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    Callgirl
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Callgirl
    Von Andreas Günther

    Schwarz-grau gestreift, mit kurzem Rollkragen: Den Pullover von Aleksandra prägt man sich ein. Die 23-jährige Studentin trägt ihn fast die ganze Zeit. Wenn sie an der Uni von Ljubljana ihre Englisch-Vorlesungen hört, wenn sie sich mit einer Freundin trifft, wenn sie ihren Vater in der slowenischen Provinz besucht – und wenn sie zu ihren „Kunden" geht, denen sie sexuelle Dienstleistungen anbietet, für 200 Euro die Stunde. Im letzten Drittel des Films warnt der Anblick einer schäbigen Strickjacke auf einem Hotelbett Aleksandra davor, dass ihr nächster Kunde ein alter Bekannter aus der Heimat sein wird. Spätestens dann erweist sich auch ihr Pullover als Metapher: Ein Mensch verkauft sich und will sich doch treu bleiben. Mit dieser Prämisse hätte „Callgirl" ein starkes Drama werden können. Doch Regisseur und Autor Damjan Kozole kann sich einfach nicht entscheiden, ob er seine Geschichte nun naturalistisch, pädagogisch oder lediglich als spannende Sex-and-Crime-Story auserzählen will.

    Die Studentin Aleksandra (Nina Ivanišin) findet in einem Hotelzimmer einen Mann vor, der gerade an einer Überdosis Viagra stirbt. Sie meldet den Notfall, flieht dann aber, aus Angst, dass durch den Tod des Freiers ihr Nebenjob als Prostituierte auffliegen könnte. Während die Medien unermüdlich über den Fall berichten und die Behörden nach ihr fahnden, kämpft sie verzweifelt um den Kredit für ihre neue, teure Wohnung. Sie will ihr Diplom in Englisch abschließen, findet dafür neben ihrem Job aber kaum Zeit. Vor ihrem depressiven Vater Edo (Peter Musaevski) verschweigt sie ihre Tätigkeit, ihr aufdringlicher Ex-Lover Grega (Uroš Fürst) jedoch weiß Bescheid und will sie damit erpressen. Zwei brutalen Zuhältern, die sie in ihre Dienste zwingen wollen, kann sie gerade noch entwischen. Doch schließlich begegnet sie auf dem Strich jemandem, mit dem sie überhaupt nicht gerechnet hat...

    „Callgirl" hat spannende, ja aufwühlende Momente. Sie ergeben sich aus dem Dilemma, dass Aleksandra ihr wahres Leben nur mit den falschen Menschen teilen kann. Der Freundin kann sie zwar stolz die Wohnung zeigen, die Herkunft des Geldes muss sie aber verschweigen. Nur allzu gut über sie Bescheid wissen dagegen die Zuhälter, die sie vor die Wahl stellen, zu sterben oder für sie zu arbeiten. Selten ist Aleksandra mit anderen gemeinsam im Bild, meist trennt der Schnitt sie von ihnen: Die Furcht vor moralischer Verurteilung treibt sie in die soziale Isolation. In schlaflosen Nächten raucht sie einsam vor sich hin, während die Kamera von Goran Volarevic vor dem Panoramafenster ihrer Wohnung die Scheinwerfer und Rücklichter vorbeifahrender Autos tanzen lässt, als wären sie Aleksandras ziellose Gedanken. Ein berührender Augenblick – der allerdings nicht vergessen machen kann, dass vieles in „Callgirl" kaum zusammenpasst.

    Denn dem slowenischen Filmemacher Damjan Kozole, der mit „Spare Parts" 2003 immerhin schon im Berlinale-Wettbewerb vertreten war, geht es wie seiner Antiheldin: Er will etwas verkaufen und doch er selbst bleiben, ein engagierter Künstler. Deshalb einerseits der reißerische Titel und Auftakt, und andererseits das Schielen nach tieferer Bedeutung. Was Aleksandra jenseits der Geldnot antreibt, bleibt so unscharf wie die Objekte, die sie während eines Schaufensterbummels anschaut. Die herbe, müde und ungeschminkte Leidensmiene von Hauptdarstellerin Nina Ivanišin, ihre einfache Kleidung und vor allem ihr Pseudonym „das slowenische Mädchen" sollen für den Missbrauch eines ganzen Landes stehen. Wie aber ist das damit zu vereinbaren, dass ihr Stundenlohn einem halben slowenischen Wochenlohn entspricht? Dass sie den Zuhältern so verhältnismäßig leicht entkommen kann? Wie Jean-Luc Godard in „Die Geschichte der Nana S." will Kazole Prostitution als Spiegelbild einer verkommenen Gesellschaft zeigen, dafür bleibt er aber insgesamt zu sehr Genre-Regeln verhaftet.

    Fazit: „Callgirl" ist das zum Mitfiebern animierende Einsamkeits- und Entfremdungs-Drama einer Studentin, die als Prostituierte jobbt. Für eine Anklageschrift gegen sexuelle Ausbeutung ist der Film aber weder psychologisch noch soziologisch präzise genug.

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