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    Rage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Rage
    Von Björn Helbig

    In sieben Tagen erschuf Gott die Welt und am Ende sah er, dass alles gut war. Dies trifft auf die New Yorker Modebranche nicht zu, erkennt der junge Blogger Michelangelo, der für ein Schulprojekt Angehörige der Szene interviewt und mit seiner Webcam filmt: In nur sieben Tagen nimmt sich die krisengeschüttelte Branche vor seiner Kamera selbst auseinander. Sally Potter führt in ihrem Kunstfilm „Rage“, der im Wettbewerb der 59. Berlinale läuft, die Oberflächlichkeit des Modemilieus vor.

    Blogger Michelangelo filmt in einem New Yorker Modehaus Hintergrundinterviews mit 14 sehr eigenen Persönlichkeiten: dem Chef-Designer (Simon Abkarian), Mr. White (Bob Balaban), dem Supermodel Minx (Jude Law), dem Finanzier Tiny Diamonds (Eddie Izzard), der Näherin Anita de Los Angeles (Adriana Barraza), dem Pizzaboten Vijay (Riz Ahmed), Miss Roth (Dianne Wiest), dem Fotografen Frank (Steve Buscemi), Jed (John Leguizamo), der berühmten Kritikerin Mona Carvell (Judi Dench), dem PR-Beauftragten Otto (Jakob Cedergren) und dem Model Lettuce Leaf (Lily Cole). Auch Cop Homer (David Oyelowo), der nach einem Mordfall hinzugezogen wird, redet vor Michelangelos Kamera. Allmählich öffnen sich alle Befragten dem Jungen und liefern Stück für Stück ein Porträt einer der Oberflächlichkeit verfallenen Branche.

    Sally Potter hat einen Hang zur Provokation. Auch mit ihren vorigen Filmen hat sie es dem Zuschauer nicht immer leicht gemacht. Ob „Orlando“, „In stürmischen Zeiten“ oder zuletzt Yes - ihre Arbeiten haben immer Ecken und Kanten. Mit „Rage“ dürfte die gebürtige Londonerin erneut das Publikum spalten. Einige werden den Film für seinen außergewöhnlichen Ansatz und seine Extravaganz lieben, aber „Rage“ wird nach den Reaktionen der Berliner Festival-Besucher zu urteilen weitaus öfter nur Kopfschütteln ernten. Potters Film lockt zwar mit einer vorzüglichen Besetzung, doch der Film ist alles andere als leicht konsumierbar.

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    Es ist Potters experimentelle Versuchsanordnung, die den Zugang zu „Rage“ erschwert: Die 14 verschiedenen Figuren, die an sieben verschiedenen Tagen Interviews geben, reden ausschließlich vor einer Bluescreen. Außer diesen Wortbeiträgen und einigen schrägen Outfits (nach denen der einfarbige Hintergrund der Aufnahmen seinen Farbton ausrichtet) hat der Zuschauer wenig, woran er sich halten kann. Ein Unfall auf dem Laufsteg sowie der anschließende Mord veranlassen die Beteiligten, sich immer mehr zu öffnen und dem schweigenden Michelangelo vor der Kamera ihr Herz auszuschütten. In diesem Seelenstriptease offenbart sich schnell ein durch und durch verdorbenes, selbstgefälliges und auf Oberflächlichkeit bedachtes Milieu. Doch bis auf diese Erkenntnis, die Potter dem Zuschauer in verschiedenen Varianten auf dem Silbertablett offeriert, hat „Rage“ wenig Substanz.

    Potter spiegelt mit der Wahl ihrer Mittel die an der Modebranche kritisierten Eigenschaften, indem sie weniger mit Inhalten als mit Oberflächlichkeit, weniger mit Entwicklung als mit Wiederholungen arbeitet. Diese (selbst-)reflexive Anlage ist im Ansatz interessant, angesichts der diffusen Hintergrundhandlung und vieler inhaltlich ähnlicher Interviewpassagen stellt sich dennoch ein Gefühl der Monotonie ein, das durch die farbenprächtigen, ständig wechselnden Kostüme der Protagonisten bald nicht mehr ausgeglichen wird. Zum Glück gibt es da noch einen starken Jude Law (A.I. - Künstliche Intelligenz, Hautnah, 1 Mord für 2), der als Transvestit Minx immer wieder für einen Schmunzler gut ist. Judi Dench (James Bond 007 - Ein Quantum Trost, Tagebuch eines Skandals, Lady Henderson präsentiert) hat als desillusionierte Kritikerin ebenfalls ein paar starke Momente. Und auch die anderen Darsteller sind alles andere als schlecht, doch alle Schauspielkunst reicht nicht, um die eintönige Struktur des minimalistischen Films aufzulockern.

    „Rage“ ist ein Experiment. Sally Potters eigensinnige Annäherung an ein Thema ist ein Kunstfilm und sollte auch als solcher verstanden werden. Den Unterhaltungsaspekt schreibt die Regisseurin ganz klein und konzentriert sich stattdessen auf die formale Umsetzung. Die Konsequenz, mit der sie dabei vorgegangen ist, verdient Respekt und für diejenigen, die nach dem Kino gerne zusammensitzen und über das Gesehene reden, liefert „Rage“ eine Menge Stoff zum Nachdenken.

    Fazit: Mit „Rage“ hat Sally Potter zwar einen originellen und teilweise durchaus amüsanten, aber insgesamt doch mühseligen und inhaltlich nur mäßig erhellenden Kunstfilm gemacht, der auf der Documenta besser aufgehoben wäre als auf der Berlinale.

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