Misere ertappt fühlen, denn wer kennt das engagierte Vorhaben „Wir müssen reden!“ nicht? Und wer ist daran nicht bereits das ein oder andere Mal kläglich gescheitert?

    Fazit: „Selbstgespräche“ punktet mit überzeugenden Darsteller und dem vielfältigen Durchdeklinieren seines Themas. Leider trübt die ästhetische Umsetzung das Gesamtbild erheblich – zu wenig innovativ und abwechslungsreich – alles in allem eben viel zu fernsehtauglich – ist das Drama inszeniert. Dass „Selbstgespräche“ das Prädikat „besonders wertvoll“ erhalten hat, liegt so wohl eher an seiner Verhandlung eines aktuellen Zeitgeistthemas denn an seiner leinwandfüllenden Gestaltung.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top