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    Der rote Punkt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der rote Punkt
    Von Ulf Lepelmeier

    Einmal im Jahr pilgern die Mitglieder der deutschen Filmindustrie in die fränkische Provinz und stellen ihre neuen Werke im nasskalten Städtchen Hof Verleihern, Journalisten und dem interessierten Publikum vor. Bei den Hofer Filmtagen fehlen natürlich auch die obligatorischen Preise nicht. Der begehrte „Förderpreis Deutscher Film“ ging 2008 an den HFF-Abschlussfilm der Japanerin Marie Miyayama, die mit ihrem unaufgeregten und stilsicheren Drama „Der rote Punkt“ begeisterte. Der Film erzählt die Geschichte einer Japanerin, die nach Deutschland reist, um ihren Frieden mit einem tragischen Erlebnis in ihrer Vergangenheit zu machen.

    Eigentlich könnte die 24-jährige Studentin Aki Onodera (Yuki Inomata) mit der Welt im Reinen sein, weiß sie doch fürsorgliche Pflegeeltern und einen netten Freund an ihrer Seite. Doch eines Nachts träumt sie von einer Autofahrt in ihrer Kindheit, die ein tragisches Ende nimmt und ihre behütete Welt einstürzen lässt. Aufgewühlt von diesem Traum bittet sie ihre Mutter (Nahoko Fort-Nishigami), ihr den Inhalt einer Kiste zu zeigen, die diese seit dem schicksalhaften Ereignis für sie aufbewahrt. In dem Karton findet Aki neben einigen Utensilien ihrer leiblichen Eltern auch einen alten Fotoapparat inklusive einem noch nicht entwickelten Film. Außerdem ist da noch eine Landkarte, auf der ein roter Punkt verzeichnet ist. Aki beschließt, sobald wie möglich nach Europa aufzubrechen und den rot markierten Ort aufzusuchen. Im ländlichen Allgäu trifft sie auf Familie Weber, die versucht, ihr weiterzuhelfen. Während der 18-jährige Elias (Orlando Klaus) sich liebevoll um Aki kümmert und ihr bei der Suche behilflich ist, distanziert sich der ständig mit seinem Sohn im Streit liegende Vater (Hans Kremer). Er scheint ein quälendes Geheimnis mit sich herumzutragen…

    Mit 16 Jahren hatte Marie Miyayama ein Kinoerlebnis, das ihre Zukunft maßgeblich beeinflusste. Sie sah „Alice in den Städten“ von Wim Wenders und war von da an Feuer und Flamme für das deutsche Autorenkino der 70er Jahre. Schließlich schrieb sie sich für Deutsch, Filmwissenschaften und kreatives Schreiben an der Tokioter Waseda Universität ein und begann, erste Super-8-Filme zu drehen. Nach dem Studium ging es dann nach Deutschland, wo sie als Dolmetscherin arbeitete und sich bei der Hochschule für Film und Fernsehen in München bewarb. Der dritte Anlauf wurde von Erfolg gekrönt. Die Story, die sie nun in ihrem Abschlussfilm erzählt, beruht auf einer realen Begebenheit, die die Regisseurin selbst stark berührte. 1998 begleitete sie als Dolmetscherin eine Japanerin, die zu einer rot markierten Stelle auf einer Bundesstraße wollte. Dort fand sich ein Gedenkstein, der an einen Autounfall gedachte, bei dem eine Familie tödlich verunglückte und nur ein kleines Kind überlebte. Der Verursacher des Unfalls wurde nie ausfindig gemacht.

    „Der rote Punkt“ beginnt zwar in Japan, spielt aber größtenteils in Deutschland. Dabei versteht es der Film, die menschenleeren Weide- und Waldlandschaften des Allgäus in einem melancholischen Licht erstrahlen zu lassen, das die Stimmung der Geschichte hervorragend widerspiegelt. Mit einer meditativen Ruhe, die beinahe an Gleichgültigkeit grenzt, entfaltet sich das Geschehen um die junge Japanerin in Süddeutschland. Selbst im Vater-Sohn-Konflikt innerhalb der Familie Weber, der im Hintergrund wabert, bleibt ein dramatischer Ausbruch aus. Während der Sohn sich so oft es geht auf sein Motorrad setzt, um der familiären Enge zu entfliehen, versucht auch der Vater, dem Dialog mit seinem Filius aus dem Weg zu gehen. Innerlich hat er die Hoffnung auf eine Besserung der Beziehung sowieso schon begraben. Zwischen den beiden herrscht weitestgehend Sprachlosigkeit. Auch die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Aki und Elias wird mit keinerlei Dramatik oder Romantik vorangetrieben. So herrscht Nüchternheit auf allen Ebenen der Story vor.

    Die Regisseurin nimmt ihre Figuren ernst und vermeidet es weitestgehend, Japanklischees zu bedienen. Allerdings bereiten ihr ein paar Seitenhiebe auf das deutsche Unverständnis für die asiatische Kultur und Lebensweise dann doch sichtlich eine gewisse Freude. Die nonverbale Kommunikation spielt in der von Sprachlosigkeit geprägten Filmwelt eine gewichtige Rolle. Aki spricht nur ein paar Brocken Deutsch und muss sich deshalb mit Händen und Füßen verständigen, während zwischen Vater und Sohn, die in einem erkalteten und festgefahrenen Verhältnis verharren, die Kommunikation eh auf das Wesentliche beschränkt ist. Die langsame Erzählweise schafft so auch den nötigen Raum für den Zuschauer, damit dieser das Unausgesprochene in den künstlerisch ansprechenden Bildern erforschen kann.

    In den Augen von Yuki Inomata („Love Ghost“) spiegelt sich die Traurigkeit und Verlorenheit der Protagonistin wider. Akis inneren Drang, mit ihrer Vergangenheit abschließen zu müssen, arbeitet sie stimmig heraus. Neben Inomata gefällt Orlando Klaus als jugendlicher Rebell mit Herz, während sich Hans Kremer (Stammheim, Willenbrock) auch abseits seiner regelmäßigen Fernsehtätigkeit für Größeres empfiehlt. Doch im Mittelpunkt stehen in Marie Miyayamas Debütfilm nicht die Schauspieler, sondern die verträumten Landschaften, durch die Aki mit ihrem riesigen roten Rucksack wandert. Untermalt wird das Geschehen von akzentuierten Pianoklängen sowie einem getragenen traditionellen Wiegenlied aus Kyushu, das dem Film einen passenden musikalischen Rahmen gibt.

    Fazit: „Der rote Punkt“ ist ein gelungener Debütfilm, der sich mit seiner nüchternen Erzählweise und seinen melancholischen Momenten irgendwo zwischen japanischer Meditation und deutscher Nüchternheit einreiht.

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