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    Leaving Las Vegas - Liebe bis in den Tod
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Leaving Las Vegas - Liebe bis in den Tod
    Von Ulrich Behrens

    “Killing myself is a way of drinking.” (Ben). Mike Figgis „Leaving Las Vegas” ist so etwas wie das Negativ zu Claude Lelouchs „Ein Mann und eine Frau” (1966), diesem hoffnungslos romantischen und zugleich optimistischen Film, der so antimodern wirkte und doch seiner Zeit weit voraus war. Figgis platziert sein Paar in die typische Umgebung von Bars und Spielhöllen, Prostitution und Leuchtreklamen, eben nach Las Vegas. Kein Wort erfährt man von der Vergangenheit der beiden, kaum eines jedenfalls. Ben (Nicolas Cage) stößt auf Sera (Elisabeth Shue). Ben trinkt. Sera geht für einen schlagenden Zuhälter namens Yuri (Julian Sands) auf den Straßenstrich. Sera lässt sich von Yuri schlagen. Ben schlägt sich selber. Er leert jede Flasche, die Alkoholisches enthält, besonders harte Sachen. Trinkt Ben, um zu sterben, oder stirbt er langsam, aber sicher, um zu trinken. „Ich bin nicht sicher”, sagt er zu Sara, „ob ich meine Familie verloren habe, weil ich trinke, oder ob ich trinke, weil ich meine Familie verloren habe.”

    „I'm gonna love you, like nobody’s loved you. Come rain or come shine. High as a mountain, deep as a river. Come rain or come shine. I guess when you met me. It was just one of those things. But don't you ever bet me. Cause I'm gonna be true if you let me” (1)

    Wir wissen es auch nicht, nicht, warum Ben trinkt und trinkt und trinkt, nicht, warum Sera sich schlagen lässt, und auch nicht, warum eine Prostituierte an dieser verlorenen Seele Ben Gefallen findet. Gefallen ist auch vielleicht ein schlechter Begriff, um die Beziehung der beiden zu charakterisieren. Es ist auch keine Romanze à la Hollywood, was Mike Figgis uns präsentiert. Und obwohl Ben, der noch genug Geld hat, bevor er sterben wird, eine Prostituierte leicht bezahlen kann, für mehrere Tage oder einige Wochen, ist es auch nicht Sex, was die Beziehung der beiden ausmacht.

    Ben, die Flasche in der Hand, kommt in Las Vegas an, fährt Sera fast über den Haufen, und trifft sie kurze Zeit später wieder, bietet ihr 200, 250, 500 Dollar, nur, damit sie bei ihm bleibt, diesen einen Abend, ihm zuhört, mit ihm spricht. Sera holt Ben aus dem miesen Hotel heraus, in das er sich einquartiert hat, nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Er liebt sie, aber er wird weiter trinken. Sie liebt ihn, und schenkt ihm ein rotes Hemd, eine Flasche für sein Gesöff. Sie schleift ihn mit, in ein Casino, aus dem beide rausfliegen, als Ben einen Wutanfall hat, dann in ein Hotel außerhalb von Las Vegas. Ben trinkt, sogar unter Wasser im Pool, und Sera küsst ihn unter Wasser. Plötzlich gibt es nur noch sie und ihn. Sie will, dass er zum Arzt geht. Aber Ben geht nicht zum Arzt. Sera trifft ihn eines Tages in ihrem Bett mit einer anderen, schmeißt ihn raus, lässt sich als Prostituierte auf vier Jugendliche ein, die sie vergewaltigen und übel zurichten.

    „You're gonna love me, like nobody’s loved me. Come rain or come shine. We'll be happy together, unhappy together. Now won't that be just fine. The days may be cloudy or sunny. We're in or out of the money. But I'm with you always. I'm with you rain or shine” (1)

    „Leaving Las Vegas” ist Ankunft und Abschied, ist die Geschichte einer seltsamen Begegnung und einer merkwürdigen Liebe zwischen zwei Menschen, die man gewöhnlich als Looser bezeichnen würde. Sera sieht Ben ganz klar. Sie weiß, dass es keinen Sinn macht, seinen Selbstmord auf Raten zu verhindern. Sie entscheidet sich bewusst dafür, den Rest seines Lebens auch zu ihrem gemeinsamen zu machen. Ben ist sich andererseits durchaus bewusst, dass Sera der letzte Lichtblick in seinem bald zu Ende gehenden Leben ist. Treffen sich da für einige Wochen ein bemitleidenswerter Alkoholiker und eine Prostituierte „mit Herz”? Fast ein Klischee für eine jener trashigen Hollywood-Tragödien, deren Zahl man kaum noch ermitteln kann. Doch der Schein trügt. Denn Cage und Shue „deklinieren” das Klischee herunter auf ein reales Paar, wie es – auf ganz andere Weise – Lelouch in „Ein Mann und eine Frau” visualisiert hatte: Menschen, die sich lieben und daher brauchen.

    Sera erzählt diese Geschichte in der Rückblende vor einem unsichtbar bleibenden Therapeuten – und es ist vor allem ihre Geschichte, die sie erzählt. Sie brauchte Ben, weil sie ihn liebt, wohl zum ersten Mal in ihrem Leben: liebt. Ben war ihr Retter aus einem Leben gewaltsamer Abhängigkeit und abhängiger Gewalt. Als Prostituierte gedemütigt und immer wieder mit einem Messer geschnitten von ihrem Zuhälter, lässt sie sich durch vier Jugendliche „bestrafen”, dafür, dass sie Ben hinausgeworfen hat. Ben ist für sie nicht nur unkompliziert – ein Mann, der nichts von ihr verlangt, keine Ansprüche an sie stellt, nur mit ihr seine letzten Tage leben und reden will, lachen will. Ben ist anders als die Männer, die sie kennt. Ben ist für Sera eine Art Wunder.

    Und Ben? Ben will sterben – warum, weiß kein Mensch. Doch er will seine letzten Tage nicht in Trauer oder Selbstmitleid verbringen. Er genießt das kurze Leben mit Sera. Vergangenes in beider Leben ist nicht nur uns nicht präsent; es ist auch für Sera und Ben nicht gegenwärtig. Gegenwärtig ist nur ihre Beziehung. Nicht der Alkoholismus steht im Zentrum von „Leaving Las Vegas”, nicht die Prostitution, ja nicht einmal die Gewalt, die Sera erfährt. Im Mittelpunkt des Films stehen zwei neue Erfahrungen: Bens mit Sera und Seras mit Ben. Und hier schließt sich dann doch irgendwo und irgendwie der Kreis zu Lelouchs Klassiker mit Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant. Nicolas Cage ist übrigens in einer seiner besten Rollen zu sehen. Und Elisabeth Shue ebenso.

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