Mein Konto
    Bergfest
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Bergfest
    Von Robin Eichelsheimer

    Das Wort „Bergfest" steht metaphorisch für den Zeitpunkt, zu dem genau die Hälfte einer großen Aufgabe überwunden ist und die größten Schwierigkeiten überstanden sein sollten. Man ist eben buchstäblich über den Berg und hat das angestrebte Ziel nun endlich vor Augen. Florian Eichingers packendes Spielfilmdebüt mit eben jenem Titel macht jedoch klar, dass mitunter gerade der Abstieg die größte Aufgabe von allen sein kann.

    Die Schauspieler Hannes (Martin Schleiß) und Ann (Anna Brüggemann) sind übers Wochenende in die bayerischen Alpen gefahren, um in der entlegenen, familieneigenen Berghütte ihre Verlobung zu feiern. Doch mit der Zweisamkeit ist es schnell vorbei, wenn die beiden auf der Hütte angekommen unerwartet auf Hannes‘ Vater Hans-Gert (Peter Kurth) treffen, zu dem Hannes seit mehr als acht Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Ebenfalls dabei ist dessen 19-jährige Freundin Lavinia (Rosalie Thomass). Da Hannes eigentlich einen romantischen Urlaub nur mit seiner Freundin verbringen wollte, will er sofort wieder kehrt machen und auf ein Hotel ausweichen, aber Ann ist es wichtig, auch den Vater ihres Verlobten endlich einmal kennenzulernen. Außerdem erhofft sie sich so die Auflösung eigener Probleme, die ihre Beziehung seit jeher belasten. Und tatsächlich gelingt es ihr, Hannes zum Bleiben zu überreden. Und obwohl es zunächst so scheint, als sei von dem Vater, den Hannes in Erinnerung hatte, nicht mehr viel übrig, wird schnell klar, dass die alten Wunden noch lange nicht verheilt sind...

    Genau wie Anna Brüggemanns Figur Ann nähert sich der Zuschauer dem belasteten Vater-Sohn-Verhältnis nur äußerst langsam. Die Frage nach dem, was in der Vergangenheit zwischen Hannes und Hans-Gert passiert ist, schwebt in jeder Szene mit. Aber mit der Beantwortung dieser Frage lässt sich Regisseur und Autor Florian Eichinger Zeit - und das ist auch gut so. Anstatt mit der Tür ins Haus zu fallen, bleibt zunächst nur das bloße Beobachten der aktuellen Situation, über die Vergangenheit wird geschwiegen. Der Dialog wird von anderen, vermeintlich lapidaren Themen beherrscht. Viel wichtiger sind hier die Dinge, die zwischen den Zeilen stehen. Wenn Hans-Gert beim gemeinsamen Ausflug fasziniert über das sich verändernde Äußere der umliegenden Vulkane spricht, dann steht dies sinnbildlich für den eigenen Prozess der Veränderung, der - wie im Verlaufe der Geschichte klar wird - für sein ganzes Umfeld, aber vor allen Dingen für seinen Sohn Hannes schwerwiegende Folgen hatte. Gerade vor dem Hintergrund der nur sehr rar gestreuten Informationen über die Herkunft der einzelnen Figuren fesseln diese Szenen umso mehr, da die Protagonisten so im Verlauf der Handlung immer greifbarer und interessanter werden. Doch immer, wenn die Gefahr anklopft, zu viel zu verraten, rückt der Fokus ab und verlagert sich auf einen der anderen Charaktere. Auf der inszenatorischen Ebene schafft Eichinger ein stimmiges Gegenstück, indem er stets sehr nahe an seinen Figuren bleibt, diese aber trotzdem immer wieder in der Unschärfe verliert. Überhaupt ist es meist nicht mehr als eine Person, die wirklich fokussiert wird. Dieses Stilmittel bindet sich gleichermaßen natürlich und intelligent in die Erzählung ein.

    Wenn sich dann allmählich die einzelnen Versatzstücke zusammensetzen und die Kulmination des Konfliktes unausweichlich ist, benötigt es nur ein Bild, um die ganze Situation in ihrer ganzen Tragik zu erfassen. Als Lavinia Ann und Hannes einen beeindruckenden Kartentrick zeigt, wollen diese unbedingt wissen, wie sie das angestellt hat. Hans-Gert antwortet daraufhin, dass man nicht darauf kommt, weil es in Wirklichkeit so simpel ist. Tragischerweise gestaltet sich die Antwort auf die Frage, wie es zu dem angespannten Verhältnis zwischen Vater und Sohn kommen konnte, genauso simpel: fehlende Kommunikation. Aber mit dem Erkennen des Problems ist es nicht getan. Dessen Folgen sind tief verankert in Hannes und sind Grund für seine selbstzerstörerischen Exzesse, die auch die Beziehung zu seiner Verlobten gefährden. So entsteht unweigerlich ein Teufelskreis, der schon längst seine Bahnen gezogen hat und aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt. Schade nur, dass dieser Gedanke nicht in letzter Konsequenz vom Film zu Ende geführt wird.

    Trotzdem seziert Eichinger in seinem Kammerspiel eindrucksvoll seine Thematik und greift dabei ganz nebenbei Problematiken und Folgen moderner Patchworkfamilien auf. Dabei kann er sich auf ein starken Cast - allen voran Newcomer Martin Schleiß - verlassen, der seinen Figuren durch die Bank ein großes Maß an Glaubwürdigkeit verleiht. Vereinzelt wirken manche Dialogzeilen von Peter Kurths Figur Hans-Gert ein wenig überladen, was im Vergleich zur angenehmen Zurücknahme des restlichen Dialogs hin und wieder negativ auffällt. Wo es ihm bei der Vater-Sohn-Beziehung bemerkenswert gelingt, nach und nach neue Facetten zu eröffnen, können die weiblichen Figuren hingegen nicht gänzlich überzeugen und bleiben nach vielversprechendem Beginn gerade in der zweiten Hälfte größtenteils auf die Funktion des Story-Katalysators beschränkt. Dennoch ist dem Ludwigsburger Filmemacher mit „Bergfest" ein intensives und fein beobachtendes Debüt gelungen, das definitiv Lust auf mehr macht.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top