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    Zarte Parasiten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Zarte Parasiten
    Von Florian Schulz

    Emotional Marketing steht quer durch die Gesellschaft hoch im Kurs: Die Stewardess begegnet uns mit strahlendem Zahnpasta-Lächeln, in den Assessment-Centern der Global Player begegnen sich Fremde, als hätten sie bereits jahrelang zusammengewirkt und vom Altenpfleger wird schon längst nicht mehr ausschließlich handwerkliche Finesse abverlangt. In ökonomischer Konsequenz wird aus dem gefühlsbetonenden Marketing eine Vermarktung des Gefühls: erst kürzlich präsentierte Steven Soderbergh Pornomimin Sasha Grey als Escort-Dame Chelsey, die ihren Kunden die „Girlfriend Experience" gegen einen gehörigen Batzen Bares feilbot. Eine Marktlücke, wie im Vorfeld angekündigt, entdecken die beiden Protagonisten in „Zarte Parasiten" deshalb nicht. Christian Becker und Oliver Schwabe („Egoshooter") schicken sich vielmehr an, dem Sujet auch im deutschen Kino Nachhaltigkeit zu verleihen. So ist dann auch die Programmatik, aus der Perspektive eines Aussteigerpärchens die angeknackste Intimität der spätbürgerlichen Gesellschaft zu porträtieren, nicht ganz uninteressant. Infolge fehlt es den Autoren aber an einer zeitgemäßen Vision, die die Betrachtung ihrem bloßen Schematismus entheben könnte.

    Jakob (Robert Stadlober) und Manu (Maja Schöne) hausen im Wald. Abseits der Gesellschaft, streben sie nach Autarkie und Selbstbestimmung. Doch anstatt sich von den Früchten des Waldes zu ernähren und das Wasser aus einem plätschernden Bach zu schlürfen, beziehen sie ihre Verpflegung weiterhin aus den umliegenden Supermärkten. Das kostet natürlich Geld und so haben die beiden ein probates Mittel aufgetan, ihren Grundbedarf zu decken: Sie verkaufen Menschen jene Zuneigung, die ihnen die Gesellschaft zu verwehren scheint. Manu hausiert bereits seit einiger Zeit bei einer einsamen, alten Dame, während Jakob erst kürzlich wieder eine potenzielle Goldgrube aufgetan hat. Er schleicht sich bei einem Ex-Manager (Sylvester Groth) und dessen Frau (Corinna Kirchhoff) ein, die noch vom tragischen Verlust Sohnes gezeichnet sind. Schon bald nimmt der trauernde Pensionär den fremden Mann aus dem Wald wie einen zweiten Sohn bei sich auf. Das lässt auch den kalkulierenden Ich-Unternehmer nicht lange kalt und der Ärger mit der Freundin ist vorprogrammiert...

    Der tragische Verlust des Sohnes als Schicksalsschlag des finanziell abgesicherten Ex-Managers? Das Alter als Zeit der melancholischen Rückwende und Phase darbender Einsamkeit? – über weite Strecken kokettieren Becker und Schwabe mit Krisenentwürfen, die in einer von diffusen Auflösungserscheinungen und unverbindlichen Biografien geprägten Epoche zunehmend ihre Eindeutigkeit verlieren. Mit seinen beiden Hauptfiguren reaktiviert „Zarte Parasiten" gewissermaßen eine Form des Reaktionismus, der das Selbstverständnis einer wohlgeordneten Arbeitsgesellschaft zwar noch treffend kontrastiert hätte, in dieser viel zu eindeutigen Form heute aber nicht mehr ganz zeitgemäß wirkt. Zwar ist die WDR-Koproduktion über weite Strecken angenehm zurückhaltend arrangiert, an den durchweg schematischen Problementwürfen ändern diese formellen Ambitionen jedoch wenig: es gelingt den Autoren letztlich nicht, ihr Sozialdrama abseits dieser Weltschmerzmetaphorik zu erzählen. Das wäre im Prinzip noch zu verschmerzen, stünden diese kritischen Implikationen nicht im krassen Gegensatz zur formellen Gestalt des Films. An dieser Stelle lohnt ein Vergleich mit Soderberghs „The Gilfriend Experience" nicht nur aufgrund des ähnlichen Sujets, sondern auch im Hinblick auf die Wahl der stilistischen Mittel:

    Während aber der US-Amerikaner seinen typisch-essayistischen Erzählrhythmus konzeptionell geschickt in seine Identitätsparabel einbindet, wirkt die starke Fokussierung auf einzelne Erzählpassagen in „Zarte Parasiten" oft kontextlos. Die anekdotische Eröffnung vor einer Diskothek wird im späteren Verlauf beispielsweise auf haarsträubende Weise wieder aufgegriffen und zum handlungsrelevanten Moment erklärt. Und auch im Folgenden leisten sich Becker und Schwabe immer wieder narrative Schnitzer: so tauchen Personen an ihnen unbekannten Orten auf, so folgen auf emotionale Zerreißproben viel zu rasche Sinneswandel. Auch die durchaus ansprechend gefilmten Bilder bieten letztlich zu wenig Dynamik, um die angestrebte Ambivalenz aus Betroffenheit und Distanz nachhaltig forcieren und stimmig in den Erzählfluss integrieren zu können. Kurz: „Zarte Parasiten" strauchelt innerhalb seines Doppelanspruches, sowohl emotional packendes Drama als auch abstrahierende Distanzbetrachtung sein zu wollen - eine eklatante Schwäche, unter der bereits das Debut des Duos („Egoshooter") gehörig litt. Man kann deshalb erneut die Frage stellen, ob Becker und Schwabe in Zukunft nicht gut daran täten, sich voll und ganz auf eine packende Dramaturgie zu konzentrieren, anstatt sich einem klaren Statement immer wieder über formelle Kabinettstückchen entziehen zu wollen

    Auf dieser Basis können dann auch die schauspielerischen Leistungen nicht überzeugen. Robert Stadlober gelingt es nicht, aus der Figurenschablone des Jakob einen funktionierenden Charakter zu entwickeln, dessen innere Zerrissenheit mehr als nur aufgesetzt wirkt. Ähnliches trifft auch auf Sylvester Groth zu, dem der seelische K.O.-Zustand des Ersatzvaters zwar sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben steht, der aus diesem Schema aber über die Distanz des Films kaum ausbrechen darf. Beide muss man aber gleichzeitig in Schutz nehmen, denn zu einer nonchalanten Darstellung gehört ein ebensolches Drehbuch. Einfacher hat es da Maja Schöne, denn letztlich kommt ihre Manu kaum in die Bredouille, an der eigenen Person radikal zweifeln zu müssen und so wirkt zumindest ihr Charakter bis zum Ende stimmig.

    Fazit: Angeblich war es die Zeitungsmeldung über ein im Wald lebendes Pärchen, die die Autoren zu „Zarte Parasiten" inspirierte. Und wieder einmal gilt: Eine einzelne Idee macht noch keinen Film. Das Sozialdrama wirkt über weite Strecken schlicht zu unentschieden. Damit bleibt unter dem Strich ein ambitionierter Versuch, der weder ernsthaft berühren, noch künstlerische Ausrufezeichen setzen kann – und davon, beides zu integrieren, sind Becker und Schwabe leider weit entfernt.

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