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    Der letzte Gentleman
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Der letzte Gentleman
    Von Alex Todorov

    2003 feierte das Regie-Paar Shari Springer Berman und Robert Pulcini („The Nanny Diaries") mit dem grandiosen Biopic „American Splendor", basierend auf Harvey Pekars autobiographischer Comic-Serie, einen weltweiten Festival- und Kritikererfolg. Doch während das verschrobene Comic-Doku-Drama-Konzept dort noch durch den Protagonisten Pekar (Paul Giamatti) geerdet wurde, scheinen die Verschrobenheiten in „Der letzte Gentleman" bloßer Selbstzweck zu sein. Ein herrlich mürrisch-exaltierter Kevin Kline („Ein Fisch namens Wanda", „Der Eissturm") als Möchtegern-Aristokrat bildet ein unwahrscheinliches WG-Pärchen mit einem wunderbar verstockten Paul Dano („Little Miss Sunshine", „There Will Be Blood"). Das alles mag irgendwie sympathisch sein, doch steht den Darstellern ein Skript im Weg, das kein Ziel und keine Richtung kennt. Das Drehbuch ist eine Aneinanderreihung von Skurrilitäten, die weniger drollig als vielmehr eitel und gewollt schräg wirken.

    Nachdem der Literaturdozent Louis Ives (Paul Dano) seine Anstellung verliert, zieht er nach Manhattan, in der Hoffnung, Romancier zu werden. Dort kommt der sensible Jüngling bei dem Exzentriker und Dandy par excellence Henry Harrison (Kevin Kline) in der Upper East Side unter. Der verdingt sich als „Extra Man", so der Originaltitel, als Escort-Gentleman für ältere, betuchte Damen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine sonderliche Mentor-Schüler-Beziehung. Henry führt Louis in seinen Kosmos des „Extra Man"-Seins ein und verwickelt ihn in seine privaten Zwistigkeiten mit Gott und der Welt. Während Louis versucht, sich auf all das einen Reim zu machen, schwärmt er insgeheim für seine Kollegin, die Öko-Redakteurin Mary (Katie Holmes), die jedoch keinerlei Interesse an ihm zeigt. Wobei auch Louis sich zunächst entscheiden muss, ob er nur ihre Unterwäsche tragen möchte oder wirklich das Mädchen haben will...

    „Der letzte Gentleman" ist ein Kuriositäten-Kabinett sondersgleichen. Kline gibt einen flamboyanten, in die Jahre gekommenen Chauvinisten und hat die besten Zeilen auf seiner Seite: „Oh, I'm against the education of women. It dulls their senses and effects their performance in the boudoire." Wer wissen möchte, wie man, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, öffentlich uriniert, dem wird hier geholfen. Henry malt sich, fehlt ihm mal eine Socke, diese schlicht mit Farbe aufs Fußgelenk, hat einen bedenklichen Fetisch für Christbaumkugeln, scheint ein Flohmagnet zu sein und exerziert feminin anmutende Morgengymnastik zu ohrenbetäubender Klassikmusik. Seine einnehmende Wirkung trotz unablässig abweisend-granteliger Imperativsalven erklärt er sich wie folgt: „It's my constant disapproval. Some find it fatherly."

    Wie gut hätte er doch in den Familienkosmos der „Royal Tenenbaums" gepasst. Sein neuer Mitbewohner ist Danos gehemmter Fitzgerald-Jünger. Vollkommen aus der Zeit gefallen, träumt er sich in die 1920er des Jazz Age, sein steif-devoter Habitus ist purer Anachronismus. Dagegen fast zeitgenössisch scheint seine Neigung zu Frauenkleidern. Während er diesen ihn verunsichernden Drang ergründet, ist jederzeit überdeutlich, dass hinter all den Irrungen und Zaudereien eine erdrückende Liebessehnsucht steht. Das Sexuelle – Henrys Gymnastik und Louis' transvestite Züge – ist indes so lustfrei, auf seltsame Weise derart entsexualisiert, dass man bald überall unterdrückte Triebe à la Thomas Mann vermutet. Dass schlussendlich keine Auflösung dieser sexuellen Klüngeleien folgt, verstärkt den ziellosen und beliebigen Eindruck solch gestreuter Eigentümlichkeiten. Alles ist überdeutlich kauzig, eine erzählerische Mitte finden Shari Springer Berman und Robert Pulcini dabei aber nicht.

    „Der letzte Gentleman" verliert sich hinter all den Exzentriken, die das Regie-Duo über 100 Minuten auftürmt. Das Skurrile ist die Hauptattraktionen des Films und steht allzu oft Geschichte und Figurenentwicklung im Weg. Der Nachbar und Rasputin-Widergänger (John C. Reilly, „Magnolia") spricht in Quietschtönen, wohl aufgrund einer psychischen Dissonanz. Wann bekommt man endlich wieder den „Magnolia"-Reilly zu sehen, der sich nicht für derartige Klamotten hergibt? Ebenfalls fies: Die Besetzung der wenig vorteilhaft beleumundeten Katie Holmes als unsympathisch-militante Veganerin. Wer auf schräge Offbeat-Komödien steht, in der Figuren am Rande der Gesellschaftskompatibilität ihre Verschrobenheiten und Nöte mal lustig, mal enervierend spazieren führen, der liegt mit „Der letzte Gentleman" als Vorfilm zu „The Royal Tenenbaums" richtig.

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