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    Tasogare - Liebesatoll im Abendrot
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tasogare - Liebesatoll im Abendrot
    Von Jan Hamm

    Softpornos mit gehaltvollen Geschichten – wo gibt’s denn sowas? Ganz sicher nicht im Nachtprogramm deutscher Privatsender, dafür aber in japanischen Kinos, wo mit dem sogenannten Pinkfilm schon in den 1960ern ein eigenes Genre aus dieser Idee erwachsen ist. Die vier Regeln des Pinkfilms lauten: Maximal vier Tage Drehzeit, alle fünf Minuten Sex, nicht länger als eine Stunde und kein nennenswertes Budget. Dabei handelt es sich allerdings eher um grobe Richtlinien als einen feststehenden Codex à la „Dogma“. „Tasogare – Liebestoll im Abendrot“ ist so ein Pinkfilm, der zwar nicht alle fünf Minuten eine Sexszene zu bieten hat, dafür aber eine kluge Geschichte um Sexualität im Alter. Die Vertreter des Genres sind nämlich auch dafür bekannt, sich an Tabuthemen heranzuwagen. „Tasogare“ ist ein kleiner, lebensbejahender Film, der tatsächlich etwas zu sagen hat.

    Nachdem der 65-jährige Funakichi (Masaru Taga) einer jungen Frau im Supermarkt den Rock gelüftet hat, darf er sich erst vom Geschäftsführer und dann von seiner beschämten Tochter eine Standpauke anhören: „Benimm dich altersgerecht!“ Altersgerecht würde in den Augen der Gesellschaft Asexualität bedeuten und das sieht Funakichi nun gar nicht ein. Stattdessen vergnügt er sich mit einer Bardame und beschwört mit zwei Freunden wilde Sexphantasien herauf. Auf einem Ehemaligentreffen seiner alten Schulklasse sieht er seine Jugendliebe Kazuko (Yasuko Namikibashi) wieder, die bereits zur Witwe geworden ist. Nachdem kurz darauf auch Funakichis Gattin ihrem Krebsleiden erliegt, rollen die beiden die Vergangenheit und all die verpassten Chancen des Lebens neu auf – und fühlen sich dabei auf einmal wieder wie verliebte Teenager.

    „Tasogare“ gelingt mit seiner unaufgeregten Inszenierung und seinem starken Drehbuch etwas, woran sich viele Großproduktionen die Zähne ausbeißen: Tragik und Komik der Geschichte werden mühelos in Einklang gebracht, ohne dass eines der beiden Elemente zu sehr dominieren würde. Komisch ist vor allem Funakichi selber, der mit seiner Begeisterung für das andere Geschlecht wie ein Teenager im Körper eines alten Mannes wirkt. Er weigert sich, den Konventionen zu entsprechen und sein Sexleben an den Nagel zu hängen – und das mit einer solch ulkigen Selbstverständlichkeit, dass er von Beginn an sympathisch wirkt. Tragisch sind auf den ersten Blick die Frauenfiguren: Funakichis Gattin war ihr Leben lang prüde und kann sich erst im Angesicht ihres nahenden Todes dazu durchringen, ihren Mann um einen sexuellen Gefallen zu bitten. In einer der wirklich rührenden Szenen des Films dankt sie es ihm und ermutigt ihn, seine Lust auszuleben, solange er noch kann. So weit ist Kazuko noch nicht. Sie hat sich der unausgesprochenen gesellschaftlichen Erwartungshaltung ergeben und seit dem Tod ihres Mannes jeglicher Lust abgeschworen.

    So entwickelt sich Kazuko auch zur interessantesten Figur des Films, denn durch sie erzählt „Tasogare“ von dem Rückweg aus der sexuellen Alterssackgasse. Schrittweise lässt sie Funakichi näher an sich heran und lernt, ihren gealterten Körper zu akzeptieren. Ihr Sieg über die Konvention wird in einer urkomischen Szene aussagekräftig untermauert: Nach dem ersten Schäferstündchen in einem Hotel nimmt sie Funakichi mit zu sich nach Hause und wird prompt von ihrem besorgten Sohn ausgeschimpft. Hier ist die normale Altershierarchie umgedreht, die Kinder nehmen den Platz der Eltern ein und umgekehrt. Und Kazuko wehrt sich gegen diese Autorität so trotzig, als wäre sie tatsächlich wieder 14. „Tasogare“ schafft damit etwas Beachtliches: Am Ende ist gar nicht mehr klar, warum Sex im Alter überhaupt ein Tabuthema sein sollte.

    „Tasogare“ ist trotz dieses präzisen Blickes auf ein Stück gesellschaftliche Realität natürlich auch ein Softporno. Sexszenen gibt es reichlich und auch die Dialoge drehen sich selten um etwas anderes. Da der Film aber gerade die Normalität von Sex im Alter propagiert, wirken die entsprechenden Sequenzen nie wie dem Genre geschuldete Pflichtübungen. Von Videothekenschmuddelware ist der Film meilenweit entfernt. So voyeuristisch Funakichi und seine Freunde auch sind – „Tasogare“ ist es nicht. Die Sexszenen sind nicht überstilisiert und versprühen gelegentlich sogar sanfte Erotik, ganz einfach, weil Regisseur Shinji Imaoka es schafft, die Erregung der Protagonisten glaubhaft rüberzubringen. Beim unvermeidlichen Akt zwischen Funakichi und Kazuko werden die Figuren mit Respekt behandelt, was einmal mehr deutlich macht, dass hier nicht plump ein Tabu gebrochen werden soll, sondern eher hinterfragt wird, ob es sich dabei überhaupt um ein Tabu handelt.

    Fazit: „Tasogare“ ist ein gelungener Film zu einem sensiblen Thema. Ohne falsches Pathos wird der Lebenssituation alter Menschen nachgespürt. Authentisch agierende Darsteller und unpeinliche Sexszenen sorgen dabei für ausreichend Bodenhaftung, während Regie und Drehbuch konzentriert und ohne große Schlenker dafür sorgen, dass die kurze Spieldauer von nur 64 Minuten voll ausgefüllt wird. Daher ist es begrüßenswert, dass mit „Tasogare“ endlich mal ein Pinkfilm den Sprung aus der Festivalnische in die Öffentlichkeit geschafft hat, der beweist, dass Softpornos bisweilen tatsächlich mit gehaltvollen Geschichten harmonieren.

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