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    The Suicide Shop 3D
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Suicide Shop 3D
    Von Lars-Christian Daniels

    In Zeiten drohender Staatspleiten und eines schwächelnden Euros träumen viele Menschen davon, ein cleveres Geschäftsmodell auszuhecken und finanziell ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Der französische Schriftsteller Jean Teulé hat dies bereits im Jahr 2007 erkannt und erzählt in seinem satirischen Roman „Le magasin des suicides" die Geschichte von Familie Tuvache, die in einer düsteren Zukunftswelt einen äußerst eigenwilligen und zugleich konkurrenzlosen Kleinbetrieb führt: einen Selbstmordladen, in dem das Geschäft dank vieler lebensmüder Zeitgenossen und zunehmender Tristesse prächtig floriert. Regisseur Patrice Leconte („Mein bester Freund") hat das Leinwandpotenzial dieses grotesken Stoffes erkannt und sich mit „The Suicide Shop 3D" erstmalig an einen Animationsfilm gewagt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die französisch-kanadisch-belgische Co-Produktion fällt unter dem Strich zwar etwas zu musiklastig aus, punktet aber mit köstlich überzeichneten Figuren und einer morbiden Grundstimmung, die Leconte mit viel Liebe zum Detail illustriert und immer wieder ironisch auflöst.

    In einer allzu nahen, finsteren Zukunft haben Umweltkatastrophen große Teile der Welt wie wir sie kennen zerstört. In der Stadt der Familie Tuvache versucht alle 40 Minuten ein Mitbürger, sich das Leben zu nehmen. Das Problem dabei: Nur rund 20 Prozent der Suizidversuche sind erfolgreich, weil die Lebensmüden es einfach zu stümperhaft angehen oder im letzten Moment kalte Füße bekommen. Abhilfe schafft der gefragte „Suicide Shop" der Tuvaches, in dem man alles kaufen kann, was das Selbstmörderherz begehrt: Stricke in allen Stärken und Längen, Giftmischungen in bunten Farben und mit verschiedensten Wirkungen, zentnerschwere Zementblöcke zum sicheren Absaufen im Kanal, klassische Pistolen mit je einer Kugel und sogar asiatische Kampfschwerter für den ehrenvollen Samurai-Tod...

    Regisseur Patrice Leconte entführt sein Publikum in eine Zukunft, die bedrückender kaum ausfallen könnte. Wie grotesk die Welt, in der die Tuvaches sich mit ihrem Selbstmordladen eine goldene Nase verdienen, ausfällt, verdeutlicht allein schon die Farbgebung des liebevoll animierten Films: Während die finsteren Fassaden und menschenleeren Straßen der Millionenmetropole in tristen, ausgewaschenen Grau- und Blautönen ein kaltes, seelenloses Bild abgeben, strahlen der Familienbetrieb und sein tödliches Interieur in den schillerndsten Farben. Warme Rot-, Pink- und Gelbtöne dominieren das Innenleben des „Suicide Shops", der eine Geld-zurück-Garantie für den Fall gewährt, dass der Suizidwillige nach seinem Ableben wider Erwarten nicht in Frieden ruhen sollte.

    Diese Umkehrung der eigentlich typischen Farbzuordnung – bei einem derartigen Laden würde man schließlich eher Düsteres erwarten – steht exemplarisch für die Grundausrichtung der Geschichte, in der Spaß und Freude etwas Schlechtes, Trauer und Schmerz dagegen etwas Gutes sind. Was „The Suicide Shop 3D" so sympathisch macht, ist die clever zu Ende gedachte Ausgangsidee: Geburtstage werden nicht etwa gefeiert, weil man ein Jahr älter geworden ist, sondern weil man ein Jahr weniger zu leben hat, über die Wahl der passenden Suizidmethode wird stundenlang gefachsimpelt und gelacht, bei Selbstmordversuchen auf offener Straße kommt nicht etwa der Krankenwagen, sondern die Polizei, die dafür saftige Strafzettel verteilt.

    Vater Mishima (Stimme: Bernard Alane) und Mutter Lucrèce Tuvache (Isabelle Spade) verzweifeln indes daran, ihrem jüngsten Sohn Alan (Kacey Mottet Klein) sein unerschütterliches Grinsen abzutrainieren: Der aufgeweckte Strahlemann bringt buchstäblich Leben in den Familienbetrieb, vermasselt sprungbereiten Selbstmördern auf der Kanalbrücke lachend die Tour und weckt selbst bei seiner depressiven älteren Schwester Marilyn (Isabelle Giami) neue Freude an sich und ihrem üppigen Körper. Kaum überraschend, dass es letztlich Marilyn ist, die mit ein wenig Hilfe ihres fröhlichen kleinen Bruders den Stein ins Rollen bringt und die Frage aufwirft, ob das Geschäft mit dem Selbstmord trotz allen Profits eigentlich wirklich glücklich macht.

    Vor musiklastigen Zeichentrickklassikern wie Disneys „Die Schöne und das Biest" braucht sich Lecontes Film dabei nicht zu verstecken: In „The Suicide Shop" wird über ein gefühltes Drittel der Filmdauer gesungen. Gelegentlich bremsen die nicht weniger als neun, dennoch durchaus eingängigen Songs von Komponist Etienne Perruchon die Geschichte aus, über weite Strecken schlägt Leconte bei seiner bissigen Animationsmär aber ein angenehm flottes Tempo an. Es muss eben nicht immer gleich Pixar sein: „The Suicide Shop", der seine Europapremiere in Cannes feierte, wenige Wochen später beim renommierten Animationsfilmfestival in Annecy lief und auch auf dem Fantasy Filmfest 2012 in der sehenswerten 3D-Fassung gezeigt wurde, regt auf entwaffnend witzige Art und Weise zum Nachdenken an, ohne dass die Beteiligten die Sache zu ernst nehmen würden.

    Fazit: „Gestorben wird immer!" lautet ein vielzitiertes Argument für die Krisenresistenz von Bestattungsunternehmen. Auch in „The Suicide Shop" wird fleißig um die Wette gestorben, aber Regisseur Patrice Leconte münzt die groteske Ausgangsidee in einen mit viel Liebe fürs Detail animierten Musicalfilm um, dessen köstlich überzeichnete Figuren man schnell ins Herz schließt.

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