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    Tears Of April
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tears Of April
    Von Christian Horn

    Eine schöne, starke Frau, die sich in Kriegszeiten durchschlägt und nicht unterkriegen lässt. Die Demütigungen wegsteckt, sich gegen Männer aufbäumt und trotz aller Widrigkeiten ihre Würde behält. Das könnte die namenlose Nina Hoss aus Anonyma - Eine Frau in Berlin sein, ist in diesem Fall aber die ebenso schöne und nicht minder begabte Finnin Phila Viitala aus dem Kriegsdrama „Tears Of April“ von Aku Louhimies. Und auch über die weibliche Hauptfigur hinaus weisen die beiden Filme durchaus Parallelen auf: Sie basieren auf einer literarischen Vorlage, setzen sich mit der Geschichte (und Identität) des eigenen Landes auseinander und sind – am durchschnittlichen Rahmen einheimischer Filmprojekte gemessen – relativ große Produktionen. Es ist daher auch das Dilemma beider Filme, dass sie zwar technisch einwandfrei produziert sind, für wahrhaft großes Kino aber zu gelackt und konventionell daherkommen.

    Wir schreiben das Jahr 1918: Finnland befindet sich im Bürgerkrieg. Die erst kürzlich erlangte Unabhängigkeit von Russland muss mit Waffen verteidigt werden, ein Kampf, der das Land in zwei Lager spaltet – in „Rote“ und „Weiße“. Miina Malin (Pihla Viitala) kämpft mit einer Frauenmiliz für die Russen, der junge Soldat Aaro (Samuli Vauroma) marschiert hingegen auf finnischer Seite. Als die Rotgardistinnen um Miina den Finnen in die Hände fallen, muss Aaro hilflos mit ansehen, wie die Frauen erst vergewaltigt und dann ohne Prozess exekutiert werden. Nur Miina überlebt. Sie wird Aaro, der sich für eine gerechte Behandlung einsetzt, überantwortet und soll dem Militärrichter Hallenberg (Eero Aho) vorgeführt werden. Auf der gemeinsamen Reise dorthin entwickeln sich zwischen Miina und Aaro romantische Gefühle. Auf dem Gut des Richters weitet sich diese brüchige Beziehung schließlich zu einer verworrenen Ménage à trois aus…

    „Tears Of April“ ist in erster Linie eine Literaturverfilmung: Der Film basiert auf dem Roman „Käsky“ (deutscher Titel: „Die Unbeugsame“) der finnischen Erfolgsautorin Leena Lander. Die Inszenierung orientiert sich dann auch eher an literarischen denn an filmischen Erzählstrategien. Etwa wird die Montage als eigenständiges Zeichensystem kaum genutzt, die Bilder dienen vielmehr der reinen Illustration. Die klassisch gehaltene Musikuntermalung wird recht konventionell als emotionale Doppelung des Dialogs beziehungsweise der Handlung eingesetzt. Aku Louhimies interessiert sich mehr für den Plot und seine drei Hauptfiguren, als für eine genuin filmische Adaption des Romans, auch wenn er immer wieder in den wunderschönen Naturkulissen der finnischen Westküste verweilt und somit die Macht des Kinobildes zumindest für den Überwältigungseffekt nutzt. Einzelne Motive wie das heimliche Beobachten aus einem Versteck heraus bleiben die Ausnahme in diesem an inszenatorischer Raffinesse recht uninteressiertem Film.

    Der Fokus des Dramas liegt also nicht auf der Form, sondern sehr deutlich auf dem Inhalt. Louhimies konzentriert sich ganz auf die Charakterisierung der drei gänzlich verschiedenen Protagonisten und deren Beziehung untereinander. Deshalb sind auch Brücken ein zentrales Motiv des Films. Als Zentrum der Dreiergruppe lässt sich Miina bestimmen: Sie nutzt ihre Weiblichkeit, um in der männlich bestimmten Welt durchzukommen, und bleibt die insgesamt undurchsichtigste Figur. Eine zentrale, nicht gänzlich beantwortete Frage ist die, ob Miina lediglich aus Kalkül mit Aaro anbändelt oder ob sie tatsächlich Gefühle für den jungen Mann entwickelt. Beides scheint möglich, denn Miina ist ohnehin recht ambivalent angelegt: erotische Schönheit und strenge Rotgardistin, Mutter und Hure. Aaro hingegen ist schon eher greifbar: Sein Konflikt spielt sich im Spannungsfeld zwischen beinahe naivem Idealismus und dem Regelbruch aufgrund seiner Gefühle zur Feindin ab. Er ist der größte Humanist des Films, der sich zwischen der Frau und dem Richter aufzureiben droht und seine Überzeugungen zunehmend unter Beschuss sieht. Zuletzt ist da noch Hallenberg, der in Friedenszeiten ein humanistischer Dichter war und im Krieg seine Funktion als rücksichtsloser, eitler Richter über Leben und Tod eingenommen hat. Ein Unmensch beinahe, der seinen akkuraten Seitenscheitel im Spiegel bewundert, in einer der eindringlichsten Szenen auf teuflische Art und Weise Goethe zitiert und Todesurteile unterzeichnet als sei es eine Widmung für seine neueste Novelle.

    Aku Louhimies gestaltet all diese Figuren, die im Übrigen durchweg glaubhaft gespielt werden, sehr ambivalent und liefert kaum vorgefertigte Antworten – eine Entscheidung, die dem Film gut tut und die Charakterstudie ungemein bereichert. Da die handwerklich makellose Inszenierung der Geschichte leider ein ums andere Mal ins tausend Mal Gesehene und bisweilen auch ins Kitschig-Pathetische abdriftet, mag „Tears Of April“ dennoch keinen rechten Spaß machen. Und ausgerechnet das Schlussbild ist dann eines der verräterischsten und oberflächlichsten des Films: ein lachendes, putziges, hoffnungsvolles Waisenkind in Zeitlupe!

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