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    Morgentau
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Morgentau
    Von Christian Horn

    Beim Fespaco Filmfestival 2009 in Burkina Faso, dem wichtigsten Filmfestival Afrikas, wurde das epochale Drama „Morgentau" von Haile Gerima („Asche und Glut") zwar als Bester afrikanischer Film ausgezeichnet. Wäre „Morgentau" keine deutsch-äthiopische Co-Produktion, würde der Film hierzulande jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ins Kino kommen. Nicht weniger als drei Jahrzehnte äthiopischer Politik-Geschichte will Haile Gerima aus verschiedenen Blickwinkeln erzählen – und fächert damit eine thematische Bandbreite auf, die kaum in einen einzigen Spielfilm passt. Obgleich „Morgentau" mit starken Bildern und dem charismatischen Hauptdarsteller Aaron Arefe aufwartet, macht das moralisch motivierte Drama einen zerfahrenen Eindruck.

    Nach vielen Jahren kehrt Anberber (Aaron Arefe) in sein äthiopisches Heimatdorf zurück, wo sich die Verhältnisse kaum geändert haben. Eine willkürlich herrschende Militär-Junta erstickt jede politische Emanzipation, gleichwohl beäugen die Dorfbewohner den intellektuellen Heimkehrer mit Skepsis, da er kaum in die von Aberglauben und Brauchtum dominierte Gemeinschaft passt. Anberber flüchtet sich in seine Erinnerungen: 1970 verließ er die Heimat, um in Köln Medizin zu studieren, und kämpfte mit anderen links-politischen Studenten von Deutschland aus gegen das äthiopische Kaiserreich. Als dieses 1974 von einem marxistischen Regime abgelöst wird, reist sein Freund Tesfaye (Abeye Tedla) in die Heimat, da er beim erhofften Aufbruch mithelfen will. Anberber folgt ihm und erkennt, dass der Kommunismus auch in Äthiopien gescheitert ist. Nach der Ermordung Tesfayes flieht Anberber in die DDR, doch auch kann er der Gewalt nicht entkommen. Es kommt zu einem rassistisch motivierten Anschlag auf den Afrikaner. Der Desillusionierte kehrt einmal mehr in sein Heimatdorf zurück...

    Der äthiopisch-stämmige, in den USA lebende Regisseur Haile Gerima, der auch das Drehbuch verfasste, erzählt diese Geschichte nicht chronologisch. Stattdessen entwirft er ein mosaikartiges Drama, das die Erlebnisse der Hauptfigur über Exkurse, Abschweifungen und zeitliche Sprünge stückweise offen legt. Die thematische Bandbreite bleibt jedoch eher Behauptung, mit Thesen und Perspektiven hält Gerima sich zurück: Als Zeitporträt der jeweiligen Stationen – Äthiopien in den 70ern und 80ern, Westdeutschland kurz nach 1968, die DDR – funktioniert „Morgentau" deshalb nicht, weil Gerima wenig Interesse für strukturelle Ursachen zeigt, sondern schlicht Wirkungen präsentiert. Zusammengehalten wird die episodische Geschichte vor allem durch die Präsenz des Hauptdarstellers Aaron Arefe und dessen erklärenden Voice-Over-Kommentar.

    Trotz seiner zu ausufernden Erzählung ist „Morgentau" stark inszeniert. Die Szenen in Afrika bieten kraftvolle Bilder, die musikalische Gestaltung pendelt – das zerrissene Innere der Hauptfigur reflektierend – zwischen Jazz und afrikanischen Volksliedern. Daneben fallen einige schnelle Schnittfolgen auf, die an die rauschhafte Visualität des Hongkong-Kinos erinnern und den Zuschauer auf ästhetischer Ebene spüren lassen, dass er gerade ein Stück afrikanisches Kino sieht. Der Regisseur ist kein Außenstehender, der ein Bild von Afrika entwirft, sondern einen Afrikaner, der von seiner Heimat erzählt.

    Dass „Morgentau" dabei auch für westliche Verhältnisse unzureichende Produktionsstandards erkennen lässt, besonders beim teils hölzernen Schauspiel, ist in diesem Kontext eher interessant denn störend. Auf den ersten Blick ist es erfreulich, dass dem deutschen Publikum mit „Morgentau" überhaupt ein Film aus Äthiopien angeboten wird – viel zu selten eröffnet sich hierzulande eine derartige cineastische Gelegenheit. Der hochgradig politische „Morgentau" strauchelt jedoch unter der Ambition des Regisseurs, dreißig Jahre äthiopischer Geschichte in einem einzigen Film und auf dem Rücken eines einzigen Protagonisten zu vereinen.

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