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    23 Tage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    23 Tage
    Von Anna Lisa Senftleben

    Was hat der schönste Mannschaftssport der Welt nicht für tolle Zitate hervorgebracht: „Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten.“ (Sepp Herberger) „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift.“ (Franz Beckenbauer) „Ab der 60. Minute wird der Fußball erst richtig schön, aber da bin ich immer schon unter der Dusche.“ (Andreas Herzog) Ganz aktuell heißt es nun: „Jede EM hat ihre eigene Geschichte.“ (Detlef Buck) Doch hier zunächst einmal die harten Fakten der in Österreich und der Schweiz ausgetragenen Fußball-Europameisterschaft 2008: 16 Teams, 521 Spieler, 31 Spiele, 29.015 Pässe, 300.000.000 Fans, 12 Schiedsrichter, 1.130.000 Eintrittskarten = 23 Tage Fußballwahnsinn. Doch der Wahnsinn tobte nicht nur im Fernsehen und in der Presse, sondern auch auf der Straße und bei den Leuten Zuhause. Deshalb kommt mit „23 Tage – Das YouTube Fan-Tagebuch“ nun ein Best-Of von Fan-Beiträgen ins Kino. Eigentlich hätte man darauf auch schon früher kommen können: Einfach einen Aufruf beim weltgrößten Videoportal YouTube starten und aus den über 2.000 hochgeladenen Beiträgen zum Thema EM 2008 einen Film zusammenstellen. Der Regisseur Detlef Buck (Knallhart, Hände weg von Mississippi) setzte diese Idee nun in die Tat um und schuf aus 82 Stunden Videomaterial die weltweit erste EM-Dokumentation im WEB 2.0. Im Gegensatz zu Sönke Wortmanns groß produziertem Deutschland. Ein Sommermärchen ist „23 Tage“ ein reines Fanprojekt, was Buck aus rechtlichen Gründen vor die schwierige Aufgabe stellte, den Zuschauer die großen Momente der EM noch einmal erleben zu lassen, ohne dabei aber Spielszenen oder auch nur Aufnahmen von Spielern zeigen zu dürfen.

    „Ich war schon neugierig, denn einen Film von Fans für Fans gab's noch nie. Wir haben 82 Stunden Material bekommen! Das spricht für sich. Die YouTube-User haben das Tagebuch mit sehr vielen und kreativen Filmen zum Leben erweckt. Nun geht's tatsächlich in die Kinos und ich freue mich auf das Ereignis zusammen mit den Fans, denn für sie haben wir den Film gemacht! Und das tut auch dem Kino gut!" – Detlef Buck

    In Form eines Videotagebuchs haben Detlev Buck und sein Team die Crème de la Crème der eingereichten Beiträge (nämlich 64) zu einer knapp 50-minütigen Hommage an die EM 2008 zusammengestellt. „23 Tage - Das YouTube Fan-Tagebuch“ ist ein atmosphärischer, unterhaltsamer Rückblick auf das Großereignis, der sich in Form von selbst gedrehten Kurzfilmen präsentiert. Fußballgeschichte aus der Sicht von Fans – für Fans: Denn fußballbegeistert sollte der Zuschauer schon sein, um „23 Tage“ wirklich genießen zu können. Mal wieder macht es die Mischung: So wechselt der Film von emotionsgeladenen Ausschnitten, in denen sich die Fans der gegnerischen Teams in den Armen liegen, zu einer Nachstellung des Spiels Frankreich gegen Italien, in der sich Schneckenhäuser und Nudeln statt der Spieler auf dem Feld tummeln. Aber auch Legomännchen, Knetfiguren und Handpuppen mussten für das Nachspielen zahlreicher Partien herhalten, da aufgrund nicht vorhandener TV-Rechte keine Originalszenen der Spiele verwendet werden durften. Jedoch erweisen sich die fehlenden Rechte schnell als großes Plus: Die nachgestellten Partien sind so liebevoll gestaltet, dass die Originalausschnitte nie vermisst werden.

    Ein weiteres Highlight des Films ist das sogenannte „Mofa-Projekt“ der Filmstudenten Tobi und Alex, zwei sympathische Jungs aus dem Norden, die mit ihren klapprigen Mopeds, von denen eines zärtlich auf den Namen „Monika“ getauft wurde und zwischenzeitlich den Geist aufgab, mit rund 35 Stundenkilometern die über 1.700 Kilometer von Hamburg bis zum WM-Finale nach Wien zurückgelegt haben. Buck selbst bleibt dabei vor allem eine spezielle Szene in Erinnerung: „Ein schöner Moment im Film ist für mich, als ihnen nach dem verlorenen Spiel gegen Kroatien bei einer Panne ausgerechnet ein kroatischer Lastwagenfahrer hilft.“ Ein weiteres Schmankerl sind die Auftritte des Berliner Deutsch-Türken „Tiger“, der in seinem „Süper EM-Stüdyo“ ein tägliches humorvolles Resümee der Spiele des Vortags zieht. Stellenweise bekommt man allerdings das Gefühl, dass es nicht nur am Zusammenschnitt liegen kann, dass „23 Tage“ insgesamt sehr professionell wirkt: So verliert der Film aufgrund der perfekten Inszenierung mancher Beiträge ein wenig an Authentizität, bleibt aber dennoch witzig und sehenswert.

    Vor seiner Auswertung auf YouTube wird „23 Tage“ zunächst einmal im Kino zu sehen sein – für den symbolischen Eintritt von 2,30 Euro, wobei die kompletten Einnahmen jeweils zur Hälfte an den Verein „Laut gegen Nazis e.V.“ und die Jugendinitiative „Streetfootballworld“ gespendet werden. Übrigens: Deutschland. Ein Sommermärchen-Regisseur Sönke Wortmann macht Buck Konkurrenz: In Zusammenarbeit mit der „Bild am Sonntag“ forderte dieser Leser und Fußballfans dazu auf, ihre Heimvideos zur EM 2008 einzuschicken. Einfallsreicher hätte der Titel der Trilogie (Wortmann hat aus sieben Stunden eingereichtem Rohmaterial drei Filme von jeweils drei bis fünf Minuten Länge zusammengeschustert), die im Wochenrhythmus auf „Bild.de“ zu sehen war, dabei kaum ausfallen können: „Sommermärchen 2008“. Doch nicht nur der Titel, auch die drei Mini-Filmchen an sich können mit Bucks Version eines Fan-Tagebuchs lange nicht mithalten.

    Fazit: Für den wahren Fußballfan ist „23 Tage - Das YouTube Fan-Tagebuch“ sicherlich eine reizvolle Verlängerung der EM 2008, allen anderen sei gesagt: Auch wenn der günstige Eintritt für einen guten Zweck gespendet wird, kann man seine Zeit wohl doch sinnvoller nutzen.

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