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    Klang der Seele
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Klang der Seele
    Von Jonas Reinartz

    Es ist eine Crux mit der Inspiration. Der eine wird ständig von der Muse geküsst, der andere rauft sich die Haare, weil ihm nichts Gescheites mehr einfällt, und ein dritter schert sich um derlei Dinge nicht im Geringsten. Hinzu kommt, dass ein genialer Funke alleine oft nicht ausreicht, er muss schließlich auch noch umgesetzt werden. In der Folge der Autonomisierung der Literatur kam es im 18. Jahrhundert gar zu dem Konzept des Künstlers ohne Werk. Darauf spielt etwa Goethes „Werther“ (1774/1787) an, wenn der Titelheld meint, er könne die Natur „jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein größerer Mahler gewesen als in diesen Augenblicken“. Dahinter steht folgender Gedanke: Nur außerhalb der Gesellschaft ist der geniale Künstler völlig unabhängig, tritt er in diese ein, so wird sein Werk gewissermaßen verwässert. Nimmt man noch die ohnehin problematische Natur der Kommunikation an sich hinzu, so verwundert es endgültig, dass sich überhaupt jemand der verzehrenden und unsicheren Kraftanstrengung der Produktion von Kunst aussetzt. Stets hat es den Außenstehenden fasziniert, was denn in den außergewöhnlichen Menschen vorgeht, die schöpferisch tätig sind. Marian Czuras Dokumentarfilm „Klang der Seele“ widmet sich vier jungen Nachwuchskomponisten auf der schwierigen Reise zu einem individuellen Stil. Dabei begeistert gerade der äußerst charismatische holländische Dozent Cord Meijering, da er seine Schüler behutsam und doch bestimmt auf die richtigen Bahnen zu lenken versteht. Sieht man von einigen wenigen Längen sowie einer eher unterdurchschnittlichen Machart ab, bleibt ein sehenswerter Einblick hinter die Kulissen der Musiklandschaft.

    1851 gegründet, entwickelte sich die Darmstädter „Akademie für Tonkunst“ im Laufe der Jahre zu einer luxuriös ausgestatteten Anlaufstätte für musikbegeisterte junge Menschen. Seit dem Jahr 2005 ist der Komponist Meijering Direktor der Institution. Ihn und vier seiner Schüler hat der polnische Maler und Filmemacher Marian Czuras mehr als ein Jahr mit der Kamera begleitet. Unparteilichkeit wird man ihm wohl kaum bescheinigen können, gestaltete er doch 2007 das neue Logo der Akademie. Eine gewisse Absicht, diese zu bewerben, ist also fraglos mit im Spiel, am interessanten Inhalt des Films ändert dieser Umstand aber nichts. Schlicht faszinierend ist es, zu sehen, wie unterschiedlich die begeisterungsfähigen, dabei aber größtenteils auch sehr bodenständigen Musiker ihre Ideen aufzeichnen und in etlichen Diskussionsrunden zergliedern. Der in sich ruhende Cord Meijering erweist sich sowohl in fachlicher wie auch menschlicher Hinsicht als sehr kompetent und übt - falls nötig - gezielt Druck aus, ohne jedoch auf einer sinnlosen, weil selbstzweckhaften Autorität zu insistieren. Seine Person sorgt allerdings auch für einige vermeidbare Längen. Zwar ist es per se nicht uninteressant, einem von ihm komponierten Werk beizuwohnen, um einmal die Möglichkeiten vor Augen zu haben, die sich einem erfolgreichen Komponisten bieten, dennoch führt die Sequenz zu sehr vom Thema weg, immerhin geht es ja vornehmlich um seine Stundenten.

    Wenn so etwas wie ein Nachteil des Dokumentargenres existiert, dann ist dies das Fehlen einer narrativen Dramaturgie. Czuras Arbeit stellt hier keine Ausnahme dar, dennoch gibt es in der Handlung vor allem einen spezifischen Konflikt, der den Film enorm aufwertet: Immer wieder kommt es zu kleinen Reibereien zwischen dem Schüler Roman Czura (der nicht mit dem Regisseur verwandt ist) und seinem Lehrer. Dabei ist Czura nicht einmal unsympathisch, doch paart sich bei ihm ein sehr stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein mit einer gehörigen Dosis an Starrsinn, so dass es den erfahrenen Komponist Meijering verständlicherweise erzürnt, dass er mit seinen nur gut gemeinten Verbesserungsvorschlägen auf taube Ohren stößt. Die folgenden Diskussionen sind nicht ohne erhebliche Komik und von hohem Unterhaltungswert, da der Hochmütige auf Kritik lediglich mit arrogantem Lächeln reagiert. Bewundernswert ist die Haltung Meijerings, dem Jungen würde es schon irgendwann gelingen, den „Spiegel abzuhängen“ und ein bisschen bescheidener zu werden. Es ist eben gerade seine behutsame Direktheit, die beeindruckt.

    Ungemein talentiert sind alle seine Schäflein, nur noch zu jung, um nicht die üblichen Fehler, die ein solches Talent mit sich bringt, zu begehen. In Momenten, in denen sie über Platon und das Wesen der Kompositionskunst reflektieren, fällt jedoch die verbesserungswürdige formale Umsetzung auf. Ein derartiges Sujet verlangt eine etwas sorgfältigere Inszenierung, die eben nicht nach Heimvideo riecht. Angesichts der schwierigen Lage, was die Finanzierung deutscher Filme betrifft, zumal bei einem wie diesem, der sich ausschließlich an ein eher älteres, musikinteressiertes Publikum richtet, überrascht es allerdings kaum, dass es an einer aufwendigen, ästhetisch hochwertigen Optik mangelt.

    Wer sich für instrumentale Musik begeistert, dem dürfte „Klang der Seele“ höchstwahrscheinlich zusagen. Einige kleine Mankos trüben das Vergnügen, einer Kompositionsklasse bei ihrer künstlerischen Entwicklung zuzuschauen, nur bedingt. Dennoch stellt sich aufgrund der bescheidenen Produktionsmittel und der sehr speziellen Thematik, die sicherlich nicht allzu viele Kinozuschauer ansprechen wird, die Frage, ob die erhellende Dokumentation nicht vielleicht in einem sorgsam geplanten ARTE-Themenabend besser aufgehoben wäre.

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