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    Der Biber
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Biber
    Von Jan Hamm

    Es war eine lange und fruchtbare Beziehung – doch nun ist es aus zwischen Oscar-Preisträger Mel Gibson („Braveheart") und Hollywood. Bereits nachdem er 2006 sternhagelvoll am Steuer erwischt wurde und seinen Polizei-Häscher daraufhin mit einer antisemitischen Schimpfkanonade eindeckte, wandte sich der überwiegende Teil der Traumfabrik-Gemeinde vom Melraiser ab. Trotz seiner starken Performance in Martin Campbells „Auftrag Rache" blieb ein (erfolgreiches) Comeback aus, es ging sogar noch weiter bergab. 2009 gelangten Mitschnitte eines Telefonats ins Netz, in dem er seine damalige Lebensgefährtin Oksana Grigorieva – gelinde gesagt politisch unkorrekt – zum Teufel jagte. Sein unbetiteltes Wikinger-Epos wurde kurz darauf auf Eis gelegt; der für die Hauptrolle vorgesehe Leonardo DiCaprio hatte beschlossen, sich nun lieber doch nicht mit dem Mel non grata blicken zu lassen. Sonderlich überraschend kam es so auch nicht, als die „Hangover 2"-Crew Gibsons bereits abgedrehtes Cameo aus dem Comedy-Sequel rausprotestierte. Viele Freunde sind ihm nicht geblieben; die wenigen allerdings stehen zu ihm. Jodie Foster, die selber ein unverhohlen feindseliges Verhältnis zur Klatschpresse pflegt, ist nicht nur für ihren alten Weggefährten in die Bresche gesprungen, sondern hat ihn gleich noch als Hauptdarsteller für ihr Familiendrama „Der Biber" verpflichtet. Ein Glück! Denn mit Fosters inszenatorischer Sensibilität, vor allem aber Gibsons aufopferungsvollem Spiel wird Kyle Killens seit Jahren heiß gehandeltes Skript über einen suizidalen Vater und Ehemann, für den eine Handpuppe zum Sprachrohr wird, kraftvoll und bewegend auf die Leinwand übertragen.

    Bei Walter Black (Mel Gibson) ist der Familienname Programm: Die Aussichten des schwerst depressiven Familienvater und Spielzeugfabrikant sind wahrlich düster. Der lebensmüde Mann hat jeden zwischenmenschlichen Bezug verloren. Die Geduld seiner verzweifelten Frau Meredith (eine betont zurückhaltende Jodie Foster) läuft ab, während Sohn Porter (Anton Yelchin) seinen Hass auf den apathischen Daddy offen auslebt. Halt findet Porter bei seiner Schulkameradin Norah (Jennifer Lawrence), die nebenher ihre ganz eigene Adoleszenz-Schlacht zu schlagen hat. Dann plötzlich taucht ein neuer Walter auf, ein aktionsfreudiger und gewitzter Walter – der sich ausschließlich durch eine im Müll aufgetriebene Biber-Handpuppe mitteilt. Vorerst amüsieren sich die Blacks mit ihrem seltsamen Gast und freuen sich, dass der Vater und Gatte von den Scheintoten zurückgekehrt ist. Auch beruflich geht es für Walter fortan wieder bergauf. Doch als sich sein Umfeld vorsichtig an den Mann hinter der Puppe heranzutasten versucht, wird bald ersichtlich, dass der Stoffnager längst die Kontrolle über seinen Träger gewonnen hat...

    „The Beaver" ist nicht Gibsons „The Wrestler". Anders als Mickey Rourke in Darren Aronofskys Porträt eines menschlichen Auslaufmodells spielt er keinen quasi-biographischen Stoff. Denn depressiv war und ist Gibson nicht. Seine Problemgeschichte liest sich fast wie eine Antithese zur Filmfigur Walter Black, die statt zu explodieren vielmehr zu implodieren droht. Derweil darf sehr wohl darüber spekuliert werden, ob Gibson Walters Weltmüdigkeit so ungeheuer authentisch abbildet, weil er schlichtweg ein grandioser Schauspieler ist – oder weil ihm die enorme Erschöpfung nach all den Medien-Tribunalen der vergangenen Jahre ohnehin ins Gesicht gemeißelt ist. Fest steht: Er meistert die schwierige Rolle mit Bravour. Schwierig einerseits, weil Jodie Foster ihr Thema Depression sehr ernst nimmt und ihr Hauptdarsteller dem Krankheitsbild entsprechend reduziert spielen und dabei eine völlig verschlossene Figur für sein Publikum öffnen muss. Und andererseits, weil sein exaltiertes Biber-Alter-Ego einen so starken Kontrast zum depressiven Wesen Walters bildet, dass der Film leicht in die Unglaubwürdigkeit, oder schlimmer noch, in die Lächerlichkeit hätte abrutschen können.

    Nichts davon ist der Fall – Foster und Gibson haben Kyle Killens Skript nicht bloß verfilmt, sondern auch genau verstanden. Beindruckend demonstriert wird dieses Verständnis in einer besonders komplizierten Szene, in der Walter und Meredith miteinander schlafen, während der arme Kerl eigentlich gar nicht präsent ist, sondern bloß über seine forsche Biber-Persona zur alten Potenz zurückfindet. Physisch mag der Fall eindeutig sein, psychologisch keineswegs: Hat Meredith Sex mit ihrem Mann, oder mit einer zynischen und äußerst ranzigen Handpuppe? Die unvermeidliche Komik dieser Szene wird so geschickt zum traurigen Ehedrama umgemünzt, dass sich die Nackenhaare aufstellen. Hier wird langsam ersichtlich, dass der Biber für Walter keine bewusste Bewältigungsstrategie darstellt, sondern vielmehr als Aspekt einer dissoziativen Persönlichkeit gelten muss.

    Dementsprechend distinguiert spielt Gibson Walter und den Biber als zwei verschiedene Figuren aus, bis hin zum harschen Cockney-Akzent, mit dem die Puppe wüst drauflos plappert. In diesen Momenten schaffen Foster und Gibson eine Intensität, die im Nebenplot um Sohnemann Porter und seine Flamme Norah nicht erreicht wird. Porters Geschichte ist keineswegs nebensächlich – denn durch seine Abarbeitung am verhassten Vater werden die Verheerungen, die Walters Zustand mit sich bringt, erst so richtig greifbar. Wenn ein autoaggressiver Porter seinen Kopf gegen die Zimmerwand donnert oder manisch Memos über die Eigenarten seines Erzeugers anfertigt, um ihm nicht zu ähnlich zu werden, führt Anton Yelchin die Pathologie der Familie Black plausibel aus. Außerdem stimmt die Chemie zwischen Yelchin und seiner für „Winter's Bone" oscarnominierten Kollegin Jennifer Lawrence, die ihre geringe Leinwandzeit nutzt und auch in einer verhältnismäßig randständigen Rolle Eindruck hinterlässt.

    Bloß, große Sorgen muss man sich um Porter nicht machen; er bleibt seinen schweren Problemen zum Trotz jederzeit sozial handlungsfähig - im scharfen Gegensatz zum völlig entkoppelten Walter, der seinem immer dominanter werdenden Handpuppen-Alter-Ego auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Die Vater-Sohn-Dynamik hat Tiefgang, ist jedoch nie so mitreißend wie Walters letzter Versuch, den Scherbenhaufen seines Lebens unter der tyrannischen Führung des Biebers notdürftig neu zusammen zu setzen. Dieser Stoffnager ist nicht ulkig, ganz im Gegenteil: Hier braucht es wohl weniger einen Psychologen als vielmehr einen Exorzisten. So wie für Gibson selbst, zumindest diese Tage in den Augen Hollywoods. Aber möglicherweise findet ja auch diese so konfliktreiche Beziehungsgeschichte noch zu einem neuen Kapitel. Die interessierte US-Rezeption zu Fosters empathischer Krankheits-, Familien-, und Adoleszenz-Studie könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein.

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