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    Die Sehnsucht der Falter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Sehnsucht der Falter
    Von Rochus Wolff

    An Vampirgeschichten herrscht in Literatur, Fernsehen und Kino derzeit kein Mangel - und es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass sich die Stories fast immer in erster Linie an ein jugendliches, vorwiegend weibliches Publikum richten. Denn wie es der Literaturlehrer im Drama „Die Sehnsucht der Falter" von Mary Harron („American Psycho") so passend feststellt: Alle Vampirgeschichten haben drei feste Zutaten: Blut, Sex und Tod – und fast immer geht es um die weibliche Sexualität. Als sie das hören, sitzen seine Schülerinnen im Mädcheninternat, die gerade noch schlaff über ihren Pulten hingen, auf einmal aufrecht im Stuhl. Leider gelingt es Harron bei ihrer Verfilmung des Romans von Rachel Klein dann aber nicht, den Dreiklang wirklich zum Schwingen zu bringen und lässt sein erzählerisches Potenzial trotz atmosphärischer Stärken streckenweise ungenutzt.

    Rebecca (Sarah Bolger, „Die Tudors ") ist seit zwei Jahren im Internat – kurz nach dem Selbstmord ihres Vaters kam sie an, und nur ihre Freundschaft zu Lucie (Sarah Gadon, „Eine dunkle Begierde") hat sie damals aus ihrer Verzweiflung befreien können. Nun beginnt sie das neue Jahr sehr hoffnungsfroh – bis mit Ernessa (Lily Cole, „Das Kabinett des Dr. Parnassus") ein neues Mädchen ins Zimmer gegenüber einzieht. Lucie verbringt mehr und mehr Zeit mit dem Neuankömmling und Rebecca wird sehr rasch eifersüchtig –aber auch misstrauisch. Warum scheint Rebecca nie etwas zu essen? Und woher stammt der seltsame Geruch, der aus ihrem Zimmer strömt?

    Harron verzichtet auf die Rahmenhandlung aus der Romanvorlage „Die Sehnsucht der Falter" und behält konsequent Rebeccas Perspektive bei, die das Geschehen auch in ihrem Tagebuch festhält. Diese Erzählweise erlaubt es, das Phantastische nach und nach in den Film einsickern zu lassen, zumal sich Rebecca lange gegen die Erkenntnis sträubt, um wen es sich bei Ernessa handeln könnte. Der geübte Zuschauer und die geübte Zuschauerin werden dagegen rasch die Zeichen entdecken, die hier auf die Anwesenheit von Vampiren hindeuten, denn diese Signale sind hier nicht eben dünn gestreut. Das geht von Ernessas extremer Blässe über ihre lautlose (und übernatürliche) Art, sich zu bewegen, bis hin zu motivischen und literarischen Bezügen.

    Der Literaturdozent Mr. Davies (Scott Speedman, „Underworld") beschreibt in seinem Kurs nicht nur generell das Romangenre der Gothic Novels, sondern er lässt Rebecca und ihre Klassenkameradinnen auch noch „Carmilla" lesen, jene Vampirnovelle von Joseph Sheridan Le Fanu, die schon einige Zeit vor Bram Stokers berühmtem „Dracula" entstanden ist. Zugleich ist Carmilla das Vorbild für viele weibliche Vampire - auch für Ernessa. Und in der Figur der Lucie wiederum steckt ein nicht nur namentlicher Verweis auf Lucy Westenra aus Stokers Roman. Das Anknüpfen an die viktorianische Erzähltradition erschöpft sich nicht nur in solchen Anspielungen, auch atmosphärisch orientiert sich Harron an den Klassikern: Da fegt der Wind durch die Baumwipfel, Gefühlsaufruhr geht mit wildromantischem Sturmgetöse einher und die Mädchen schleichen verstohlen durch leere Gänge und dunkle Keller.

    Was man in diesem Ambiente freilich nicht erwarten darf, sind Fledermäuse und scharfe Eckzähne. Mary Harron ist weniger an solchen äußerlichen Vampirismus-Stereotypen interessiert als an tiefergehenden Grundmotiven: die schwindende Lebenskraft, die Todessehnsucht und eben die weibliche Sexualität. Und so ist „Die Sehnsucht der Falter" im positiven Sinne ein Mädchenfilm, in dem es nicht nur um Freundschaft und Eifersucht geht, sondern auch um Monatsblutungen und Menstruationsschmerzen. Die Männer sind dagegen weitgehend abwesend – nicht wenige durch Selbstmord – oder wenig hilfreich, wie letztlich auch Davies, so sehr er sich Rebecca auch als Vertrauensperson anbietet.

    Während die schwierigen Freundschaften zwischen den jungen Frauen auch dank der engagierten Darstellerinnen als im besten Sinne normal erscheinen, ohne deshalb gleich banal zu wirken, bekommt die Darstellung des weiblichen Begehrens in einer Umgebung ohne Männer einen leicht unangenehmen Beigeschmack, weil Ernessas Sexualität als übergriffig und maßlos inszeniert wird, während eine sympathische lesbische Nebenfigur, die das Gegengewicht hätte bilden können, den Film viel zu früh verlässt. All das bekommt allerdings durch den eifersüchtigen Blick Rebeccas auf das Geschehen durchaus eine inhaltliche Rechtfertigung.

    Fazit: Ein Vampirfilm ohne glitzernde Männerkörper, die von schmachtenden jungen Frauen begehrt werden: Das Mädcheninternats-Drama „Die Sehnsucht der Falter" bietet trotz vieler kleiner Schwächen ein durchaus willkommenes Kontrastprogramm zum „Twilight"-Phänomen.

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