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    Dinosaurier
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Dinosaurier
    Von Sascha Westphal

    Fast 35 Jahre liegen zwischen Bernhard Sinkels leiser Komödie Lina Braake, einem zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratenen Klassiker des Neuen Deutschen Films, und Leander Haußmanns weitaus derberem Remake „Dinosaurier - Gegen uns seht ihr alt aus!“. In dieser Zeit hat das deutsche Kino mehr als nur einige Aufs und Abs erlebt. Seine Strukturen haben sich im Lauf dieser Jahre noch einmal grundlegend verändert. Der Neue Deutsche Film ist schon seit langem Geschichte. Dafür konnte sich hier mittlerweile eine funktionierende Filmindustrie etablieren, die zwar nicht über die Mittel Hollywoods verfügt, aber im internationalen Geschäft, auf Festivals genauso wie im Rennen um den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film, durchaus mithalten kann. Natürlich gibt es auch heute noch zwei verschiedene Richtungen, eine eher kommerziell und eine eher künstlerisch ausgerichtete. Nur sind die Übergänge zwischen ihnen fließender geworden, so fließend, dass nun ein auf publikumswirksame Komödien spezialisierter Filmemacher wie Leander Haußmann einen der Meilensteine des nüchternen Kinos der 70er Jahren neu interpretieren konnte. „Dinosaurier“ ist zwar eine um einiges albernere und vordergründigere Komödie über das Leben im Alter als seine Vorlage, aber der kritische, die bestehenden Verhältnisse in Frage stellende Geist des Neuen Deutschen Films weht trotz allem noch durch sie.

    Ihr kleines Häuschen, für das sie ihr Leben lang gearbeitet hat, bedeutet der 81-jährigen Lena Braake (Eva-Maria Hagen, Die Legende von Paul und Paula, Schröders wunderbare Welt) mehr als alles andere. Hier will sie ihren Lebensabend mit dem Backen von Keksen verbringen und auch einmal sterben. Doch ihre Bank hat es auf das Grundstück abgesehen, dort soll ein neues riesiges Einkaufszentrum entstehen. Also schwatzt der so ehrgeizige wie skrupellose Kreditsachbearbeiter Tobias Hartmann (Daniel Brühl, Good Bye, Lenin!, Die fetten Jahre sind vorbei, Inglourious Basterds) Lena mit allerlei Versprechungen eine neue Hypothek auf, deren Raten sie natürlich niemals bezahlen kann. Schließlich fällt das Haus an die Bank, und Lena muss in ein Altersheim ziehen. Dort wirft der ehemaligen Unternehmer und Bankrotteur Johann (Ezard Haußmann, Sonnenallee, NVA) sofort ein Auge auf die traurige, aber trotz allem noch sehr selbstsichere alte Dame. Vom ersten Tag an lässt er sie kaum zur Ruhe kommen, und irgendwann gelingt es ihm tatsächlich, Lena davon zu überzeugen, dass es an der Zeit ist, die Bank mit deren eigenen Mitteln zu schlagen. Also entwickeln sie einen ziemlich irrwitzigen Plan und suchen sich unter den anderen Insassen des Altersheims noch ein paar Komplizen.

    Einen besseren Zeitpunkt konnte es für eine neue Version von Bernhard Sinkels Komödie über die gegensätzlichen Interessen von großen Bankinstituten und ihren kleinen Kunden kaum geben. Die große Krise des Herbsts 2008, die mit dem Zusammenbruch des amerikanischen Immobilienmarktes begann, ist noch lange nicht überwunden, scheint aber trotzdem fast vergessen. Zumindest verfallen sowohl Banker als auch ihre Kunden schon wieder in die gleichen Muster, die den Crash unausweichlich gemacht haben. Insofern ist Daniel Brühls erfolgsorientierter Scherge der Finanzwelt, der sich auf der Überholspur des Erfolgs wähnt, immer noch ein brandaktueller Typus, der sich natürlich perfekt für satirische Angriffe eignet.

    Mit ebenso großer Lust am Klischeehaften wie am Überspitzten spielt Brühl diesen Tobias Hartmann als schleimigen Karrieristen, der auch vor den billigsten Tricks und den abgeschmacktesten Lügen nicht zurückschreckt. Doch all seine Skrupellosigkeit wird diesem Heuschrecken-Banker nichts nützen – das verrät schon ein einziger Blick in Brühls hier besonders jungenhaft wirkendes Gesicht. Hartmann ist einer, der unbedingt mit den Großen mitspielen will. Doch wenn es wirklich zur Sache geht, ist er natürlich der Erste, der nicht mehr mithalten kann. Also gönnt ihm Leander Haußmann schließlich sogar noch einen Moment grandioser Tragikomik, ganz nach dem Motto: Der Raubtierkapitalismus frisst seine Kinder.

    Während sich Sinkel dem Politischen noch mit den Waffen der Dialektik näherte, davon zeugt schon der lange Untertitel seines Films, „Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“, greift Leander Haußmann gleich zu den Mitteln der Groteske und des Klamauks. Für Feinheiten hat er nicht die Geduld. Aber vielleicht ist deren Zeit einfach vorüber. Die momentan bestehenden Verhältnisse zeichnen sich auch nicht gerade durch eine besondere Subtilität aus. Dass bei dem Aufstand der Alten und zu Kurzgekommenen ein Dinosaurierknochen eine entscheidende Rolle spielt, gehört natürlich zu Haußmanns Pennäler-Humor, der eigentlich besser zu einer Gross-Out-Teeniekomödie als zu einem Lina Braake-Remake passt. Aber all die Dinosaurier-Gags und –Anspielungen haben auch einen melancholischen Unterton. Schließlich sind nicht nur in der grell überzeichneten Welt des Films gewisse selbstverständliche Regungen wie Mitgefühl und Wärme, gegenseitiger Respekt und soziales Verantwortungsbewusstsein vom Aussterben bedroht sind.

    Letztlich sind es aber gar nicht so sehr diese aktuellen Verweise, die Haußmanns „Dinosaurier“ in die Nähe des Neuen Deutschen Films rücken. Was seine Arbeit trotz all der offensichtlichen Unterscheide und auch trotz all ihrer deutlichen Schwächen – Lenas und Johanns großer Coup läuft sehr mechanisch ab und nimmt in der zweiten Hälfte viel zu viel Raum ein – mit dem Original verbindet, ist seine Begeisterung auf seine alt gewordenen Darsteller. Wie Sinkel oder auch Fassbinder verehrt Haußmann die Stars aus den Zeiten von „Opas Kino“. Gerade in der ersten Hälfte, bevor die Handlungsmaschinerie so richtig in Gang kommt, lässt er nicht nur der resoluten und dabei doch ganz mädchenhaft unschuldig wirkenden Eva-Marie Hagen und dem verschmitzt-anarchischen Ezard Haußmann jeden Freiraum. Auch Nadja Tiller (Das Mädchen Rosemarie, Barfuß), Walter Giller (Der Hauptmann von Köpenick, Rosen für den Staatsanwalt) und Ralf Wolter (Eins, zwei, drei, Der Schatz im Silbersee), die drei der Heiminsassen spielen, die Lena und Johann bei ihrem Plan helfen, dürfen noch einmal nach Herzenslust chargieren und herumalbern. Gerade in den Momenten, in denen sie mit ihrem Alter spielen und sich die Freiheit nehmen, einmal ganz und gar kindisch zu sein, blickt Leander Haußmann mit so viel Liebe und Bewunderung auf sie, dass ihnen selbst die plattesten und brachialsten Gags nichts anhaben können.

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