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    I Killed My Mother
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    I Killed My Mother
    Von Christian Horn

    Der Kanadier Xavier Dolan war erst 19 Jahre alt, als er „I Killed My Mother" drehte, und gerade einmal zwanzig, als der Film 2009 beim Filmfestival in Cannes zum Kritikererfolg avancierte. Auch „Heartbeats", Dolans zweiter Spielfilm, feierte seine Premiere unter großem Zuspruch in Cannes. Deshalb scheint es durchaus berechtigt, dass die Filmkritik Dolan bisweilen als Hoffnungsträger bezeichnet. Sein Debüt, in dem er auch selbst die Hauptrolle übernimmt, zeichnet sich vor allem durch eine verspielt-ästhetische Oberfläche sowie die nie gezwungene, aber durchweg stringente Erzählung aus. Obwohl Xavier Dolan mitunter das Gleichgewicht zwischen Form und Inhalt verliert, ist „I Killed My Mother" ein sehr stimmiges, innovativ umgesetztes und sowohl visuell, als auch narrativ überzeugendes Arthouse-Drama.

    Zum Auftakt gesteht der 17-jährige Hubert (Xavier Dolan) dem Kinopublikum, dass er seine Mutter Chantale (Anne Dorval), mit der er ein kleines Haus in Québec bewohnt, abgrundtief hasst. In der Schule erzählt er deshalb sogar, sie sei tot. Immer wieder geraten der spätpubertierende, erstaunlich reflektierte Sohn und die ratlos-resignierte Mutter in cholerische Streitereien miteinander. Zum endgültigen Bruch kommt es zwar nie, denn Mutter und Sohn gehen immer wieder zaghaft aufeinander zu, aber gestört ist die Beziehung auf jeden Fall. Eine Gesprächspartnerin findet Hubert in seiner Lehrerin Julie (Suzanne Clément), die ihn zum Schreiben ermutigt. Nicht einmal von Huberts homosexueller Liebesbeziehung mit Antonin (François Arnaud) weiß die Mutter etwas – als sie es später über einen Umweg doch erfährt, fällt das in der zerrütteten Beziehung zu ihrem Sohn kaum mehr ins Gewicht...

    Dem Protagonisten nicht unähnlich erscheint auch Xavier Dolan seinem Alter voraus, legt er doch ein bisweilen virtuoses Debüt vor, das vergleichbaren Produktionen in vielerlei Hinsicht überlegen ist. Dennoch lassen sich Parallelen zu anderen Erstlingswerken feststellen: Im Kern erzählt auch „I Killed My Mother" eine Coming-of-Age-Geschichte und wie in den meisten ersten Arbeiten junger Filmemacher lassen sich klare Referenzen und stilistische Vorbilder ausmachen: zum Beispiel Wong Kar-Wai, wenn Dolans Hauptfiguren wie in „In The Mood For Love" zu elegischer Musik und in Zeitlupe durch lange Gänge schreiten, oder auch Darren Aronofsky, wenn der Tisch wie in „Requiem for a Dream" mittels schneller Schnitte eingedeckt wird. Der experimentelle und die Geschichte nie allzu sehr überlagernde Erzähl- und Inszenierungsstil nimmt auf die Nouvelle Vague und deren Modernisierung des filmischen Erzählens Bezug – es ist eben kein Zufall, dass ein Kinoplakat zu François Truffauts Debütfilm „Sie küssten und sie schlugen ihn" in Huberts Zimmer hängt.

    Doch Xavier Dolan imitiert nicht bloß. Er macht die für sein Vorhaben relevanten Filmemacher und Künstler auf eine reflektierte Art fruchtbar und versucht sich darüber hinaus auch an eigenen Möglichkeiten des audiovisuellen Ausdrucks. Eine ausgewogenen Balance zwischen den artifiziellen und stilisierten Oberflächenreizen, die mitunter schwelgerisch abschweifen, und der stetig um die Hassliebe zwischen Mutter und Sohn kreisenden Narration hält „I Killed My Mother" in den allermeisten Szenen. Xavier Dolan, der Hubert ganz hervorragend spielt, nutzt die äußeren Eigenwilligkeiten also nicht um ihrer selbst willen, sondern um die inneren Befindlichkeiten seiner Figuren spürbar zu machen: Dialoge zeigt er oft in parallel zueinander ausgerichteten Schuss-Gegenschuss-Einstellungen, bei denen die Gesprächspartner am linken beziehungsweise rechten Rand beinahe aus dem Bild kippen, wodurch die emotionale Trennung zwischen ihnen unmittelbar erfahrbar wird – ein Stilmittel, das die in diesem Kontext oft verwendeten Weitwinkelaufnahmen durch Bildgestaltung und Montage ersetzt.

    Ähnliches lässt sich auch über die Erinnerungen Huberts sagen, die ebenso elegant wie effektiv als solche markiert werden, oder von den vielen Szenen, in denen das Drehbuch metaphorische und doch zugleich aus der Situation heraus entstehende Handlungen für die Figuren findet, oder von dem Umstand, dass Xavier Dolan die Homosexualität seines Protagonisten dramaturgisch im Hintergrund gleichsam wie nebenbei verhandelt – all das sind kleine Puzzleteile in der ausgereiften und erstaunlich erwachsenen Regieleistung des Kanadiers, dessen nächsten Filmen wir gespannt entgegensehen.

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