Mein Konto
    Auf halbem Weg zum Himmel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Auf halbem Weg zum Himmel
    Von Sascha Westphal

    Die Geschichte Guatemalas in den vergangenen gut 50 Jahren ist eine der Gewalt und der Unterdrückung, der Repression und des Völkermordes. Nachdem 1954 mit Unterstützung der Vereinigten Staaten eine Militärjunta die Macht im Land an sich gerissen hat, ist es in den darauffolgenden Jahrzehnten zu mehr als 650 Massakern gekommen, deren Opfer meist Indios waren. Selbst als die Zeit des Mordens schon vorüber sein sollte, als Teile der in den 80er Jahren nach Mexiko geflüchteten Indios wieder in ihre Heimat zurückgekehrt waren, kam es noch einmal zu einem weiteren Blutbad. Am 5. Oktober 1995 hat eine sich bedrängt und bedroht fühlende Militärpatrouille in der Rückkehrersiedlung Finca Xamán wild in die Menge geschossen. Elf Menschen wurden getötet und 27 verwundet. Von diesem in mehrerer Hinsicht traumatischen Ereignis und seinen (juristischen) Folgen erzählen Andrea Lammers und Ulrich Miller in ihrer Dokumentation „Auf halbem Weg zum Himmel“. Phasenweise hat ihr Debüt sogar etwas von einem packenden Politthriller. Nur bleibt ihre Perspektive auf die Vorgänge letztlich doch zu eng.

    Xamán 2006. Die Siedlung heißt nun „La Aurora 8 de Octubre“ (Die Morgenröte des 8. Oktober). Die Vorbereitungen auf das Fest zum 8. Oktober, das die Indios anlässlich ihrer 1993 begonnenen Rückkehr ins nördliche Tiefland Guatemalas feiern, laufen auf Hochtouren. Die Erinnerungen an den 5. Oktober 1995 sind zwar immer noch ganz gegenwärtig. Das Trauma dieses erneuten blutigen Übergriffs wird sie auch noch lange verfolgen. Trotzdem ist die Stimmung in diesem Jahr viel gelöster als zuvor. Nach einem mehr als zehn Jahre währenden juristischen Tauziehen sind die Soldaten, die damals das Feuer eröffnet haben, in der dritten Instanz endlich zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Schon der erste Prozess, für den die Indios mit aller Macht gekämpft haben, war ein wichtiger Schritt in der Entwicklung Guatemalas. Aber erst dieses letzte Urteil gibt wirklich Anlass zur Hoffnung.

    Andrea Lammers und Ulrich Miller, die schon in den 90er Jahren begonnen haben, in Xamán zu drehen, erzählen vom Kampf der Indios um Gerechtigkeit in Rückblenden. Ihre Assemblage von eigenem Filmmaterial, altem wie neuem, Berichten und Interviews aus den guatemaltekischen Fernsehnachrichten und Amateur-Videoaufnahmen fügt sich so erst nach und nach zu einem Bild einer Gesellschaft zusammen, die noch lange an dem Erbe der Gewalt kranken wird. Das Militär hat zwar schon 1986 offiziell die Macht an eine zivile Regierung übergeben, doch im Hintergrund hat es noch alle Fäden in seinen Händen behalten. Insofern war es schon eine Sensation, dass die Bewohner Xamáns einen Prozess vor einem zivilen Gericht durchsetzen konnten. Aber sowohl der Staatsanwalt als auch die zivile Nebenklägerin wurden im Lauf des Prozesses derart unter Druck gesetzt, dass sie schließlich ins Exil gegangen sind. Anders konnten sie sich und ihre Familien nicht mehr schützen.

    Die beiden Dokumentarfilmer konzentrieren sich in ihren Interviews mit Opfern und Tätern, Anwälten und Siedlern ganz auf die Ereignisse vom 5. Oktober 1995 und ihre Nachwirkungen. Darin liegt zweifellos die Stärke ihres Erstlings. Schließlich gelingt es ihnen, anhand des Massakers schlaglichtartig die Verhältnisse in Guatemala zu erhellen. Zugleich liegt in dieser bewussten Verengung ihres Blicks auf ein einzelnes Ereignis aber auch die größte Schwäche ihrer Arbeit.

    Natürlich ist dieses Blutbad symptomatisch für die Geschichte Mittelamerikas in der zweiten Hälfte des vorherigen Jahrhunderts. Nur versuchen Andrea Lammers und Ulrich Miller gar nicht erst, diese auch zeitlich isolierte Tragödie, sie geschah schließlich Jahre nach dem Ende des gezielten Völkermordes, in einen größeren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenhang zu stellen. Ganz zu Beginn des Films erzählt eine Bewohnerin der Siedlung, dass die Indios und ihre Interessenvertreter im Vorfeld ihrer Rückkehr hart um das Land, auf dem sie nun leben und arbeiten, kämpfen mussten, weil es nach ihrer Vertreibung in den 80ern in den Besitz großer Firmen gelangt ist. Diese Bemerkung rückt die Geschehnisse in Xamán noch einmal in ein ganz anderes Licht und wirft zahlreiche Fragen über die Verstrickungen zwischen dem Militär und der Wirtschaft auf, denen Lammers und Miller aber bedauerlicherweise nicht nachgehen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top