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    Cruising
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Cruising
    Von Robert Cherkowski

    William Friedkin war nie ein Mann, der auf Nummer sicher geht. Mit dem treibenden Cop-Thriller „Brennpunkt Brooklyn" und dem Horror-Klassiker „Der Exorzist" lieferte er kontroverse, doch grandiose Hits ab. Nachdem das Clouzet-Remake „Atemlos vor Angst" dagegen grandios floppte, drehte der ungebrochene Friedkin munter weiter – und seine Filme wurde noch düsterer. Ob der Polizeithriller „Leben und Sterben in L.A.", das Militärdrama „Sekunden der Entscheidung", das Psychodrama „Bug" oder die aktuelle Arbeit „Killer Joe" - schwere Kost sind allesamt. Der bis heute kontroverseste Film in Friedkins Karriere dürfte jedoch nach wie vor sein in der Schwulenszene spielender Thriller „Cruising" von 1980 sein, der damals die Proteste der Community heraufbeschwor, die Kritiker vor den Kopf stieß, das Publikum vergraulte und von Zensoren verstümmelt wurde. Auch heute liegt „Cruising" noch schwer im Magen – was jedoch niemanden davon abhalten sollte, diesem packenden und fordernden Film eine Chance zu geben.

    Leichenteile treiben im Hudson River. In der Schwulenszene von New York geht ein Serienkiller um, der seine Opfer in Kneipen, Pornokinos und Parks aufgabelt und ersticht. Die Polizei ist ratlos und auch Captain Edelson (Paul Sorvino) bekommt wegen nahender Wahlen Druck von oben. Die Szene jedoch gilt als verschworen und betrachtet die Polizei als aggressiven Feind, der die Morde nicht wirklich beenden will. Kurzerhand wird der junge Beamte Steve Burns (Al Pacino), der dem äußeren Beuteschema des Killers entspricht, in die Subkultur eingeschleust. Burns taucht tief in die Szene ein und droht sich in ihr zu verlieren, während die Beziehung zu seiner Freundin Nancy (Karen Allen) immer mehr den Bach runter geht und der Killer weiterhin wütet. Als Steve in dem stillen Studenten Stuart (Richard Cox) einen Verdächtigen ausmacht, geht er in die Offensive.

    Dass „Cruising" zur Zeit seines Erscheinens ein großer Aufreger war, überrascht wenig. Sein Blick auf die Gay-Community ist düster – und doch wirkt der Vorwurf der Homophobie heute fehl am Platze. Der Film zeigt eine verschworene Subkultur für Hartgesottene, er schert sich wenig um bürgerlich lebende Schwule, sondern zeigt harte Leder-Bären, die mit dem Feuer spielen. Doch denunziert werden diese nie und auch die Homosexualität an sich versteht Friedkin offensichtlich nicht als Problem, sondern als einen bestimmten Lifestyle neben vielen anderen. Doch der Ermittler Burns verliert allmählich die Kontrolle und lässt zu, dass die Erfahrungen im Job Einfluss auf sein Privatleben nehmen. Al Pacino, der jüngst in „Jack and Jill" sich selbst darstellte, spielt diesen Burns maskenhaft unbewegt, immer ein wenig verschüchtert und unsicher. Tatsächlich wirkt seine Performance gerade durch ihren Minimalismus so stark, während um ihn herum Kollegen wie Paul Sorvino als väterlicher Vertrauter, Joe Spinell als irrer homophober Bulle oder Nancy Allen lebhaftere Darstellungen abliefern.

    Auch Friedkins Regie taucht tief und ohne Rücksicht auf Verluste ins Reich der Nacht ein. Die Kriminalhandlung gerät mehr und mehr ins Hintertreffen und wird etwa zur Halbzeit fast vollständig aufgegeben, um nahezu komplett in eine an das Horror-Genre angelehnte Dramaturgie zu kippen. Das Unheimliche ist hier allerdings, dass der vermeintliche Mörder vom Ermittler gestalkt wird. Am Ende sind mehr Fragen offen als geklärt – und diese Verwirrung trägt wesentlich zu einer produktiven Irritation bei, die den Film so faszinierend macht. Aus der Welt von „Cruising" ist das Böse nicht mehr zu vertreiben und hat längst alle Beteiligten infiziert. Und dieses Übel geht sogar noch über ein paar blutige Morde hinaus, die es in ihrer schockierenden Härte durchaus mit den blutroten Exzessen der italienischen Giallo-Thrillern von Dario Argento („Tenebre") oder Lucio Fulci („New York Ripper") aufnehmen können.

    „Cruising" ein beunruhigender Film, der die üblichen Regeln des „Whodunit" konsequent missachtet und sein Augenmerk viel mehr auf eine heuchlerische Sexualpolitik, psychische Transformationen und Identitätsverlust legt. Obwohl der Film in seiner bewusst unsteten Dramaturgie, seinen problematischen Topoi und seiner überstilisierten Brutalität einige Zuschauer vor den Kopf stoßen mag, lohnt es sich, einen Blick auf Friedkins nächtliche Streifzüge zu werfen. Der Schock, den „Cruising" verursachen kann, hält eine Weile an.

    Fazit: Friedkins düsterer Skandal-Thriller hat nichts von seiner Düsternis, seiner Ambivalenz und Rätselhaftigkeit eingebüßt und ist noch immer eine echte Herausforderung, die kein Publikum kalt lässt.

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