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    Treeless Mountain
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Treeless Mountain
    Von Ulf Lepelmeier

    Auf einem kahlen, trostlosen Hügel rufen zwei kleine Mädchen flehend ihrer Mutter hinterher, sie möge sich doch nach ihnen umdrehen und bei ihnen bleiben. Doch die junge Frau bekommt von den lautstarken Bemühungen ihrer Töchter nichts mit, steigt in einen Bus und entschwindet aus dem Leben der Schwestern. Die südkoreanische Filmemacherin So Yong Kim („In Between Days", „For Ellen") lässt die Beweggründe dieser Mutter im Vagen und konzentriert sich stattdessen auf die Gefühlswelt der beiden Mädchen. In ihrem überwiegend aus ruhigen Nahaufnahmen komponierten Film gesellt sich die Regisseurin als stille Beobachterin an die Seite der Schwestern, die sich nach einem radikalen biografischen Schnitt neu finden müssen.

    Die sechsjährige Jin (Hee Yeon Kim) und ihre kleine Schwester Bin (Song Hee Kim) leben bei ihrer alleinerziehenden Mutter (Soo Ah Lee) in Seoul. Doch dann kündigt die junge Frau das Appartement, bringt ihre Töchter bei einer Tante (Mi-hyang Kim) unter und zieht einfach von dannen. Die Mutter, die sich angeblich auf die Suche nach dem Vater ihrer Kinder begibt, hinterlässt den beiden Mädchen ein Sparschwein als Abschiedsgeschenk und gibt ihnen das Versprechen, zu ihnen zurückzukehren, sobald dieses mit Münzen gefüllt ist. Da die Schwestern ihre Mutter bitterlich vermissen und sich bei der lieblosen Tante nicht wohlfühlen, klammern sie sich mit kindlicher Zuversicht an das märchenhafte Versprechen und beginnen damit, Geld für den Münzspalt aufzutreiben...

    „Treeless Mountain", der auf der Berlinale 2009 mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, besticht durch seine beinahe dokumentarisch anmutende Inszenierung und den Verzicht auf jegliche Fremdtonuntermalung. Wie Hirokazu Kore-Edas tieftrauriges Familiendrama „Nobody Knows" handelt auch „Treeless Mountain" von den Ängsten und kleinen Freuden verlassener Kinder, die den Glauben an die Rückkehr ihrer Mütter nicht aufgeben wollen. Wie ihr japanischer Kollege kann auch So Yong Kim ganz auf ihre tollen Kinderdarsteller bauen und ihrem Kinopublikum gemeinsam mit den Mädchen die Perspektive großer Kinderaugen vermitteln. Doch während Kore-Edas erlesen gefilmte Erzählung dabei noch fesselnd inszeniert war, weist „Treeless Mountain" deutliche Längen auf.

    Immer wieder verliert sich So Yong Kim in schwelgerischen Himmelspanoramen, womit sie die Perspektive des ansonsten beständig auf Kinderaugenhöhe gehaltenen Kamerablicks aufbricht und das ohnehin gemächliche Erzähltempo fast verebben lässt. Nur wer sich auf den Rhythmus des Films einlässt, wird das berührende Drama in seiner ganzen Tragweite mitfühlen können. Die ältere und nachdenklichere Jin leidet weit mehr unter der Sehnsucht nach der verschwundenen Mutter als ihre ständig als Prinzessin verkleidete Schwester, die noch verspielter mit der Krise umgeht. Die neue Situation unter der Obhut der schroffen und unangenehm durstigen Tante erfordert, dass Jin in winzigen Trippelschritten mehr und mehr mütterliche Verantwortung für Bin übernimmt.

    Um das Gefühlsleben ihrer Protagonistinnen auszuloten, arbeitet So Yong Kim mit zahlreichen Nahaufnahmen. Es ist bemerkenswert, wie unglaublich natürlich ihre Kinderdarstellerinnen trotz der ständigen Nähe der Kamera agieren, wie ungekünstelt ihre Sorgengesichter und ihre kleinen Glücksmomente wirken. Wenn die Mädchen voller Eifer Heuschrecken sammeln, um diese zu verkaufen oder mit ihrem gefüllten Sparschwein an der Bushaltestelle ausharren, da sie die baldige Wiederkehr ihrer Mutter erwarten, schafft So Yong Kim zu Tränen rührende und von einem tiefen Humanismus geprägte Bilder.

    Fazit: Das mit einem dokumentarischen Anstrich versehene Drama „Treeless Mountain" ist zweifellos langatmig. Erst in dieser Ruhe jedoch entsteht der weite Spielraum für zwei großartige Kinderdarstellerinnen, die von ihrer Regisseurin wunderbar ernst genommen werden.

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