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    72 Stunden - The Next Three Days
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    72 Stunden - The Next Three Days
    Von Carsten Baumgardt

    Paul Haggis ist der erste Drehbuchautor, der mit zwei aufeinanderfolgenden Filmen („Million Dollar Baby" und „L.A. Crash") jeweils den Oscar für das beste Script der Saison einheimste. Warum er sich als neues Projekt nun ein Remake des erst vor zwei Jahren in den Kinos (seiner Heimat) gestarteten französischen Thrillers „Ohne Schuld" (von Fred Cavayé mit Diane Kruger und Vincent Lindon) auserkoren hat, leuchtet trotzdem nicht so recht ein. Denn ihre größte Schwäche, eine wenig plausible Geschichte, haben beide Filme gemein. Die holprige Story beiseite gelassen, ist „72 Stunden – The Next Three Days" aber ein solider Thriller, der von engagierten Darstellerleistungen und einem gewissen B-Movie-Charme lebt.

    Der Lehrer John Brennan (Russell Crowe) liebt seine Frau Lara (Elizabeth Banks) und seinen Sohn Luke (Toby Green/Tyler Green, später: Ty Simpkins) über alles. Von einem Tag auf den anderen gerät das regelte Leben der glücklichen Familie trotzdem völlig aus den Fugen. Die Polizei von Pittsburgh stürmt das Haus der Brennans und nimmt die Mutter wegen Mordverdachts fest. Ihre Chefin (Leslie Merrill) ist umgebracht worden und alle Indizienbeweise deuten auf Lara. Sie wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Nachdem auch die Berufungen scheitern, brütet der verzweifelte John eine absurde Idee aus. Er holt sich patenten Rat bei Ausbrecherkönig Damon Pennington (Liam Neeson) und tüftelt an einem Plan, seine Frau aus dem Knast zu befreien. Allerdings bringt ihn die drohende Verlegung Laras in ein anderes Gefängnis in Planungsnotstand. John bleiben nur noch drei Tage, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Dabei sitzen die Detectives Quinn (Jason Beghe) und Collero (Aisha Hinds) dem amokplanenden Familienvater ständig im Nacken...

    Paul Haggis („Im Tal von Elah") ist eigentlich kein Mann, der ausschließlich auf einfache Gut-Böse-Konstellationen setzt, packt aber dennoch gern mal den emotionalen Dampfhammer („L.A. Crash") aus, um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen. In diese Kerbe schlägt auch „72 Stunden - The Next Three Days". An der Unschuld von Brennans Frau Lara besteht nie ernsthafter Zweifel, weil dieser Gedanke in Haggis' Inszenierung keinen Platz findet - im krassen Gegensatz beispielsweise zu Alan J. Pakulas hochspannendem Frau-unter-Mordverdacht-Thriller „Aus Mangel an Beweisen" (mit Harrison Ford und Bonnie Bedelia), wo die Frage nach Schuld oder Unschuld erst in der allerletzten Szene des Epilogs aufgelöst wird. Der Mordfall kümmert Regisseur und Drehbuchautor Haggis nicht weiter. Die Einführung der Charaktere ist entsprechend knapp gehalten, weil die Fronten klar abgesteckt sind: Hier geschieht schreiendes Unrecht. Eine Frau soll den Rest ihres Lebens unschuldig hinter Gittern verbringen. Ein Kampf gegen Windmühlen? Einprügeln aufs tote Pferd? Dieser John Brennan steht nicht still, bis er eine Lösung gefunden hat. Das ist der Antrieb des Films.

    Ist diese haarsträubende Konstellation vom Publikum akzeptiert, entwickelt „72 Stunden - The Next Three Days" gradlinig seine Kraft. Haggis behandelt John Brennans Gefängnis-Ein/Ausbruch wie einen Heist. Der Mann heckt einen minutiösen Plan aus, um an sein Ziel zu gelangen. Daraus bezieht der Film seine Spannung. Russell Crowe („Robin Hood", „American Gangster") reißt das Ruder an sich und übertüncht durch sein angemessen zurückhaltendes, verbissenes Spiel die Holprigkeiten der Geschichte. Dem Australier steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Und selbst wenn seine Handlungen irrsinnig sind, ist es sein Verdienst, dass diese im Gewand eines Spielfilms akzeptiert werden können. Elizabeth Banks („Zack & Miri Make A Porno", „Spider-Man 3") ist zu Beginn im Knast ein wenig zu fröhlich und gleichgültig, aber diesen Eindruck revidiert die Schauspielerin bald und findet schließlich die passende Balance zwischen Hoffnung und Selbstaufgabe.

    Der Rest des Casts spielt nur sehr untergeordnete Rollen: Olivia Wilde („Dr. House", „Cowboys & Aliens") dient als junge Mutter, zu der John Brennan gelegentlich Kontakt hat, als Beispiel für einen alternativen Lebensentwurf. Der emotional derangierte Vater nähert sich ihr gleich eindeutig: „Meine Frau sitzt im Knast. Aber sie ist unschuldig. Sie hat die Frau nicht umgebracht." Das hat schon eine komische Note, erklärt aber auch seinen Charakter, der keinen Zweifel an der Unschuld seiner Frau zulässt, obwohl alle Beweise gegen sie sprechen. Liam Neesons („96 Hours") kurzer Auftritt in einer einzigen Szene hat zwar den Charakter eines Cameos, aber der Ire spielt seinen Kriminellen-Guru mit Genuss over the top. In diesen Phasen atmet der Film trotz A-List-Besetzung eindeutig B-Movie-Luft.

    Inszenatorisch glänzt Haggis erst im letzten Akt so richtig, wenn der eigentliche Coup inklusive rassiger Verfolgungsjagd ansteht. Besonders zu Beginn nervt die immer wiederkehrende Mann-besucht-Frau-im-Knast-Routine, ohne dass daraus viel dramaturgische Substanz gezogen würde. Auch John Brennans unbeholfene Ausflüge in die Unterwelt tragen nicht gerade zur Glaubwürdigkeit des Films bei. Dass er im Gangmilieu deplatziert wirkt, ist völlig plausibel, aber seine Wildwestaktionen sind dafür umso hanebüchener.

    Der Titel suggeriert, dass „72 Stunden - The Next Three Days" nur in diesem Zeitraum spielt. Dem ist jedoch nicht so. Vielmehr erstreckt sich die Handlung über drei Jahre, von der Verhaftung bis zum Finale. Geschickt legt Haggis im Prolog mit einem Vorgriff auf das Folgende eine (falsche?) Fährte aus. In der ersten Szene befindet sich ein blutverschmierter John Brennan auf der Flucht, während auf dem Rücksitz jemand wimmernd um sein Leben bangt. Klar: Hier ist irgendwas gehörig schief gelaufen. Was genau, gilt es in den kommenden zwei Stunden herauszufinden. Die Handlungsfetzen innerhalb dieses nicht unerheblichen Zeitrahmens geraten bisweilen zu fragmentarisch. Was macht der Lehrer eigentlich in diesen drei Jahren außer Planen, Planen und nochmals Planen? Darauf bleibt Haggis jegliche Antwort schuldig.

    Fazit: Ist Paul Haggis‘ Thriller „72 Stunden - The Next Three Days" zu dick aufgetragen und zu süßlich? Gewiss! Ein starkes Finale und spielfreudige Darsteller lassen die Schwächen und Unzulänglichkeiten der Geschichte zwar nicht ganz vergessen, versorgen den Film aber dennoch mit der notwendigen Dosis an knackigem Unterhaltungswert.

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