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    Total Recall
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Total Recall
    Von Carsten Baumgardt

    Die Frage nach der Notwendigkeit eines Updates des Science-Fiction-Klassikers „Total Recall - Die totale Erinnerung" darf wie bei allen Remakes durchaus gestellt werden. Doch 22 Jahre nach Paul Verhoevens krachledern-launiger Erstverfilmung der Kurzgeschichte „Erinnerungen en gros" von Kultautor Philip K. Dick sind die Ansatzpunkte offensichtlich: Die Tricktechnik ist heute diverse Quantensprünge weiter als noch 1990 und wenn man dann noch den damaligen Hauptdarsteller und Ex-„Gouvernator" Arnold Schwarzenegger („The Expendables 2") aus der Gleichung nimmt, hat man sofort einen ganz anderen Film. Außerdem haben sich Regisseur Len Wiseman („Underworld", „Stirb langsam 4.0") und seine Drehbuchautoren Kurt Wimmer („Equilibrium", „Salt") und Mark Bomback („Unstoppable") dazu entschlossen, den Schauplatz vom prägnant rotschimmernden Mars auf die Erde der Zukunft zu verlegen – damit sind mehr als genug Alleinstellungsmerkmale etabliert. Der neue „Total Recall" gefällt als düsterer und zeitgemäßer Sci-Fi-Action-Thriller mit hohem Tempo und phantastischem Set-Design.

    Ende des 21. Jahrhunderts sind große Teile der Erde nach globalen Katastrophen zerstört. Es existieren nur noch zwei Nationen – die „Vereinigte Föderation von Britannien" und die sogenannte „Kolonie". Während in der Kolonie das einfache Arbeitervolk zusammengepfercht wird, lebt die herrschende Klasse um Kanzler Cohaagen (Bryan Cranston), gegen die eine Gruppe von Rebellen um den Widerstandskämpfer Matthias (Bill Nighy) aufbegehrt, in der Föderation. Doug Quaid (Colin Farrell) wiederum ist nach eigener Ansicht nur ein gewöhnlicher Fabrikarbeiter. Er ist mit der wunderschönen Lori (Kate Beckinsale) verheiratet, trotzdem treibt es ihn in die Arme der Traumverkäufer der Firma Rekall. Sie geben vor, jegliche Art von Wunschtraum erlebnisecht implantieren zu können. Quaid möchte in die Haut eines Super-Geheimagenten schlüpfen, doch während der Prozedur geht etwas gehörig schief. Der Einspeiseprozess wird abgebrochen und Quaid von einer Polizeieinheit umstellt. Plötzlich entwickelt er ungeahnte Fähigkeiten und bringt sämtliche Angreifer brutal zur Strecke. Zuhause verschlimmert sich die Situation noch: Wie aus dem Nichts wird Quaid von seiner vermeintlichen Ehefrau Lori angegriffen - sein ganzes Leben scheint ein Schwindel oder eine vorgetäuschte Erinnerung zu sein. Auf der Flucht springt Quaid, der eigentlich Carl Hauser heißt und tatsächlich ein Doppelagent ist, in das Gefährt der Rebellin Melina (Jessica Biel), die ihn sehr gut zu kennen scheint...

    Regisseur Len Wiseman ist ein bekennender Fan von Paul Verhoevens „Total Recall" und streut einige stimmige Hommagen an den alten Film ein – so etwa einen Cameo-Auftritt der dreibrüstigen Frau (Kaitlyn Leen), obwohl mit dem Mars auch die Mutanten aus der Handlung der Neuauflage getilgt wurden. Dieser Verzicht auf den Schauplatz Mars ist sicherlich die frappierendste von vielen Änderungen und Neuerungen in Len Wisemans Version gegenüber der von Verhoeven, aber er ist letztlich nur einer konsequenten Rückbesinnung auf Dicks Vorlage geschuldet, in der eben kein Roter Planet vorkommt – dafür die Neue Erde. Dort gibt es nur noch zwei Nationen auf dem Gebiet der britischen Inseln und dem des heutigen Australien, außerhalb dieser Territorien ist nach einem C-Waffenkrieg kein menschliches Überleben mehr möglich. Mit dem neuen Handlungsort wird das Geschehen buchstäblich näher an unsere Welt gerückt: In diesem Szenario schwingt natürlich durchaus eine kräftige Prise gesellschaftskritischer Mahnung mit – gerade auch der Konflikt zwischen einer reichen, privilegierten Minderheit und einer unterdrückten, ausgebeuteten Mehrheit ist heute angesichts multipler Krisen aktueller denn je.

    Passend zum Katastrophenszenario fällt Wisemans „Total Recall" optisch weitaus finsterer aus als der Vorgänger. Dabei wird auf den Look anderer Philip-K.-Dick-Verfilmungen wie „Blade Runner" und „Minority Report" angespielt, dazu gibt es Anleihen bei „Krieg der Sterne" und „RoboCop" – einem weiteren Paul-Verhoeven-Film. Die meiste Zeit wird Quaid/Hauser in der Dunkelheit durch den Dauerregen gehetzt – und zwar von seiner vorgeblichen Frau Lori. Kate Beckinsales Rolle ist im Vergleich zum alten Film erweitert worden, sie übernimmt gewissermaßen zusätzlich den Part des einst von Michael Ironside gespielten Häschers Richter, der den Protagonisten im Auftrag Cohaagens stellen soll. Bei allen Änderungen bleibt das Grundgerüst und der Kern der Handlung aber erhalten und einige Szenen und Dialoge werden sogar ganz explizit und fast unverändert übernommen.

    Hier fehlt der krude-hemdsärmelige Charme, der Paul Verhoevens „Total Recall" so auszeichnete, dafür präsentiert uns Len Wiseman einige spannende neue Ideen wie den Transporter „The Fall", mit dem sich der Weg zwischen den beiden Kolonien trotz ihrer Lage an den entgegengesetzten Enden der Welt in einer rasenden Fahrt einmal durch den Erdkern in nur 17 Minuten zurücklegen lässt – diese Vorstellung hätte beim guten alten Jules Verne wohl akute Schnappatmung ausgelöst. Hochgeschwindigkeit ist nicht nur hier die Maxime, Wiseman folgt ihr in seiner Inszenierung von Anfang an. Schon in der ersten Szene des Films zeigt Quaid/Hauser vollen Körpereinsatz und es wird ein fulminantes Tempo angeschlagen. Die von Harry Gregson-Williams‘ („Unstoppable", „Cowboys & Aliens") vorwärtstreibender Musik begleiteten Action-Kaskaden, die in der Folge auf das Publikum einprasseln, sind krachend und mitreißend, die Verfolgungsjagden abwechslungsreich. Auf der Strecke bleibt bei dieser Dauerfeueraction allerdings die ausgeprägte philosophische Note, die Philip K. Dicks Werke durchzieht.

    Bei einem Action-Feuerwerk wie „Total Recall" sind die Schauspieler in erster Linie physisch gefordert, allen voran das Dreiergespann Colin Farrell („Nicht auflegen!"), Kate Beckinsale („Contraband") und Jessica Biel („Next"). Farrell ist natürlich ein ganz anderer Typ von Actionstar als Arnold Schwarzenegger und tut gut daran, gar nicht erst zu versuchen, dessen hoch stilisierte körperliche Präsenz erreichen zu wollen. Kate Beckinsale macht in akrobatischer „Underworld"-Manier von der Seite der Bösewichte aus Druck und auch Jessica Biel kann auf frühere Action-Erfahrungen, die sie hauptsächlich in „Blade: Trinity" gesammelt hat, bauen. Alle drei überzeugen im Rahmen der Möglichkeiten, die ihnen das Drehbuch bietet. „Breaking Bad"-Star Bryan Cranston wiederum darf als Kanzler Cohaagen mit einer polternden Charakterstudie glänzen, dabei hätte sein Part aber ruhig etwas üppiger ausfallen dürfen.

    Fazit: Len Wiseman treibt Philip K. Dicks Gedankenspiele zwischen Traum und Realität in seiner „Total Recall"-Neuversion rasend auf die Spitze. Er serviert einen dystopisch-düsteren Non-Stop-Actioner, der durch seinen spektakulären Look zum Ereignis wird.

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