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    The Danish Girl
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Danish Girl
    Von Thomas Vorwerk

    Transgender-Filme sind nicht nur wegen ihrer sexualpolitischen Brisanz von Interesse, sie bieten Darsteller(inne)n auch eine oscarwürdige Bühne, wie zuletzt etwa die Nominierungen von Felicity Huffman („Transamerica“, 2005), Glenn Close und Janet McTeer (beide in „Albert Nobbs“, 2011) oder die Auszeichnungen für Hilary Swank („Boys Don't Cry“, 1999) und Jared Leto („Dallas Buyers Club“, 2013) bewiesen haben. Mit der eng an den historischen Fall der Lili Elbe angelehnten Romanverfilmung „The Danish Girl“ liefert der auf Kostümfilme abonnierte Brite Tom Hooper („The King's Speech“, „Les Misérables“) ein mitreißendes, aber bei aller progressiven Haltung weitgehend konventionell gestaltetes Biopic, mit dem der amtierende Oscar-Champ Eddie Redmayne („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) sich beeindruckend für eine weitere Nominierung bewirbt.

    Kopenhagen in der zweiten Hälfte der 1920er: Der Landschaftsmaler Einar Wegener (Eddie Redmayne) und seine auf Porträts spezialisierte Frau Gerda (Alicia Vikander) führen eine harmonische und leidenschaftliche Ehe. Als Einar für ein Modell einspringt, in Ballettschuhe und feine Damenstrümpfe schlüpft entdeckt er endgültig seine feminine Seite, der sexuelle Thrill eines Mannes in Frauenkleidern verblüfft auch seine Frau nur für wenige Sekunden, und bei einer Party der gemeinsamen Freundin Ulla (Amber Heard) wird „Lili“ als angebliche Cousine Einars in die Gesellschaft eingeführt. Sie erregt sofort das Interesse des schwulen Henrik (Ben Whishaw), der Einars Maskerade alsbald durchschaut. Vorerst noch wichtiger scheint aber, dass Gerda mit Lili nun jenes Motiv, jene Muse gefunden zu haben scheint, die ihre bisher verpönten Porträts zum Erfolg auf dem Kunstmarkt machen. Doch während die seltsam androgyne Frau als Gemäldemotiv universell fasziniert, wird Lili von diversen Ärzten als schizophren oder homosexuell, auf jeden Fall aber als abnormal und krank eingestuft ...

    Etwa zur gleichen Zeit, als Virginia Woolf 1928 mit ihrem Romanhelden Orlando einen unsterblichen Wanderer zwischen den Geschlechtern erschuf, ist die gesellschaftliche Wirklichkeit (nicht nur) in Dänemark ungleich erdrückender. Das zeigt uns Regisseur Tom Hooper vor allem über die Reaktionen einiger Ärzte auf den hilfesuchenden Einar. Statt ihm sinnvoll beizustehen, wollen diese „Mediziner“ ihn wahlweise wegsperren oder mit Elektroschocks und kleinen Bohrern für die Schädeldecke „behandeln“. Die Konfrontation mit der verständnislosen Außenwelt ist in „The Danish Girl“ dennoch eher ein Randaspekt, im Zentrum steht vielmehr die intime Erzählung über Einar/Lili und seine/ihre Ehefrau Gerda, die sich beide auf ihre eigene Weise auf der Suche nach sich selbst befinden. Über weite Strecken hat ihr Ringen um Halt etwas von einem Kammerspiel, wobei auf das harmonische Zusammenleben in Kopenhagen eine zweite schwierigere Existenz im Pariser Exil folgt.

    Schon die Ausstattung der beiden Wohnungen der Protagonisten in Dänemark und in Frankreich sagt viel über die zunehmenden Spannungen in der Künstlerehe, zudem verursacht der Kunsthändler Hans (einfühlsam: Matthias Schoenaerts), ein prägender Einfluss in Einars Kindheit, in Paris neue emotionale Komplikationen. Lili entscheidet sich schließlich dafür, den Dresdener Arzt Warnekros (Sebastian Koch), der sich zu dieser chirurgischen Pioniertat bereit erklärt, eine Geschlechtsumwandlung vornehmen zu lassen. Das ist die logische Konsequenz eines von Eddie Redmayne großartig subtil dargestellten Prozesses. Wenn er sich im Spiegel betrachtet oder eine Peepshow besucht, dann entfaltet sich im Wechselspiel aus Blicken und Gesten die Erzählung einer Selbsterforschung. Zunächst entdeckt Einar die feminine Seite an sich, dann erkennt er allmählich, dass die nicht nur eine von vielen Facetten seines Wesens ist, sondern dessen Essenz: Einar ist im tiefsten Innern Lili. Mit stiller Beharrlichkeit setzt sie nun alles daran, ganz sie selbst sein zu können. Es ist förmlich zu sehen, wie aus einer Person, die sich unwohl in ihrer Haut fühlt, eine zunehmend selbstbewusste Frau wird.

    Aber „The Danish Girl“ ist mindestens genauso sehr eine Geschichte über Akzeptanz und Toleranz: Alicia Vikanders Gerda steht stets an der Seite ihres Partners und hat ihre eigenen Kämpfe damit auszufechten, dass ihr geliebter Mann eigentlich eine Frau ist. Der schwedische Shootingstar („Ex Machina“, „Anna Karenina“) bringt die tiefen und widerstreitenden Gefühle ihrer Figur zum Ausdruck, sie erscheint nicht als selbstlose Heldin, sondern als treue Gefährtin, die gerade in ihrer Liebe für Einar/Lili Halt findet. So ist der Film letztlich eine fast utopisch anmutende Romanze gegen alle Widerstände. Das mag mancher Betrachter arg optimistisch und ein wenig einseitig finden, zumal die romantische Seite des Ganzen mit pastellfarben angehauchten Sehnsuchtsbildern von nordischen Landschaften, der adretten Ausstattung und der eingängigen Musik von Alexandre Desplat („The Grand Budapest Hotel“) noch unterstrichen wird. So ist „The Danish Girl“ ein vielleicht etwas zu schöner Film über innerlich und äußerlich schöne Menschen.                 

    Fazit: Mit viel Gefühl erzählt Oscar-Preisträger Tom Hooper in „The Danish Girl“ die Geschichte einer historisch verbürgten Geschlechtsumwandlung und macht daraus ein vor allem schauspielerisch beeindruckendes intensives Ehedrama.

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