Mein Konto
    Birdwatchers – Das Land der roten Menschen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Birdwatchers – Das Land der roten Menschen
    Von Björn Helbig

    Die Indios, die in der Vergangenheit große Gebiete Brasiliens bevölkerten, wurden nach Ankunft der Portugiesen im Jahre 1500 immer weiter zurückgedrängt. Das Land wurde den Ureinwohnern weggenommen und etliche von ihnen versklavt. Viele starben aufgrund der harten Zwangsarbeit oder durch von den Europäern eingeschleppte Krankheiten. Die Folgen der Kolonialzeit und die einst geschaffenen Strukturen sind heute noch deutlich sichtbar. In seinem Drama „Birdwatchers“ nimmt Regisseur Marco Bechis den Zuschauer mit auf eine hypnotische Reise ins Innere des brasilianischen Regenwaldes. Er präsentiert dabei nicht nur beeindruckende Bilder, sondern verschafft auch Einblicke in die Ungerechtigkeiten, denen die in der Region lebenden Indios auch in unserer Zeit noch ausgesetzt sind.

    Im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso di Sul haben sich Großgrundbesitzer durch den Anbau genveränderter Pflanzen einigen Reichtum erwirtschaftet. Die schon lange von ihrem Land vertriebenen Guarani-Kaiowa-Indianer hingegen führen ein tristes Leben in Reservaten. Lediglich durch Feldarbeiten oder „Birdwatching“-Touren für Touristen können sie sich etwas Geld hinzuverdienen. Nach dem Selbstmord einer Jugendlichen ist Nadio (Ambrósio Vilhava) überzeugt, dass sein Stamm das Reservat verlassen und sich an einem Ort niederlassen muss, der einst von seinen Ahnen bewohnt wurde. Doch das Gebiet gehört heute einem Großgrundbesitzer Lucas Moreira (Leonardo Medeiros) und der versucht, die unliebsamen Eindringlinge mit allen Mitteln zu vertreiben. Doch es gibt auch Momente der Annäherung: Zwischen Maria (Fabiane Pereira da Silva), der Tochter des Eigentümers, und Osvaldo (Abrísio da Silva Pedro), dem Nachfolger des Schamanen, entsteht eine tiefe Verbindung.

    Früher vermochten die Indios autark im vollständig von dichtem Regenwald bewachsenen Gebiet zu leben. Heute dienen riesige gerodete Areale der Landwirtschaft, die einigen wenigen Menschen auf Kosten der einheimischen Bevölkerung ein Vermögen einbringt. Die filmische Aufarbeitung dieses Hintergrunds könnte leicht in bittersüßem Ethno-Kitsch versinken, es wäre allzu verständlich, wenn die Empörung über die Ungerechtigkeit aus jeder Einstellung strömte. Der erfahrene Filmemacher Marco Bechis vermeidet dies souverän und gestaltet seine Geschichte von den Guarani-Kaiowa-Indianern mit größter Natürlichkeit. Der Exil-Chilene umschifft sicher alle Klischees und idealisiert weder den ursprünglichen Lebensstil der Indios noch verteufelt er die Großgrundbesitzer pauschal. Trotz gelegentlicher Ansätze von Längen, zeigt sich Bechis im Detail nicht nur als sensibler, sondern auch als äußerst einfallsreicher Erzähler. Sein Film steckt voller kleiner und größerer Überraschungen.

    Dass ein Projekt wie „Birdwatchers“ nur mit großer persönlicher Einsatzbereitschaft und gründlichster Recherche gelingen kann, versteht sich von selbst. Inspiriert durch ein Treffen mit Ashuar-Indianern, die erst vor 40 Jahren das erste Mal mit Weißen in Kontakt gekommen waren, machte sich Bechis an die Vorbereitungen für seinen Film und nahm dafür den Stamm der Guarani-Kaiowa in den Blick: Im Gespräch mit Ambrósio Vilhava entwickelte Bechis sein Drehbuch, das er an dessen Lebensgeschichte anlehnte. Schließlich entschied sich der Regisseur nicht nur für Vilhava als Hauptdarsteller, sondern alle Indianer-Rollen sollten von echten Indios gespielt werden. Dieses Risiko hat sich im Hinblick auf das überzeugende Ergebnis eindrucksvoll ausgezahlt.

    Auch wenn nicht zu befürchten war, dass die Dreharbeiten in ähnliche Strapazen wie bei Werner Herzogs Aguirre, der Zorn Gottes ausarten würden, sind die Anstrengungen und das Herzblut, die in „Birdwatchers“ stecken, unübersehbar. Das Engagement des Regisseurs erklärt sich auch aus seiner Biografie. Bechis wurde Mitte der 1950er Jahre in Santiago de Chile geboren. Später übersiedelte die Familie nach Argentinien. Als dort 1976 das Militär die Macht übernahm, wurde der linke Idealist Bechis verhaftet und in ein geheimes Folterlager verschleppt. Erst auf Druck seiner Eltern wurde er in ein normales Gefängnis überstellt. Drei Monate nach seiner Freilassung emigrierte Bechis nach Europa und wurde italienischer Staatsbürger. Nach Arbeiten als Fotograf und Videokünstler stieg sein Bekanntheitsgrad mit dem Spielfilmdebüt „Alambrado“, das auf mehreren Festivals gezeigt wurde. Seitdem hat Bechis sich in Filmen wie „Junta“ oder „Figli/Hijos“ als politisch engagierter, humanistischer Künstler hervorgetan.

    Die Darstellung der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen dem Naturvolk und der reichen weißen Bevölkerung steht in „Birdwatchers“ im Vordergrund. Regisseur Bechis setzt dabei einen etwas zu starken Akzent auf seine aufklärerische Botschaft und vernachlässigt mit wenigen Ausnahmen die Figurenzeichnung. Er legt den Finger in eine offene Wunde, dies erfolgt allerdings mit bemerkenswert leichter Hand und ohne erhobenen Zeigefinger. Bechis greift komplexe Zusammenhänge auf unprätentiöse und manchmal sogar schelmische Weise auf. Bei aller offensichtlichen Kritik an den Verhältnissen und der Ungerechtigkeit, die die Indios erdulden müssen, geht der Regisseur sehr charmant vor und bringt den Zuschauer kontinuierlich zum Staunen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top