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    Women Without Men
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Women Without Men
    Von Martin Thoma

    Die iranischstämmige Künstlerin Shirin Neshat hat ihren Debütfilm „Women Without Men" als Ergänzung oder eher zweite Hälfte einer Videoinstallation gedreht. Der Film (wie auch die Installation) basiert auf dem gleichnamigen Roman der iranischen Schriftstellerin Sharnush Parsipur und wurde beim 66. Internationalen Filmfestival von Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet. Im Mittelpunkt stehen vier Frauen im Teheran des Jahres 1953. Wie Neshat selbst sagt, fiel es ihr schwer, den Anforderungen des ungewohnten Mediums, insbesondere was Plot und Charakterzeichnung betrifft, gerecht zu werden. Obwohl man dem Film diese Schwierigkeiten stellenweise anmerkt, ist er dennoch ein sehenswertes und vor allem bildgewaltiges Stück Kino.

    Vier Frauenschicksale in einer politisch bewegten Zeit: Auf den Straßen und im Radio tobt die Auseinandersetzung zwischen Anhängern des demokratisch gewählten Premierministers Mohammed Mossadegh und Anhängern des Schahs. In ihrer Wohnung streitet Munis (Shabnam Tolouei) mit ihrem Bruder, einem kontrollwütigen religiösen Fundamentalisten, um das Recht, das Haus verlassen zu dürfen. Von ihrer Freundin Faezeh (Pegah Ferydoni), die nur verschleiert vor die Tür geht und Munis‘ Bruder anhimmelt, erhält sie keine Unterstützung. In der Folge stürzt sich Munis vom Dach und Faezeh wird auf der Straße von Fremden vergewaltigt. Die Prostituierte Zarin (Orsi Tóth) erträgt es nicht mehr, ihren Körper zu verkaufen. Sie flieht zu Tode erschreckt, als sie ein gespenstischer Freier ohne Gesicht besucht. Neben den drei jungen Frauen steht eine Frau mittleren Alters: Fakhri (Arita Shahrzad) trifft sich mit Künstlern und Intellektuellen, pflegt einen westlichen Lebensstil und ist unglücklich verheiratet. Sie trennt sich von ihrem Mann und zieht in ein von einem paradiesischen Garten umgebenes Haus. Hier trifft sie mit den drei anderen in einer Art Zwischenwelt zwischen Realität und Traum, Leben und Tod zusammen. Munis nimmt als Untote an politischen Aktionen teil, Faezeh und Zarin erholen sich von ihren Traumata und Fakhri lädt ihren fortschrittlichen Freundeskreis zu einer Feier ins Haus. Zur gleichen Zeit findet die Demokratie im Iran ein gewaltsames Ende...

    Die schwarz verschleierte Selbstmörderin auf dem Dach vor dunkelblauem Himmel ist filmisch zu einer übermenschlichen Figur erhöht. Das Bild der nackten, bleichen und mageren Prostituierten im Badhaus, die sich aus Selbstekel blutig geschrubbt hat, ist das Bild einer Märtyrerin. Die von warmem Sonnenlicht durchfluteten, hohen Bäume markieren einen überirdischen, paradiesischen Ort. Doch auch die demonstrierenden Menschenmassen bekommen in sepia-getönten Aufnahmen etwas Majestätisches. Shirin Neshat schafft gewaltige Bilder, die sofort fesseln und lange im Gedächtnis bleiben. Obwohl diese Bilder in ihrer Schönheit und Symbolik abstrakt scheinen, sind sie zugleich doch sinnlich konkret. In Munis‘ Schleier sieht man den Wind. Wie Zorin sich selbst blutig schrubbt, ist lang und dicht gefilmt. Die Luft im paradiesischen Garten ist gefüllt mit Geräuschen. Steril oder künstlich wirken diese Bilder nie.

    Das trifft eher auf die Charaktere - insbesondere die Nebenfiguren - zu. Diese Generäle, Kommunisten und Künstler sind oft ein wenig zu sehr wie aus dem Bilderbuch, die Sätze, die sie sagen, nicht selten hölzern. Es lässt sich auch von keiner der Hauptfiguren behaupten, dass sie eine psychologisch nachvollziehbare Entwicklung durchmache. Es sind eher Typen als Charaktere. Mit Ausnahme vielleicht von Fakhri, die in ihrer unglücklichen Liebe und in ihrer nicht widerspruchsfreien Nähe zu den stark westlich geprägten modernen Kreisen der iranischen Gesellschaft von allen am meisten Profil gewinnt. Auch sie ist natürlich gerade in dieser Ambivalenz politische Symbolfigur für die fortschrittlichen demokratischen Kräfte, die sich einem Westen nahe fühlen, der leider gerade dabei ist, sie für billiges Öl zu verraten.

    Shirin Neshat hat mit ihrem Debütfilm – auch wenn man ihn ganz unabhängig von der mit ihm korrespondierenden Videoinstallation betrachtet – ein zwar nicht einmaliges, aber dennoch ungewöhnliches Experiment versucht. Auf der einen Seite werden sehr konkrete politische Themen angesprochen: die iranische Gesellschaft in einer kurzen historischen Phase, in der sie frei war und ihre Widersprüche offen lagen; die Rechte von und die Rollenmodelle für Frauen; der Zusammenhang zwischen westlichem Imperialismus und islamistischem Fundamentalismus. Auf der anderen Seite steht eine Erzählweise, die sich am magischen Realismus orientiert. Emir Kusturica, der in „Underground" auf ähnliche (wenn auch fulminantere) Weise den Verfall Jugoslawiens thematisierte, ist dafür zum Teil gefeiert, zum Teil scharf angegriffen worden. Es ist eine Erzählweise, die nicht nüchterne Überlegung herausfordert, sondern Gefühl. Und sie ist nicht frei von Pathos. „Women Without Men" taugt nicht als politischer Diskussionsbeitrag. Der Film vermischt gesellschaftliche und persönliche Traumata in atmosphärisch dichter Weise. Ganz schlüssig kann das nicht sein, und manchmal ist es auch etwas oberflächlich, aber im Großen und Ganzen gelingt ihm das gut.

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